Die EU stellt sich wieder auf steigende Flüchtlingszahlen ein, wenn die See zwischen Libyen und Italien ruhiger wird. Partnerschaften mit Afrika sollen helfen, der Krise Herr zu werden.

Valletta - Wenn der Winter seinen Griff lockert, die Stürme nachlassen und die See ruhiger wird, dann schnellen die Zahlen wieder nach oben. Zehntausende Flüchtlinge, die die lebensgefährliche Überfahrt von Nordafrika über das Mittelmeer wagen, werden in diesem Jahr wieder in Europa erwartet. Tausende werden die Fahrt wieder nicht überleben. Im Wettlauf mit der Zeit sucht die EU nach einer Lösung.

 

„Wenn der Frühling kommt, wird die Zahl der Menschen, die das Mittelmeer überqueren, einen Rekord erreichen“, sagt Joseph Muscat, der Ministerpräsident von Malta, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. „Wir haben die Wahl, jetzt etwas zu tun, oder im April, Mai zu Krisentreffen zusammenzukommen - und dann zu versuchen, eine Einigung zu erreichen.“

Auf dem Schirm hat die Europäische Union sogenannte Migrationspartnerschaften mit Afrika. Von dort kommen die weitaus meisten der Flüchtlinge, die von Libyen oder Ägypten aus auf klapprigen und überfüllten Booten Richtung Italien in See stechen. Viele von ihnen fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern vor einem Leben in Armut und Not. Damit haben sie wenig Chancen, auf Dauer in Europa bleiben zu dürfen. Trotzdem riskieren sie alles.

Rund 4500 Menschen starben oder verschwanden im vergangenen Jahr bei der gefährlichen Überfahrt. Mehr als 180 000 schafften es derweil bis nach Italien. Trotz des Winters und der widrigen Bedingungen haben es auch in diesem Jahr schon wieder Hunderte versucht und ihre Zukunft in die Hände von Schleusern gelegt. Doch vermutlich mehr als 100 bezahlten allein am vergangenen Wochenende mit ihrem Leben.

Mit der Erfahrung, dass ihr umstrittener Deal mit der Türkei die Flüchtlingszahlen in Griechenland stark reduziert hat, blickt die EU nun nach Afrika. Niger, Nigeria, Äthiopien, Mauretanien, Mali, Senegal und Tschad gehören zu den Ländern auf dem Radar der Europäischen Union. Sie sollen Unterstützung erhalten, um die Schleuser zu bekämpfen.

Niger etwa ist wichtiges Transitland für Flüchtlinge aus Westafrika. Erste Abkommen greifen nach Angaben aus Brüssel schon. Die Deals sind zwar umstritten und teuer - doch die Erfahrungen aus dem Abkommen mit der Türkei, die gegen Geld und Entgegenkommen Flüchtlinge stoppt oder wieder zurücknimmt, gilt als vielversprechende Blaupause: Die Menschen sollen möglichst gebremst werden, bevor sie ihr Leben auf dem Mittelmeer verlieren - oder in die EU gelangen.

Neben dem Versuch, Migranten von der Weiterreise nach Europa abzuhalten, zielen die Migrationspartnerschaften auch auf schnellere Abschiebungen nach Afrika. Nicht-Regierungsorganisationen werfen der EU vor, mit autoritären Regimen zu verhandeln, die die Menschenrechte mit Füßen treten. Transitländer würden so zu Türstehern der EU gemacht, kritisiert etwa die Organisation Pro Asyl.

Keine Zentralregierung in Libyen

Haben die Flüchtlinge erst einmal die Strapazen und Erniedrigungen auf dem Weg durch gefährliche Gebiete und die Wüste geschafft, sind vor allem Libyen und Ägypten Startpunkte für die Fahrt übers Mittelmeer. Auf Abkommen mit diesen beiden Ländern setzt der maltesische Ministerpräsident Muscat.

Bei Libyen zumindest stehen die Karten schlecht, denn dort gibt es keine Zentralregierung, die einen dauerhaften Deal aushandeln und durchsetzen könnte. „Die Realität in Libyen sieht derzeit so aus, dass es keine geeinte Regierung gibt, die alle Teile des Landes kontrolliert“, sagt der Libyen-Experte Carlo Binda von der Politikberatungsagentur Binda Consulting International in Malta.

Aber dafür existierten „jede Menge Gruppen, die bereit sind, alles zu torpedieren, wenn für sie dabei etwas herausspringt“. Bei Ägypten sind die Chancen besser. Von dort sind nach Angaben der EU-Grenzagentur Frontex in den vergangenen Monaten viele vom Horn von Afrika stammende Flüchtlinge gestartet, die das gefährliche Libyen meiden wollten. Aber auch Ägypter sind zunehmend unter den Migranten. Trotz aller Kritik an seiner Menschenrechtsbilanz gilt Präsident Abdel Fattah al-Sisi als Mann, mit dem es sich zu sprechen lohnt.

„Ägypten ist das Land, mit dem man ein Abkommen erzielen könnte“, sagt der maltesische Außenminister George Vella. „Es herrscht zu einem gewissen Grad Stabilität und sie haben Interesse, weil sie auch selbst Probleme mit Migration haben.“

Derweil drängt die Zeit. Zum einen drücken die Spannungen innerhalb der Union. „Es wird kompliziert“, sagt Ministerpräsident Muscat dazu. „Ich würde lieber jetzt die Suppe auslöffeln.“ Andererseits kommt in ein paar Monaten der Frühling - und mit ihm wieder mehr Menschen, für die die See zum Grab wird.