Im letzten Zipfel Aleppos, der noch unter Kontrolle der Rebellen steht, hat die lang erwartete Evakuierung begonnen. Das Rote Kreuz rechnet einem tagelangen Abzug. In Brüssel ringen die EU-Staats- und Regierungschefs die Hände über Syrien, wirken dabei aber ratlos.

Beirut/Brüssel - Im Umgang mit der dramatischen Lage in Aleppo haben die Staats- und Regierungschefs der EU ihre mangelnde Handlungsfähigkeit eingeräumt. „Angesichts der Brutalität des syrischen Regimes und dessen Unterstützern, vor allem Russland und den Iran, sind wir nicht so effektiv wie wir das gerne wären“, erklärte Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstagabend zum Abschluss des Brüsseler EU-Gipfels vor Reportern. „Leider weiß ich, wer effektiv genug ist, nicht bei humanitärer Hilfe, sondern beim Bomben.“

 

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gestand Ohnmacht ein. Jeder sehe etwas im „21. Jahrhundert, was zum Schämen ist, was das Herz bricht, was zeigt, dass wir politisch nicht so handeln konnten, wie wir gerne handeln würden.“

Aus Aleppo, dem aktuellen Brennpunkt im Syrien-Konflikt, rollten am Donnerstag erste Konvois mit Zivilisten und Rebellenkämpfern. Damit begann der lang erwartete Abzug aus der letzten Rebellengegend in der umkämpften Stadt. Das Staatsfernsehen zeigte einen langen Konvoi von Rettungswagen und grünen Bussen, der aus dem Ostteil herausfuhr und sich in Richtung eines ländlichen und von Rebellen gehaltenen Gebiets der Provinz Aleppo bewegte. Das russische Verteidigungsministerium meldete später einen zweiten Konvoi.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz rechnet mit langwierigen Evakuierungen. Sie dürften mehrere Tage dauern, sagte Sprecherin Ingy Sedky. Am Abend hätten 13 Rettungswagen mit verletzten Personen die winzige Rebellengegend in Aleppo verlassen. Ein früherer Konvoi aus Bussen und Rettungswagen hatte rund 1000 Menschen transportiert, darunter 300 Kinder und 28 verletzte Menschen.

Die Evakuierungen sind Teil eines Waffenruheabkommens, das nach russischen Angaben Sicherheitsgarantien für alle abreisewilligen Aufständischen vorsieht. Zuvor hatte eine massive Regierungsoffensive die Oppositionskämpfer aus nahezu dem gesamten Osten Aleppos vertrieben, den sie seit 2012 kontrolliert hatten. Hunderte Zivilisten sind bei der Regierungskampagne zur Rückeroberung der Stadt getötet und Zehntausende vertrieben worden.

Russland unterstützt Assad mit Luftangriffen

Russland ist ein wichtiger Verbündeter des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und unterstützt dessen Truppen seit über einem Jahr mit Luftangriffen.

Vier syrische Hilfsorganisationen warfen Moskau eine Beteiligung oder eine Verantwortung für Kriegsverbrechen vor. In einem Brief an eine UN-Ermittlungskommission listeten die Gruppen allein 304 Attacken in Aleppo auf, bei denen Russland „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ gegen internationales humanitäres Recht verstoßen habe. Die Angriffe hätten 1207 Zivilisten das Leben gekostet, darunter 380 Kindern.

Die Übergabe der letzten von der Opposition regierten Viertels Aleppos an die Regierung wäre ein Wendepunkt im Syrischen Bürgerkrieg. Präsident Baschar al-Assad hätte damit die Kontrolle über die meisten der städtischen Zentren des Landes. Assad sagte, mit dem Sieg über die Aufständischen in Aleppo werde „Geschichte geschrieben“. Was geschehe, sei „größer als Beglückwünschungen“, erklärte Assad am Donnerstag in einer Videobotschaft auf dem Kanal der syrischen Präsidentschaft.