Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag ist erstmals der neu gewählte französische Präsident dabei. Proeuropäer hoffen, dass Deutschland und Frankreich bald den Reformmotor anwerfen. Wenn dieser anspringt, wird das aber nicht allen gefallen.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Auf Ebene der EU-Diplomaten schaut man derzeit in zufriedene Gesichter. Nach den verlorenen Jahren unter François Hollande meldet sich Frankreich in Brüssel zurück. Mit Spannung wird sein Nachfolger Emmanuel Macron an diesem Donnerstag zu seinem ersten EU-Gipfel in Brüssel erwartet. Obwohl sich die Stimmung insgesamt gebessert hat, ist die EU immer noch in der schwersten Krise seit ihrer Gründung. Polen und Ungarn laufen aus dem Ruder, die Staatsschuldenkrise schwelt, in der Flüchtlingsfrage ist kein Konsens über eine faire Verteilung zu erzielen. Die Hoffnung ist, dass ein wieder erstarktes Frankreich zusammen mit Deutschland Reformen anstößt, die neuen Sinn für die EU der 27 stiften. Der Experte für Außenpolitik im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), drückt die Sehnsucht nach einem Impuls aus Paris so aus: „Wir Deutschen können es uns in der EU nicht auf Dauer leisten, allein zu führen.“ Macron hat Eckpunkte seiner europapolitischen Agenda bereits skizziert. Doch es dauert, er hat sich Geduld auserbeten. Bevor der deutsch-französische Reformmotor anspringen kann, will er sich um die französische Innenpolitik kümmern. „Er hat gesagt, dass er erst sein Haus in Ordnung bringen will, bevor er sich der EU zuwendet“, so ein Diplomat. Den Sommer über tagt bereits der deutsch-französische Arbeitskreis, auf den sich Macron und Merkel verständigt haben. Doch in Deutschland beginnt bald die heiße Phase des Wahlkampfs. Schon aus Frankreich kommen wenige Signale, was der deutsch-französische Reformmotor produzieren könnte. Die Minister waren in den letzten Wochen viel zu sehr mit Wahlkampf beschäftigt.

 

Erste Reformvorschläge könnte es im Herbst geben

Wie zu hören ist, gibt es in Berlin noch weniger ein „fertiges Konzept für den Umbau der EU“. Das wäre vor der Bundestagswahl auch schwierig. Brok glaubt, „dass es bald zu Vereinbarungen zwischen Paris und Berlin kommen wird“. Der Verfassungsexperte der Sozialdemokaten im Europaparlament, Jo Leinen, setzt darauf, dass Deutschland und Frankreich beim Herbstgipfel der Staats- und Regierungschefs erste Vorschläge vorlegen könnten. Im Dezember könnte es dann Beschlüsse geben. Der Fahrplan für Reformen hängt aber auch davon ab, wie weitgehend sie sein sollen. Brok macht sich zunächst einmal dafür stark, nur die Reformen anzugehen, die mit den bestehenden EU-Verträgen machbar sind.

Der Sozialdemokrat Leinen will dagegen mehr: „Ich bin dafür, die Änderungen offen und unter Beteiligung der Parlamente zu entscheiden. Dies darf nicht hinter den verschlossenen Türen des EU-Rates stattfinden.“ Bei einer Änderung der EU-Verträge kann das Europaparlament verlangen, dass ein Verfassungskonvent einberufen wird. Leinen ist dafür: „Das muss nicht lange dauern. Es steht nicht eine Generalrevision der EU-Verträge an, sondern nur Veränderungen in einigen Punkten.“ Allerdings: Bei Veränderungen müsste zwangsläufig in Irland ein Referendum stattfinden, auch in Frankreich und Österreich sei es möglich. Das birgt Gefahren.

