Nach dem Gau von Fukushima sind Europas Atommeiler überprüft worden. Der EU-Energiekommissar Günther Oettinger will aus dem einmaligen Vorgang nun eine Routine machen.

Brüssel - Die gut 140 Atomkraftwerke in der EU sollen künftig regelmäßig Besuch von europäischen Kontrolleuren bekommen. Das sieht ein Gesetzesvorschlag vor, den der Brüsseler Energiekommissar Günther Oettinger in dieser Woche offiziell präsentieren will. Der Rechtstext, in den die Stuttgarter Zeitung am Montag Einsicht bekam, fordert eine europaweite Untersuchung alle sechs Jahre. Dabei soll allerdings nicht immer eine komplette Sicherheitsüberprüfung stattfinden, sondern je ein Teilbereich genauer untersucht werden: So könnte in einer ersten Runde beispielsweise die Standhaftigkeit eines Atomkraftwerks im Falle von Überschwemmungen der Prüfgegenstand sein, in einer zweiten der Schutz im Falle eines Terrorangriffs aus der Luft.

 

Mit der Revision der Richtlinie zur nuklearen Sicherheit kommt Oettinger einem Auftrag der Staats- und Regierungschefs nach. Erst sollten angesichts der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima, die nicht zuletzt in Deutschland zu einem Umdenken und der Energiewende geführt hatte, europaweit einheitliche Stresstests durchgeführt werden. Etwaige Erkenntnisse daraus sollten in eine Überarbeitung des europäischen Gesetzes einfließen. Darin steht bislang nämlich nicht viel, sondern – wie es der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange ausdrückt – „nur dass es überhaupt Sicherheitsstandards geben soll“.

„Nahezu überall erhebliche Verbesserungspotenziale“

Das soll sich nun nach dem Willen der EU-Kommission ändern. Sie will vor allem erreichen, dass die Atomindustrie die bei den verbindlichen europaweiten Untersuchungen zu Tage geförderten Erkenntnisse auch umsetzen muss. Die Stresstests hatten ergeben, dass „kein Kraftwerk aus Sicherheitsgründen unmittelbar abgeschaltet werden muss“, wie Oettinger bei der Präsentation der Ergebnisse im Herbst gesagt hatte: „Allerdings gibt es nahezu überall erhebliche Verbesserungspotenziale.“ Diese haben die insgesamt 14 Mitgliedstaaten, welche die Kernkraft nutzen, in nationale Aktionspläne übertragen.

Kürzlich waren auf dieser Basis etwa die Betreiber des AKW Gundremmingen in die Kritik geraten. Die Umweltorganisation Greenpeace warf ihnen Ende April vor, die Brüsseler Empfehlungen zu ignorieren. So lagerten abgebrannte Brennelemente außerhalb des Reaktorsicherheitsbehälters und seien somit nicht gut genug gegen Hochwasser oder Erdbeben geschützt.

Die Kommission legt selbst Hand an

Dass die Ratschläge befolgt werden, will die EU-Kommission künftig selbst überwachen. „Sollte die Kommission eine substanzielle Abweichung oder Verzögerung bei der Umsetzung der technischen Empfehlungen feststellen“, heißt es in Artikel 8 des Gesetzestextes, „wird sie den Mitgliedstaat über mögliche Maßnahmen zur Beseitigung der Unzulänglichkeiten informieren.“ Das hört sich zwar nicht nach einer knallharten Vorschrift an, aber sie gehen in Oettingers Umfeld davon aus, dass „die EU-Kommission auf dieser Basis Vertragsverletzungsverfahren einleiten kann“.

Neu ist auch, dass die EU-Kontrolleure das Recht bekommen sollen, „spätestens sechs Monate“ nach einem atomaren Unfall die jeweilige Anlage zu besuchen – unabhängig vom Ausmaß des Zwischenfalls. Ein solcher muss zudem zwingend öffentlich gemacht werden – wobei der Gesetzentwurf nichts über Fristen sagt.

Die Privaten sollen haften

Eine weitere Bestimmung fordert, dass die Mitgliedstaaten alle zehn Jahre ihre Sicherheitsbestimmungen auf den neuesten Stand bringen. Die europäischen Kontrolleure sollen vom aktuell höchsten bekannten Sicherheitsniveau ausgehen. Die EU-Kommission gibt damit nicht selbst exakte Standards vor, wie das Atomkraftkritiker teilweise gefordert haben, sondern gibt das Prozedere vor. „Das ist aus unserer Sicht der flexiblere Ansatz“, heißt es in der Brüsseler Behörde, „so werden immer die neuesten Erkenntnisse mit einbezogen.“

Die Haftungsfrage klärt diese Richtlinie nicht, obwohl Oettinger angekündigt hat, auch diesbezüglich aktiv werden zu wollen. Dieser zweite Teil der Gesetzgebung ist aber noch in Arbeit und soll nun erst Ende des Jahres vorgelegt werden. „Wir wollen, dass die Privaten haften“, heißt es in Oettingers Generaldirektion, derzeit werde aber geprüft, „bis zu welchem Betrag“ dies Betreibern und damit auch den Versicherern zugemutet werden könne.