Eine Frühgeburt birgt bis heute ein hohes Risiko für das Kind. Als kritische Zahl gilt die 23. Woche.

Esslingen - Kleine Schläuche, Kabel und Infusionen: der Anblick eines extrem Frühgeborenen ist wohl für jeden Menschen, aber vor allem für die Eltern schwer zu ertragen. Und doch kommen jedes Jahr in Deutschland rund 60 000 Frühchen zur Welt. Am Perinatalzentrum der Klinik für Kinder und Jugendliche am Esslinger Klinikum kamen im vergangenen Jahr 31 sehr kleine Frühgeborene zur Welt. Jedes der Babys wog damit weniger als 1500 Gramm. Im April kam gar ein Frühchen mit dem bislang geringsten Gewicht zur Welt: Der kleine Mailo Jackson wog 320 Gramm.

 

Wie wenig 320 Gramm sind, zeigt Professor Christian von Schnakenburg anhand einer Pappschale mit drei kleinen Äpfeln, die er herumreicht. Laut dem Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche sind unter den jährlich 1800 Geburten am Klinikum Esslingen im Schnitt 30 bis 40 Frühgeborene, die unter 1500 Gramm wiegen. So weit fortgeschritten die Medizin aber auch ist, so betont Schnakenburg die Wichtigkeit des Themas. Denn auch wenn Frauen das Risiko für eine Frühgeburt senken können, indem sie auf Nikotin und Alkohol verzichten und versuchen, emotional belastende Situationen zu vermeiden, so gibt es doch Risikoschwangerschaften bei Bluthochdruck, Diabetes oder vorangegangenen Fehlgeburten. Aber auch Fehlbildungen beim Kind selbst und Mehrlingsschwangerschaften können Ursachen sein.

Jede Woche zu früh verdoppelt das Risiko

„Es war die Hölle!“, sagt Jasmin Ilzhöfer. Die Mutter hält den kleinen Mailo Jackson im Arm. Fast vier Kilo wiegt ihr Sohn heute, sieben Monate nach der Geburt, schwer – und vor allem: Er ist gesund. Bei all den schlimmen Szenarien, die ihr Bekannte prophezeit hatten, wollte die Frau, die bereits einen gesunden acht Jahre alten Sohn hat, nichts vom medizinischen Teil wissen und legte all ihr Vertrauen in die Ärzte am Klinikum. Denn bei rund einem Drittel der Kinder besteht die Gefahr von Folgeschäden wie etwa Hirnblutungen oder nicht fertig ausgebildete Verdauungsorgane. Mailo Jackson kam nach 25 Wochen und vier Tagen zur Welt. Für Mediziner gilt die 23. Woche als kritische Zahl. Babys, die früher geboren werden, haben eine deutlich geringere Überlebenschance. „Vorher ist die Lunge sehr unreif“, erklärt von Schnakenburg. Jede Woche zu früh verdopple das Risiko.

„Entscheidend sind die ersten drei bis vier Tage. Nach vier Wochen sind wir entspannt“, sagt von Schnakenburg. Im Krankenhaus bleiben die Frühchen in aller Regel bis zum eigentlich errechneten Geburtstermin.

Anforderungen an Perinatalzentren steigen

An einem Perinatalzentrum der Stufe Eins – insgesamt gibt es vier Versorgungsstufen – wie dem in Esslingen müssen etwa Neonatologen und speziell ausgebildete ärztliche Geburtshelfer vorhanden sein sowie eine Neugeborenen-Intensivstation mit mindestens sechs Plätzen. Neben Esslingen gehören auch die Frauenklinik in Stuttgart, das Klinikum Ludwigsburg, das Klinikum Böblingen/Sindelfingen sowie das Rems-Murr-Klinikum Winnenden zu den Perinatalzentren der Stufe Eins.

Damit die allerdings ihren Status behalten, müssen sie laut von Schnakenburg jährlich mindestens 14 Frühgeburten unter 1250 Gramm behandeln. Die Erfahrung soll garantieren, dass Ärzte und Pfleger das Niveau halten. Man muss also schon darauf hoffen, viele Frühgeburten zu haben. „Das ist allerdings der falsche Anreiz. Wir wollen Frühgeburten ja verhindern“, kritisiert von Schnakenburg.

Vom kommenden Jahr an müssen Perinatalzentren der ersten und zweiten Versorgungsstufe eine Eins-zu-eins-Versorgung garantieren. Das sieht von Schnakenburg als unrealistisch: „Es gibt gar nicht genug examinierte Kinderkrankenschwestern.“ Kaum eine Klinik in Deutschland könne das derzeit leisten.