Die Gutachter von Ernst &Young schlagen den Kreiskliniken und dem Klinikum Esslingen vor, ein gemeinsames Unternehmen zu gründen.

Esslingen - Die Hauptbotschaft des Gutachtens zur Zukunft der medizinischen Versorgung im Landkreis Esslingen ist bereits am Mittwoch durchgesickert: Die Experten des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Ernst & Young schlagen ihren gemeinsamen Auftraggebern, dem Landkreis und der Stadt Esslingen, vor, die Kreiskliniken und das Klinikum Esslingen in ein gemeinsames Unternehmen zu überführen und damit deren ruinösen Wettbewerb der vergangenen Jahren zu beenden. Weder eine Kooperation noch die Gründung einer Holding als Dachgesellschaft für zwei eigenständige Unternehmen biete die Chance, mittelfristig eine schwarze Null zu schreiben.

 

Ungünstige Ausgangssituation für die Kreiskliniken

Gestern ist das 118 Seiten starke Gutachten nicht nur den rund 3000 Mitarbeitern der Kreiskliniken und des Klinikums Esslingen, sondern auch den Medien vorgestellt worden. Nils Söhnle, der Projektleiter von Ernst & Young, machte dabei deutlich, dass die Ausgangssituation vor allem auf Seite der Kreiskliniken ausgesprochen ungünstig ist. Dem Klinikum Esslingen gelinge es momentan wenigstens noch annähernd, mit den Einnahmen aus dem laufenden Betrieb die Zinsen für die Investitionen zu erwirtschaften. Im vergangenen Jahr hat das Minus im Klinikum Esslingen rund 400 000 Euro betragen. Die Kreiskliniken sind dagegen nicht einmal annähernd in der Lage, ihre Investitionen zu refinanzieren. Dass Jahresergebnis für 2012 werde voraussichtlich ein Minus von 16,1 Millionen Euro ausweisen. Vor allem der mehr als 50 Millionen teure Neubau am Paracelsus-Krankenhaus in Ruit belaste die Kreiskliniken. Schon jetzt sei zudem in beiden Häusern die Eigenkapitalquote deutlich zu gering. Auch fehle es an liquiden Mitteln.

In den kommenden Jahren drohe eine weitere Verschlechterung, wenn beide Häuser wie bisher weitermachten. Erschwerend komme hinzu, dass die Kreiskliniken weitere Investitionen in Höhe von rund 100 Millionen Euro planten. So würde eine komplette Sanierung des Altbaus in Ruit 56,4 Millionen Euro kosten, der Neubau der Psychiatrie je nach Standort in Kirchheim, Plochingen oder Nürtingen zwischen 14,9 und 32,7 Millionen Euro.

Massives Defizit droht.

Ernst & Young haben errechnet, dass das Jahresergebnis der Kreiskliniken im Jahr 2016 voraussichtlich ein Minus in Höhe von 23,3 Millionen Euro ausweisen werde. Aber auch dem Klinikum Esslingen drohe dann ein Defizit in Höhe von 3,5 Millionen Euro. Vorrangiges Ziel müsse es also sein, die Investitionen zu reduzieren und Doppelstrukturen abzubauen. Unter anderem schlagen die Gutachter deshalb vor, den bestehenden Krankenhausbau in Plochingen für die allgemeine Psychiatrie umzubauen. So ließen sich allein hier 21,3 Millionen Euro einsparen.

Bei den Doppelstrukturen soll vor allem das Angebot der nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegenden Häuser in Esslingen und Ostfildern aufeinander abgestimmt werden. Gedacht ist an ein Krankenhaus an zwei Standorten. Einige wesentliche Bereiche wie die Urologie und die Geburtshilfe könnten, so der Vorschlag der Gutachter, in Esslingen konzentriert werden (siehe auch unten stehender Bericht). Geschehe dies, müsse man nicht das gesamte Altgebäude in Ruit sanieren und spare damit weitere 22 Millionen Euro. In einem Zeitrahmen von fünf Jahren würden durch die Vorschläge 120 der rund 3000 Stellen – 20 davon im medizinischen Bereich und 100 vor allem in der Verwaltung – wegfallen. Dies lasse sich über eine natürliche Fluktuation regeln.

Entschuldung ist die Voraussetzung

Aber selbst diese Maßnahmen werden, so Nils Söhnle, nicht ausreichen, um die Wirtschaftlichkeit des neuen gemeinsamen Unternehmens zu gewährleisten. „Eine Entschuldung der Kreiskliniken ist die zwingende Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit des gemeinsamen Unternehmens“, sagt der Gutachter. Zusätzlich zu den 80 Millionen Euro, die der Kreis bereits an Verbindlichkeiten von den Kreiskliniken übernommen habe, müsse er weitere 50 Millionen Euro abdecken.Auf erhebliche Vorbehalte stößt das Gutachten beim Betriebsrat des Klinikums Esslingen. Zwischen dem Klinikum Esslingen und dem Ruiter Krankenhaus solle „alles neu gerührt, geschüttelt und gemixt werden“, schreibt Beate Müller, die Betriebsratsvorsitzende des Klinikums. Sie bezweifle aber, „ob dieser Cocktail anschließend genießbar ist“. Das Gutachten lasse zu viele Fragen offen, etwa welcher Chefarzt oder welcher Abteilungsleiter gehen müsse oder bleiben könne. Weil die Folgen für die Gesamtbelegschaft noch nicht abzusehen seien, erteile der Betriebsrat dem Gutachten „eine klare Absage“. Noch keine Stellungnahme gibt es vom Betriebsrat der Kreiskliniken. Deren Vorsitzende, Silke Leonhardt, erklärte, die Mitglieder des Gremiums müssten sich zunächst abstimmen.

