Bewegung in der regionalen Verlagslandschaft: vor 180 als J. F. Schreiber-Verlag gegründet, verlässt das Unternehmen nun seinen Stammsitz Esslingen.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Esslingen - Die Nachricht hat selbst den Wirtschaftsförderer der Stadt Esslingen überrascht: Der aus dem J. F. Schreiber-Verlag hervorgegangene Esslinger Verlag fusioniert zum 1. Januar mit dem Stuttgarter Thienemann-Verlag. Der Zusammenschluss von zwei der traditionsreichsten Kinder- und Jugendbuchverlage Deutschlands führt dazu, dass der Esslinger Verlag sein Verlagsgebäude neben dem Stadtarchiv aufgeben und die Stadt verlassen wird: „Vorgesehen ist eine organisatorische und räumliche Zusammenführung beider Verlage am bisherigen Standort von Thienemann in der Blumenstraße in Stuttgart“, heißt es in einer Pressemitteilung.

 

Ob alle 20 Arbeitsplätze erhalten bleiben, ist momentan noch offen. Klar ist, dass der bisherige Chef des Esslinger Verlags, Thomas Seng, kaufmännischer Geschäftsführer des Thienemann-Esslinger-Verlags – so der neue Name – wird. Die neue Verlegerin wird Bärbel Dorwieler, die von 2001 bis jetzt Verlegerin des führenden niederländischen Kinderbuchverlags Querido war. Der bisherige Thienemann-Chef Klaus Willberg verlässt das Unternehmen. Operativ wird der neue Verlag bei der Münchner Bonnier-Gruppe angesiedelt. Die Stuttgarter Klett-Gruppe, zu der der Esslinger-Verlag bisher gehörte, soll als strategischer Gesellschafter an Bord bleiben.

Bedauern in der Neckarstadt

Der Sprecher der Stadt Esslingen, Roland Karpentier, bedauerte, dass „ein solches Traditionsunternehmen wie der J. F. Schreiber-Verlag“ Esslingen verlasse. Das Haus stehe für moderne Klassiker der Kinder- und Jugendbuchliteratur von der „Häschenschule“ bis zum „Raben Socke“ und genieße wegen seiner aufwendig produzierten und qualitativ hochwertigen Produkte hohes Ansehen. „Von diesem Ansehen profitiert auch die Stadt Esslingen“, sagt Karpentier, denn mit jedem Buch, dass der Esslinger Verlag verkaufe, werde der Name der Stadt in die Öffentlichkeit transportiert.

Auch gebe es in Esslingen selbst viele Verbindungen zum Verlag, sei es durch das J. F. Schreiber-Museum, seien es die Stadtführungen für Kinder, bei denen der Rabe Socke als namengebender Stadtführer fungiere. Man müsse jetzt zunächst abwarten, ob der Umzug auf diese Aktivitäten Einfluss habe. Erfreulich aus Sicht der Stadt sei es aber in jedem Fall, dass im neuen Verlagsnamen die Stadt Esslingen immer noch vorkomme.

Vor 180 Jahren gegründet

Der Schreiber-Verlag wurde 1831 von Jakob Ferdinand Schreiber gegründet. Anfangs bestand das Verlagsprogramm aus farbigen Kunstblättern und Landschaftsbildern. Den Durchbruch schaffte der Verlag aber mit farbig illustrierten Kinder- und Naturbüchern sowie mit seinen Bastelbögen. Die Papierausschneidebogen bescherten dem Verlag sogar internationale Erfolge. Heute steht die Produktion schöner und anspruchsvoller Bilderbücher im Mittelpunkt des Geschäfts. Das Unternehmen war bis 1988 im Besitz der Familie Schreiber.


Untrennbar schien der Name Schreiber mit der Stadt Esslingen verbunden. Erst recht, nachdem Schreiber verkaufte und der Verlag in Esslinger Verlag umbenannt wurde. Nun wird das Unternehmen, das auf eine rund 180 Jahre währende Geschichte zurückblickt, die Stadt verlassen. Mit in die Verhandlungen eingebunden ist Thomas Seng. Er ist seit Juni 2012 Geschäftsführer des Esslinger Verlages.
Ziehen Sie mit um?
Nein, ich bleibe in Esslingen wohnen. Auch der Verlag wird weiterhin verschiedene Initiativen in Esslingen unterstützen – wie die Lesart.
Was ist der Grund für die Fusion mit dem Thienemann Verlag?
Der Esslinger Verlag macht etwa 4,5 Millionen Euro Umsatz. Das ist zu wenig, um dauerhaft auf dem Markt zu bestehen. Der Thienemann Verlag verbucht mehr als zehn Millionen Euro Umsatz. Mit den gemeinsamen 15 Millionen Euro können wir auch in Zukunft auf dem hart umkämpften Markt bestehen.
Was wird mit den Mitarbeitern in Esslingen geschehen?
Jetzt ist es noch viel zu früh, um über Arbeitsplätze zu reden. Erst muss das Kartellamt der Fusion zustimmen. Dann werden wir ins Gebäude des Thienemann Verlags nach Stuttgart umziehen. Bei der Diskussion über Arbeitsplätze möchte ich auch betonen, wir sind nicht gekauft worden, wir haben fusioniert.
Jetzt wäre doch die Gelegenheit, den Namen Schreiber wieder aufleben zu lassen?
Der neue Verlag wird Thienemann-Esslinger heißen. Allein aus Sentimentalität können wir nicht wieder zum Namen Schreiber zurück. Doch wir haben nach wie vor die Reprints des Schreiber Verlages im Programm, das wird auch einer unserer Schwerpunkte bleiben.
Wie wird das künftige Programm des fusionierten Verlages aussehen?
Das muss die neue Chefin Bärbel Dörweiler entscheiden. Wir werden sicherlich auf unsere Kinderbuchklassiker setzen. Der Thienemann Verlag hat ebenso wie wir etliche Klassiker in seinem Programm, beispielsweise die Bücher von Michael Ende, Max Kruse oder Otfried Preußler.
Was werden Sie künftig tun?
Ich werde der kaufmännische Geschäftsführer von Thienemann-Esslinger sein.


Esslingen - Für das Selbstbewusstsein der Stadt ist es ein herber Schlag, dass ausgerechnet jener Verlag, der den Namen der Stadt Esslingen trägt, ihre Mauern verlässt. Noch dazu, wo das Unternehmen eigentlich als Schreiber Verlag in ganz Deutschland bekannt ist. Mit Geschichten- und Bastelbüchern hat es ganze Generationen geprägt. Dass mit der Fusion nicht nur das Gebäude am Kessler-Platz, sondern wohl auch Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben, zeichnet sich ab.

Das künftige Unternehmen hat angekündigt, weiter seine Kinderbuchklassiker zu drucken. Doch das reicht als Strategie nicht aus. Der Verlag sollte auch nicht ins Lizenzgeschäft mit vermeintlich sicheren Einnahmen einsteigen. Jetzt ist die Zeit für neue spannende Geschäftsfelder und gute neue Autoren und Konzepte.

Ein Erneuerer der Kinderliteratur, Peter Härtling, arbeitet nicht weit weg von Esslingen. Die großen Erfolge des alten Schreiber Verlags bestanden darin, mit höchster Druckqualität, hervorragenden Künstlern und revolutionären Ideen die Kinderzimmer erobert zu haben. Daran sollte sich der neue Verlag ein Beispiel nehmen – und nicht nur auf den Nachdruck der Häschenschule beschränken.