Exklusiv „Sehr froh über die Entscheidung“ der Schotten hat sich EU-Kommissar Günther Oettinger geäußert. Schottlands Unabhängigkeit hätte seiner Ansicht nach „die Gefahr erhöht“, dass die Briten im Referendum 2017 für einen EU-Austritt stimmen.

Brüssel - Irgendwie ist die Erleichterung in Brüssel verständlich gewesen, weil der EU bei einem Ja der Schotten zur Unabhängigkeit zusätzlich zur ökonomischen und sicherheitspolitischen Krise in der Ukraine auch noch eine Verfassungskrise gedroht hätte. Nun sind komplizierte Gespräche mit einem unabhängigen Schottland über einen Beitritt unnötig, und Kommissionschef José Manuel Barroso nannte den Ausgang des Referendums „gut für das vereinte, offene und stärkere Europa, für das die Kommission eintritt“. Seine Sprecherin hatte danach Mühe, Presseleuten aus Spanien zu erklären, dass ein unabhängiges Katalonien deshalb nicht automatisch schlecht sein müsse – doch seien „starke Mitgliedstaaten wichtig für ein starkes Europa“.

 

Mit seiner Parteinahme freilich stand Barroso nicht allein – fast unisono wurde das Nein begrüßt. „Europa ist knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt“, sagte die CDU-Europaabgeordnete Inge Gräßle. Sie meint nicht zuletzt einen noch stärkeren Auftrieb für andere Bewegungen. Wenig überraschend war daher die Freude bei Spaniens Zentralregierung und in Belgien, wo die Nationalistenpartei N-VA auf Flanderns Abspaltung drängt. Ein Regierungsdiplomat glaubt, dass „die N-VA nun moderatere Töne anschlagen muss“.

80 Prozent der Schotten sind pro-europäisch

Mehrere strategische Überlegungen führt EU-Kommissar Günther Oettinger im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung dafür an, warum er „sehr froh über die Entscheidung“ ist. Erstens müsse man nun „in dieser schwierigen Zeit keine Kraft für Strukturdebatten aufwenden, die wir an anderer Stelle dringend brauchen“. Zweitens sei „Unruhe an den Finanzmärkten vermieden worden“ wegen der Frage, mit welcher Währung in einem unabhängigen Schottland bezahlt werde. Und drittens hätte eine Abspaltung seiner Ansicht nach „die Gefahr erhöht“, dass die verbliebenen Briten in dem für 2017 geplanten Referendum für einen Austritt aus der EU stimmen: „Die Schotten sind zu 80 Prozent proeuropäisch eingestellt. Das ist eine Verstärkung der Zahl der Wähler, die für einen Verbleib stimmen werden.“

Zugleich aber gab es viele Stimmen in Brüssel, die davor warnten, zur Tagesordnung überzugehen. „Fundamentalopposition gegen Unabhängigkeitsbewegungen zu betreiben oder diese zu ignorieren ist keine Lösung“, sagte der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen. Seine CSU-Kollegin Angelika Niebler sprach von einem „Weckruf in Richtung Eigenständigkeit der Regionen in Europa. In einer zunehmend globalisierten Welt bieten Tradition, Kultur und Regionalität Halt für viele Bürgerinnen und Bürger“. Beide sehen dabei wie Oettinger („Die Schotten wollten keine Kompetenzen aus Brüssel zurück, sondern aus London“) vor allem die Mitgliedstaaten in der Pflicht. sein. Sie sollten ihre föderalen Strukturen stärken.

Intensivere Regionalpolitik nötig

Aber auch in Brüssel sieht Niebler Nachholbedarf. So werde der Ausschuss der Regionen zwar als Forum des Austauschs geschätzt, „aber bei der konkreten EU-Gesetzgebung hört und sieht man nicht viel von ihm“. Veränderungen wurden auch bei dem milliardenschweren Strukturfonds angemahnt. „Die EU-Regionalpolitik muss sich intensiver damit befassen, wie die Wohlstandsgefälle besser und effektiver beseitigt werden können“, sagte die CDU-Politikerin Gräßle. Für Martin Schulz, den sozialdemokratischen Präsidenten des Europaparlaments, ist die Ursache der verstärkten Absetzbewegungen die soziale Ungleichheit sowie der Unwille reicher Regionen, ärmere Landesteile zu unterstützen.