Jürgen Zieger kritisiert den Trend zu Stadtwerken. Ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister von Esslingen und Vorsitzender des Neckar-Elektrizitätsverbands.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)
Esslingen – Die Stadt Stuttgart und viele andere Kommunen versuchen gerade, ihre Stromnetze wieder in eigene Hände zu bekommen. Esslingens Oberbürgermeister Jürgen Zieger (SPD) hält das für eine Mode – und für eine überflüssige noch dazu. Die Stadt Esslingen und 25 andere Mitgliedskommunen des Neckar-Elektrizitätsverbandes (NEV) gehen einen anderen Weg. Neckar-Netze heißt die neue Gesellschaft, die im April startet und bewusst eine enge Partnerschaft mit der Energie Baden-Württemberg (EnBW) pflegt. „Stromnetze sollen Geld bringen“ sagt Zieger: „Ihre Bedeutung für die Energiewende wird aber völlig überschätzt.“
Herr Zieger, Sie handeln bei den Stromnetzen anders als alle Ihre OB-Kollegen in der Region. Sind Sie der neue Stromrebell?
Ich fühle mich seit Mitte der 1990er Jahre als Stromrebell. Schon damals habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie wir die Menschen verstärkt mit Strom und Wärme aus regenerativen Energien versorgen könnten und habe in einer Co-Autorenschaft sogar ein Buch über die Solarstadt der Zukunft veröffentlicht. Damals hat das Thema aber niemanden interessiert.

Heute sind Sie weit weniger innovativ. Viele Kommunen kaufen ihre Stromnetze zurück und setzen auf eigene Stadtwerke. Warum sitzen Sie da im Bremserhäuschen?
Das könnte Ihnen so gefallen, mich als denjenigen hinzustellen, der als letzter Dinosaurier den Heizer auf der E-Lok verteidigt. Ich habe zu diesen Themen eine sehr rationale Einstellung. Und mich leitet nicht nur in diesem Zusammenhang immer die Frage, wie wir die Ziele, die wir uns als Stadt gesteckt haben, am besten erreichen.

Warum machen Sie sich dann ausgerechnet mit der Energie Baden-Württemberg gemein, die als letzter Stromkonzern realisiert hat, dass das Atomzeitalter zu Ende geht?
Richtig ist, dass die EnBW bei unseren Neckar-Netzen ein wichtiger strategischer Partner ist. Aber das hat gute Gründe . . .

. . .  die Sie uns sicher gerne erläutern.
Liebend gerne. Zunächst einmal – und das wird häufig genug in einen Topf geworfen – sind Stromerzeugung, Stromverkauf und Stromverteilung grundverschiedene Materien. Das Erzeugen und Verkaufen ist wichtig, um die Energiewende hinzubekommen. Das reine Verteilen aber, also der Betrieb der Netze, wird im Blick auf die Energiewende völlig überbewertet.

Weshalb?
Die Netze sind lediglich die Straßen und Autobahnen, auf denen Strom transportiert wird. Auf diesen Straßen darf sich laut Gesetz jeder Stromanbieter gegen Bezahlung frei bewegen. Man darf auch niemandem verbieten, diese Autobahnen zu benutzen – insofern ist deren Besitz energiepolitisch unerheblich. Aber je größer diese Netze sind, desto wirtschaftlicher lassen Sie sich betreiben. Das ist die Grundidee der Neckar-Netze – es entsteht ein großes Netz, an dem jede Kommune dann sehr gewinnbringend partizipiert. Mit kleinen kommunalen Netzen wird der wirtschaftliche Erfolg deutlich geringer sein.