Die EU ordnet die Vergaberegeln für öffentliche Aufträge neu. Die Umrisse dessen, wie das wohl umfassendste Gesetzespaket im EU-Binnenmarkt schließlich aussehen wird, zeichnen sich schon ab. Und es ergibt sich – wie oft in Europa – ein gemischtes Bild.

Stuttgart - Acht Jahre ist das aktuelle Gesetz schon alt, und manche Betroffene schimpfen immer noch. Seit 2004 hat die EU-Vergaberichtlinie die Abläufe in vielen Rathäusern der Republik auf den Kopf gestellt. Bauaufträge über mehr als fünf Millionen Euro oder Lieferungen, die den Wert von 200 000 Euro überschreiten, müssen europaweit ausgeschrieben werden. „Das ist ein enormer Aufwand, weil das von normalen Sachbearbeitern nicht mehr zu leisten ist und Fachleute eingeschaltet werden müssen“, hat der Sindelfinger Oberbürgermeister Bernd Vöhringer kürzlich bei einem Besuch in Brüssel gesagt, wo das Gesetz herkam: „Das treibt unser Budget für Gutachter nach oben.“

 

Bis zu 30 000 Euro kann so eine europaweite Ausschreibung kosten, hat eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie gezeigt. Das führte dazu, dass auch die Brüsseler Behörde dem Regelwerk „unzureichende Kosteneffizienz“ bescheinigte. Dabei geht es beim Vergaberecht doch gerade darum, durch Wettbewerb öffentliches Geld möglichst effizient einzusetzen.

Ärger für Europapolitiker

Jetzt regelt Europa den Bereich neu – allerdings nicht so, dass kommunale Vertreter wie OB Vöhringer dem dreiteiligen Gesetzespaket hoffnungsfroh entgegenblicken. Stattdessen sagt er: „Wir verfolgen das mit gewissen Sorge.“ Der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab aus Rottweil ahnt, dass das, was nun beschlossen werden soll, schwer erklärbar und ihm als Europapolitiker Ärger einbringen dürfte: „Das wird schlimmer als bei der Glühbirne.“

Vom Vorschlag, den die EU-Kommission vor Jahresfrist vorlegte, ist dabei im Zuge der Beratungen nicht viel übrig geblieben. Mit als erstes begraben wurde die Idee, wonach Stadtkämmerer künftig ihren Kreditbedarf öffentlich und europaweit hätten ausschreiben müssen. Allzu umfassende Kriterien für den erstmals erfassten Bereich der Konzessionen, wenn der Betrieb etwa einer Autobahn oder einer Kantine für lange Zeit in private Hände gelegt wird, wurden ebenfalls wieder gestrichen. Nun biegt der EU-Gesetzgebungsprozess auf die Zielgerade ein: Am Montag haben sich die Wirtschaftsminister der Mitgliedstaaten auf eine Position verständigt, am Dienstag stimmt der Fachausschuss des Europaparlaments ab – bei gut tausend Änderungsanträgen ein wichtiger Fingerzeig dafür, wie das Plenum Ende Januar abstimmen wird.

Die Umrisse dessen, wie das wohl umfassendste Gesetzespaket im EU-Binnenmarkt schließlich aussehen wird, zeichnen sich indes schon ab. Und es ergibt sich – wie oft in Europa – ein gemischtes Bild.

Heiß umkämpfte Punkte in Brüssel

Allseits gelobt wird, dass der bürokratische Aufwand sowohl für Kommunen wie Unternehmen in zwei Punkten tatsächlich geringer wird: Elektronische Vergabesysteme sollen gestärkt und miteinander verbunden werden. Weil hier manche Mitgliedstaaten schon deutlich weiter sind als andere, gibt es eine achtjährige Übergangsfrist bis zum verpflichtenden Einsatz. Wichtiger noch ist, dass nicht mehr jede Firma, sondern nur noch jene, die am Ende den Zuschlag bekommt, auch wirklich alle Dokumenten vorlegen muss. Kleine und mittlere Betriebe werden dadurch gefördert, dass künftig europaweit Großaufträge in sogenannte Lose zerteilt angeboten werden müssen.

Heiß umkämpft dagegen ist in Brüssel noch der Punkt, inwiefern soziale und ökologische Kriterien Teil einer Ausschreibung sein dürfen. Die Regierungen wollen „nicht, dass das Vergaberecht missbraucht wird“, wie ein EU-Diplomat sagt. Vorgaben sollen nur erlaubt sein, wenn sie mit dem Auftragsgegenstand „direkt in Verbindung“ stehen, wie es im Gesetzestext heißt. Ein konstruiertes Beispiel: Schreibt eine Gemeinde das Pflastern eines Platzes aus, dürfte sie nicht vorschreiben, dass die Baufirma aus Gleichstellungsgrundsätzen ebenso viel Frauen wie Männer beschäftigen muss – wohl aber, dass bei der Herstellung der Steine garantiert keine Kinderarbeit im Spiel war. Von verpflichtenden Kriterien aber, wie die Kommission sie wollte, ist keine Rede mehr.