Eurozone soll robuster werden

Bei Referenden hat sich Europa wiederholt eine blutige Nase geholt. Lange hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen des ungewissen Ausgangs von Volksbefragungen Verfassungsänderungen abgelehnt. Macron will die EU-Verträge ändern, bei seinem Antrittsbesuch in Berlin hat sich Merkel immerhin aufgeschlossen in dieser Frage gezeigt. Ein hochrangiger deutscher Politiker hält Macrons Fahrplan – also erst Paris, danach Brüssel – für die richtige Strategie: „Wenn er zu Hause Erfolg hat, wofür viel spricht, dann verleiht ihm das in Brüssel die nötige Durchschlagskraft.“

Und diese Reformen sind im Gespräch: Am wichtigsten ist das Anliegen, die Eurozone robuster und handlungsfähiger zu machen. Dazu hat es bereits Vorgespräche mit Berlin gegeben. Paris wird keine „Euro-Bonds“ fordern, die in Deutschland als Instrument zur Vergemeinschaftung von Schulden gesehen und deswegen abgelehnt werden. Es könnte aber ein EU-Kommissar zum Chef der Eurogruppe ernannt werden und damit zu einer Art Finanzminister der Eurozone aufsteigen.

Macron hat zudem vorgeschlagen, dass die Eurozone ein eigenes Budget bekommt. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise von den Hauptstädten der Eurozone gegründet wurde, könnte zu einem Europäischen Währungsfonds ausgebaut werden. Mit diesen Plänen ist Macron nicht allein. Die EU-Kommission hat kürzlich ein Reflexionspapier zur Reform der Eurozone vorgestellt, in dem Teile davon vorkommen. Auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat bereits Sympathien für einen Europäischen Währungsfonds erkennen lassen. Ob er allerdings damit einverstanden ist, der EU-Kommission in Brüssel über einen Euro-Finanzminister mehr Einfluss auf die Eurozone zu geben, darf bezweifelt werden.

Macron schlägt sogar ein Europarlament vor

Mit Reformen der Eurozone ist es aber auch so eine Sache: Länder etwa wie Polen, Ungarn und Dänemark, die bei der Währungsunion (noch) nicht dabei sind, beobachten die Schritte zur Vertiefung als Bedrohung. Sie befürchten, innerhalb der EU an Gewicht zu verlieren. Sie werfen Macron vor, ein Europa der zwei Geschwindigkeiten zu wollen, in dem sie zu Mitgliedern zweiter Klasse werden könnten. Ohnehin nimmt das Gewicht der Länder, die die Gemeinschaftswährung haben, in der EU zu. Wenn Großbritannien im März 2019 raus ist, gibt es im Kreis ein großes EU-Land ohne den Euro weniger. Macron schlägt sogar ein Europarlament vor, um die demokratische Kontrolle der Einheitswährung direkt zu verankern. Damit eckt er bei den EU-Abgeordneten an, die eine Abwertung ihrer Kammer befürchten. Dafür gibt es einen Vorstoß für mehr Transparenz und Demokratie, der in der Volksvertretung, aber auch in den Hauptstädten verfangen könnte. Macron will transnationale Listen bei den Europawahlen. Jeder EU-Bürger hätte zwei Stimmen, könnte jeweils einen Kandidaten auf der nationalen Liste und einen auf der internationalen Liste ankreuzen. Dadurch würden sich, so die Hoffnung, auch Europapolitiker aus anderen Mitgliedstaaten stärker profilieren können; der Trend hin zu einer EU-Innenpolitik würde sich verstärken. Die EU-Spitzenkandidaten der Parteien – seit der letzten Wahl wird praktiziert, dass der Sieger an die Spitze der Kommission rückt – könnten den ersten Platz auf der internationalen Liste bekommen. Bis jetzt tauchen die Spitzenkandidaten lediglich in ihren Heimatländern auf den Listen auf. Fest steht: Die transnationalen Listen würden nicht am Widerstand aus Deutschland scheitern. SPD, Grüne und Union haben sich wiederholt dafür ausgesprochen. Die italienische Regierung hält transnationale Listen sogar ohne eine Verfassungsänderung für möglich.