Die Abgeordneten lehnen einen Vorstoß, um Kohlendioxid künstlich zu verteuern, mit denkbar knapper Mehrheit ab. Die Frage spaltet auch Industrie und Bundesregierung. Umweltverbände sprechen von einem „Desaster“.

Brüssel - Die Gegner einer ehrgeizigeren Klimapolitik haben eine mit Spannung erwartete Abstimmung im Straßburger Europaparlament für sich entschieden: Mit 334 zu 315 Stimmen lehnten die Abgeordneten einen von der EU-Kommission vorgeschlagenen Eingriff in das Emissionshandelssystem ab, das den Marktpreis des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid regelt. 63 europäische Volksvertreter enthielten sich.

 

Formal ging es um einen eher technischen Vorschlag: Sollen 900 Millionen Zertifikate, die Unternehmen eine bestimmte Menge CO2 auszustoßen erlauben, jetzt oder erst 2019 versteigert werden? In der Praxis freilich ging es um viel mehr: Die Verschiebung der Auktionen nach hinten sollte den Kohlenstoffpreis, der zuletzt einen Tiefststand von 2,80 Euro pro Tonne erreicht hatte, wieder erhöhen. Das Parlament selbst hatte die EU-Kommission zu kurzfristigen Maßnahmen aufgefordert, damit sich Investitionen in klimafreundliche Technologien wieder stärker lohnen. Das Ansinnen war von Anfang an heftig umstritten und spaltete auch die Parteien.

Großverbraucher gegen künstliche Verteuerung

Die Gegner sahen darin einen ungerechtfertigten Markteingriff. „Wir haben dem Vorschlag der EU-Kommission widerstanden, einfach willkürlich in den Zertifikatehandel einzugreifen“, sagte Herbert Reul, Chef der deutschen CDU-Abgeordneten, erfreut. Das sei „ein Sieg der Vernunft gegenüber jenen, die meinen, man müsste jede Woche aus Brüssel etwas nachsteuern“. Auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) begrüßte das Votum: „Die EU-Klimaschutzziele werden bereits im jetzigen System erkennbar erreicht“, so der Vizekanzler, „eine Verknappung würde unsere Industrie zusätzlich belasten.“

Großverbraucher wie die BASF in Ludwigshafen hatten sich klar gegen die künstliche Verteuerung gestellt. „Wir haben kein Vertrauen mehr und befürchten, dass das wieder passiert“, sagte der für die Energiepolitik zuständige Claus Beckmann kürzlich vor Journalisten in Brüssel. „Zertifikate vom Markt zu nehmen ist an sich nicht schlimm, wenn es nach nachvollziehbaren Kriterien geschieht. Wir wehren uns aber dagegen, dass das ein politischer Akt ist.“

Ein Kompromissvorschlag des deutschen Parlamentsberichterstatters Matthias Groote hatte daher vorgesehen, dass die verzögerte Herausgabe von Zertifikaten als einmaliger Vorgang festgeschrieben werden sollte. Man habe 2008 einen „Riesenfehler“ bei der Konstruktion des Emissionshandels gemacht und zu viele CO2-Rechte verteilt, was zusammen mit dem krisenbedingten Produktionsrückgang zum Preisverfall geführt habe: „Mit dem nun abgelehnten Vorschlag hätten wir uns Zeit kaufen können, um strukturelle Reformen beim Emissionshandel vorzunehmen“, so der Sozialdemokrat Groote. Nach der Abstimmung sprach er von einer „destruktiven Position“ des Europaparlaments.

EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard hatte ebenfalls vor einem Nein gewarnt. „Sähe das nicht töricht aus – jetzt, wo wir unsere internationalen Partner von unserem System überzeugen?“ So kündigte China in der Vorwoche an, 2015 ein Emissionshandelssystem aufzubauen. Australien will sich am EU-System beteiligen.

EU-Regierungen wollen Beratungen beschleunigen

Neben den beiden großen Kirchen in Deutschland hatten zuletzt auch Großkonzerne, darunter Shell, Eon, General Electric oder die EnBW, Anzeigen geschaltet, in denen sie für den Anstieg des CO2-Preises warben. Unternehmen, die wegen eines prognostizierten Preises von bis zu 30 Euro etwa in klimafreundliche Gaskraftwerke investiert haben, sehen sich im Nachteil, da bei geringen Emissionskosten deutlich dreckigere Kohlekraftwerke lukrativer sind.

In einem Brief an die Parlamentarier hatte auch Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) zusammen mit fünf europäischen Amtskollegen ein Ja gefordert. „Ohne eine nachhaltige Stärkung des Emissionshandels“, hieß es darin, „wären acht Jahre Klimaschutz verloren.“ Es drohten einseitige nationale Maßnahmen und massive Wettbewerbsverzerrungen. Umweltverbände wie der BUND verurteilten das Abstimmungsergebnis und die Uneinigkeit in der Bundesregierung: „Deutschland trägt große Mitschuld an diesem Desaster.“Weil die EU-Kommission ihren Gesetzesvorschlag nach dem Nein nicht zurückzog, muss er nun im zuständigen Ausschuss erneut beraten werden. Trotzdem sei das Vorhaben „politisch tot“, sagte CDU-Gruppenchef Reul. Allerdings fand eine weitere Abstimmung mit dem Ziel, selbst die weitere Beratung zu untersagen, keine Mehrheit: „Die Sache ist noch nicht endgültig tot“, sagte der SPD-Mann Groote, der auch Vorsitzender des Umweltausschuss ist; er habe jedoch noch „keine Idee“, wie ein neuer Kompromiss aussehen könnte.

Die EU-Regierungen, die parallel zum Europaparlament das Thema beraten müssen und auch wegen der bisher ausgebliebenen deutschen Positionierung noch keine Meinung dazu haben, wollen nun ihre Beratungen beschleunigen. Dies kündigte die irische Ratspräsidentschaft an. Groote appellierte an Bundeskanzlerin Angela Merkel, dort für Klarheit zu sorgen: „Vielleicht sollte sich die ehemalige Klimakanzlerin des größten EU-Mitgliedstaates in der Frage einmal zu Wort melden.“