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Esslingen - Eines macht das Gutachten zur Zukunft der medizinischen Versorgung im Landkreis deutlich: Ein „Weiter so“ kann es nicht geben. Die Vorstellung, dass die Kreiskliniken im Jahr 2016 mehr als 23 Millionen Euro Defizit machen könnten und auch das Klinikum Esslingen dann weit entfernt von der schwarzen Null wäre, zeigt den dramatischen Handlungsdruck, der in den kommenden Monaten auf allen politischen Entscheidungsträgern lastet.

Aus dem konsequenten Gegeneinander von Kreis und Stadt muss ein – mit vernünftigen Verträgen ausgestattetes – Miteinander werden, wenn die Kliniken im Kreis in öffentlicher Trägerschaft bleiben sollen. Glaubt man den Gutachtern, dann bietet allein ein gemeinsames Unternehmen die Chance, die wirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen.

Allerdings: bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Der Kreistag muss, nachdem er bereits 80 Millionen Euro Schulden der Kreiskliniken übernommen hat, nun weitere 50 Millionen Euro zuschießen, ehe überhaupt über einen Zusammenschluss nachgedacht werden kann. Zudem müssen sich die Stadt Esslingen und der Kreis bereit erklären, zusätzlich Geld zur Verfügung zu stellen, um die Eigenkapitalquote zu erhöhen und dem neuen Haus damit ein solides Wirtschaften zu ermöglichen. Angesichts der knappen öffentlichen Kassen ist das eine gewaltige Herausforderung. Seit gestern ist aber endgültig klar: Es führt kein Weg daran vorbei.

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Esslingen - Ein paar Überraschungen hält das Gutachten durchaus bereit. Während sich für Nürtingen und Kirchheim vergleichsweise wenig ändert, wird sich in Esslingen, Ostfildern und auch in Plochingen vieles tun – zumindest dann, wenn die Politik die Vorschläge der Gutachter umsetzt. Plochingen Eigentlich hatten alle Politiker und auch die Plochinger selber ihr Kreiskrankenhaus schon abgeschrieben. Nach dem Aus für die Chirurgie und die Innere Medizin schien es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Psychiatrie nach Nürtingen oder Kirchheim verlagert werden würde. Doch nun schlagen die Gutachter aus Kostengründen vor, die frei gewordenen Flächen im Bestandsbau in Plochingen zu sanieren und so umzubauen, dass dort in den 140 bis 160 Betten der Großteil der psychisch Erkrankten im Kreis behandelt werden können.

Suchtbehandlung in Kirchheim

Ergänzt werden soll das Plochinger Angebot durch eine 25 bis 30 Betten umfassende Suchtbehandlungsstation in Kirchheim sowie den Ausbau des Tagesklinikangebots im Kreisgebiet. Die Psychiatrie in Nürtingen soll aufgegeben werden. In Esslingen wird es demnach wie bisher die Psychosomatik mit Tagesklinik, die Kinder- und Jugendpsychosomatik sowie die Kinder- und Jugendpsychiatrie ebenfalls mit Tagesklinik geben. Ostfildern und Esslingen Die beiden Häuser könnten – so die Vorstellung der Gutachter – zu „einem Krankenhaus mit zwei Standorten“ entwickelt werden. Im Klartext: im Esslinger Haus, das bisher schon als Zentralversorger eine höhere Priorität als das Paracelsus-Krankenhaus mit seinem Grund- und Regelversorgungsauftrag hatte, werden in Zukunft neben den Spezialdisziplinen auch viele akute Fälle behandelt. Ostfildern soll sich vor allem auf planbare Operationen konzentrieren. So soll beispielsweise Esslingen im Bereich der Kardiologie ein 24-stündiges Komplettangebot inklusive der Notfallversorgung anbieten, während in Ostfildern längerfristig terminierbare Operationen zur Implantation von Herzschrittmachern oder an den Herzkranzgefäßen durchgeführt werden.

Unklarheit über Strahlentherapie

Gleiches gilt für die Gynäkologie. Während Esslingen die Grund- und Schwerpunktversorgung und auch die gesamte Geburtshilfe übernimmt, soll sich Ostfildern auf die Mammachirurgie konzentrieren. Komplett nach Esslingen verlagert werden könnte die Urologie. Noch ausdiskutiert werden muss, wie und wo es mit der Nuklearmedizin und der Strahlentherapie weitergehen soll.

Kirchheim und Nürtingen Hier ändert sich am wenigsten. Während sich das Nürtinger Haus vor allem auf seine chirurgische Stärken konzentrieren soll, wird Kirchheim einen seiner Schwerpunkte wie bisher auf die Innere Medizin legen. Hier soll das Haus mit der neuen Rheumatologie sogar noch gestärkt werden. Doppelstrukturen wie in Ostfildern und Esslingen, so die Gutachter, seien im Bereich von Nürtingen und Kirchheim bereits bei der letzten Reform der Kreiskliniken abgebaut worden. Deshalb gebe es in diesem Bereich der Kreiskliniken keinen akuten Handlungsbedarf.