„Bei aller Vereinfachung gibt es ein paar Linien, die wir ziehen müssen“, kritisiert die baden-württembergische SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt. Sie will noch erreichen, dass die Tariftreue als Schutz gegen Lohndumping zur verpflichtenden Vorgabe für ausländische Anbieter wird: „Sozialsysteme der Mitgliedstaaten dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.“

Auftragsvergaben im Sozialbereich

Die deutschen Kreise, Städte und Gemeinden treibt noch anderes um. Sie warnen vor „tiefen Einschnitten in die kommunale Organisationsfreiheit“, wie es in einer Erklärung der kommunalen Spitzenverbände von Ende November heißt. Grund ist, dass künftig auch bisher ausgenommene Auftragsvergaben im Sozialbereich – etwa der Betrieb eines Altenheims – europaweit bekannt gemacht werden müssen.

Zumal auch kommunale Geschäfte im Gesetz auftauchen, für die sich Europa bisher nicht interessierte: die Vergabe an eine andere Kommune, die vielleicht für umliegende Orte Winterdienst leistet, an einen gemeinsamen Zweckverband oder ein Tochterunternehmen wie die Stadtwerke oder das Krankenhaus in Sindelfingen. Da es solche Konstruktionen in kaum einem anderen EU-Land gibt, hat speziell die deutsche Seite – Bundesregierung und Abgeordnete gleichermaßen – vieles in das Gesetz hineinverhandelt, um die bisherige Praxis zu erhalten. So kann ein Auftrag auch weiterhin ohne Ausschreibung an ein Tochterunternehmen gehen, wenn es zu 80 oder mehr Prozent im Besitz der Stadt ist. Der französische Parlamentsberichterstatter Philippe Juvin hatte dies zuerst nur rein öffentlich organisierten Betrieben zugestehen wollen. Die Ausnahme gilt nun aber auch für „Enkel“-Firmen wie in Sindelfingen, wo das Tochterunternehmen Klinik ein eigenes Tochterunternehmen mit der Stromversorgung betraut hat.

Trotzdem wird es Fälle geben, in denen sich Städte und Gemeinde umstrukturieren oder stärker dem Wettbewerb stellen müssen – und zwar überall dort, wo die Stadtwerke zu mehr als 20 Prozent privaten Investoren gehören. „Wir finden das ordnungspolitisch gut, weil es zu einem noch effizienteren Einsatz öffentlicher Mittel führen wird“, heißt es in Kreisen der Bundesregierung. Und auch der CDU-Abgeordnete Schwab verteidigt die Linie, dass sich Unternehmen mit einer nennenswerten privaten Beteiligung Konkurrenten stellen müssen, „wenn wir Ordnungspolitik ernst nehmen“. Für ihn gilt das auch beim heikelsten Thema im Gesetzespaket, der Wasserversorgung.

Privatisierung der Wasserwirtschaft durch die Hintertür

Die neue Konzessionsrichtlinie nämlich bestimmt, dass auch diese Lizenzen öffentlich gemacht werden müssen, wenn der Vergabewert fünf Millionen Euro übersteigt. Der Wert wird künftig nach einheitlichen Kriterien bemessen. „Wer“, fragt EU-Kommissar Michel Barnier, „ könnte gegen Transparenz Einwände erheben?“

Die deutschen Kommunen sehen darin nicht weniger als eine Privatisierung der Wasserwirtschaft durch die Hintertür. „Gerade die kommunalwirtschaftlichen Strukturen bei der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung genießen bei den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland aber höchste Wertschätzung“, schreiben die drei Spitzenverbände Landkreistag, Städtetag sowie Städte- und Gemeindebund in ihrer Stellungnahme. Barnier widerspricht für die EU-Kommission, die in Griechenland auf eine Umsetzung der (allerdings schon Jahre zuvor beschlossenen) Wasserprivatisierung gedrängt und dafür viel Kritik eingesteckt hatte, vehement: „Das berührt in keiner Weise die Autonomie öffentlicher Einrichtungen bei der Entscheidung über die Art der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen“, sagte er der Stuttgarter Zeitung. Ausnahme: Wo schon private Anbieter zum Zug gekommen sind, müssen sie sich auch den Wettbewerbsregeln unterwerfen. Diese könnten nicht in Deutschland „eine Ausnahme verlangen, gleichzeitig aber in anderen EU-Märkten mit anderen Wasserversorgern in den Wettbewerb treten wollen“.

Es muss praktikabel sein

Tatsächlich musste Barnier erst zu den Ausnahmen gedrängt werden, die nun unter den Regierungen und im EU-Parlament mehrheitsfähig sind. Wieder kommt die erwähnte 80-Prozent-Regel ins Spiel: Hält eine Stadt diesen oder einen höheren Anteil seiner Stadtwerke, muss sie die Vergabe einer Konzession dorthin nicht ausschreiben – sonst schon. Zwar besteht keine Pflicht, dann den billigsten Anbieter wählen zu müssen – die SPD-Frau Gebhardt will dennoch auf Nummer sicher gehen und im Parlament erreichen, dass die Wasserversorgung ausdrücklich ganz aus dem Geltungsbereich herausgenommen wird.

Der Sindelfinger Oberbürgermeister Vöhringer muss jetzt erst einmal abwarten, bis die EU-Regierungen und das Europaparlament die letzten Details miteinander geklärt und anschließend Bundestag und Bundesrat die Richtlinie in deutsches Recht überführt haben. Da kann es leicht Ende 2014 oder Anfang 2015 werden, bis er sich konkret anpassen muss. „Der entscheidende Punkt ist: Es muss einfach praktikabel sein“, sagt Vöhringer, der von seinen Erfahrungen mit europaweiten Ausschreibungen nicht viel Positives berichten kann: „Es gibt einfach auch keine Bieter.“