Die Standseilbahn zum Waldfriedhof ist ein Stuttgarter Original. Die EU hat das nicht interessiert: Sie wollte alle historischen Standseilbahn stillegen – aus Sicherheitsgründen. Das konnte verhindert werden.

Stuttgart - Stell Dir vor, ein Stuttgarter Original ist bedroht, und keiner merkt’s. So geschehen mit der Standseilbahn, die seit 1929 den Südheimer Platz mit dem Waldfriedhof verbindet. Das holzvertäfelte Gefährt, das auf einer Wegstrecke von gut einem halben Kilometer 85 Höhenmeter überwindet, ist den Menschen so sehr ans Herz gewachsen, dass sie gleich mehrere Spitznamen dafür ersonnen haben – von der „Schnürlesbahn“ über den „Erbschleicher-Express“ bis zur „Lustige-Witwen-Bahn“. Und dieses ganz spezielle Fortbewegungsmittel stand vorübergehend vor dem Aus – ohne dass jemand groß etwas mitbekommen hätte.

 

Diese Geschichte spielt aber nicht in Stuttgart, sondern in Brüssel, Paris und Kaprun: Das Seilbahnunglück in den österreichischen Alpen im November 2000, bei dem 155 Menschen starben, war für die Europäische Union der Anlass, gemeinsame Sicherheitsstandards festzuschreiben. Wenig später wurde eine Richtlinie verabschiedet, welche die Mitgliedstaaten in nationales Recht umsetzen mussten. Das führte dazu, dass auch die Flachländer Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Estland Seilbahngesetze bekamen, obwohl es dort keine Seilbahnen gibt. Im Sinne des Bürokratieabbaus werden sie nun durch eine allgemeingültige EU-Seilbahnverordnung ersetzt.

Hier kommt Frankreich ins Spiel, wo es 2004 ebenfalls zu einem Unfall gekommen war – zum Glück ohne Verletzte. Bis zuletzt setzte sich der französische EU-Botschafter dafür ein, keine Ausnahmen bei den strengen neuen Vorschriften zuzulassen. Die Bundesregierung war ob der bedrohten Zukunft des Witwen-Expresses alarmiert: „Alte Seilbahnen sollten nach den Pariser Vorstellungen überhaupt keine Zulassung mehr erhalten“, berichtet ein EU-Diplomat, „aber jetzt kann die Stuttgarter Seilbahn bestehen bleiben.“

Grund ist eine Einigung der EU-Staaten untereinander. In den Brüsseler Gesprächen am Freitag, bei dem auch der Stuttgarter Fall zur Sprache kam, wurde Frankreichs Regierung davon überzeugt, dass nun, so der Diplomat, „historische Seilbahnen von der EU-Seilbahnverordnung ausgenommen werden“. Am 14. Dezember stimmen Europas Wirtschaftsminister in Brüssel formal über die Rettung der Schnürlesbahn ab.