Unter der Führung Frankreichs formiert sich der Winzer-Widerstand gegen eine 2008 beschlossene Reform.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Brüssel - Bruno Lemaire ergriff als Erster das Wort. „Wir werden kämpfen, bis wir vollständig gewonnen haben“, donnerte Frankreichs Agrarminister vor Europarlamentariern in Brüssel. Im Visier hatte er bei dem unlängst organisierten Lobby-Treffen ein EU-Beschluss, die sein Land 2008 noch selber abgesegnet hatte: die Zulassung neuer Weinbaugebiete vom 1. Januar 2016 an im ganzen EU-Gebiet.

 

Initiatorin der Liberalisierung war die damalige dänische Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer-Boel. Der Beschluss war Teil eines komplizierten Kompromisses, der es den Winzern im Gegenzug erlaubte, statt Traubenzucker weiter den billigeren Rübenzucker zur Weinzuckerung zu verwenden. Aus diesem Grund ging die Liberalisierung der sogenannten Pflanzrechte glatt durch.

Heute dämmert Zehntausenden von Winzern in Frankreich, Spanien oder Italien langsam, was das für sie bedeutet. „Die Abschaffung der Anbaugrenzen würde den Weinmarkt völlig durcheinanderbringen“, meint François Patriat, der Präsident des Regionalrats der französischen Weinbauregion Burgund. „Die Folge wären ein Qualitätsrückgang, Preisverfall, dazu Umweltschäden und das wahrscheinliche Ende von Rebzonen, welche die Essenz und die Reichhaltigkeit der Burgunderweine ausmachen.“ Und nicht nur der Burgunderweine. Winzer aus ganz Europa vereinigen sich im „Appell von Dijon“ – benannt nach der französischen Weinbaumetropole – , um die Beibehaltung der heutigen Rebumfänge zu verlangen. Auch Präsident Nicolas Sarkozy, der bei dem ominösen EU-Beschluss im Jahr 2008 bereits in Amt und Würden gewesen ist, drückt ihnen nun seine „totale Unterstützung“ aus.

Das Agrarministerium in Paris baut hinter den Kulissen die Abwehrfront auf. 15 Länder sind schon dabei, neben den Großproduzenten Frankreich, Italien und Spanien auch etwa Deutschland, Österreich, Portugal, Ungarn und Griechenland. Zusammen stellen sie zwar die Mehrheit der EU-Mitglieder, doch kommen sie nicht auf die nötige Zweidrittelmehrheit, um den Beschluss umzustoßen.

Frankreich lässt die Beziehungen spielen

Frankreich lässt aber auch seine Beziehungen nach Belgien und Polen spielen. Der aktuelle Agrarkommissar Dacian Ciolos, dessen Heimatland Rumänien auf der Seite der Winzer steht, beginnt einzulenken: Er will die Frage nun bis Ende des Jahres in einer Studie prüfen lassen. Gut möglich, dass die EU-Kommission darauf beruhend ihre Entscheidung von 2008 revidiert und die Weinbaugebiete flächenmäßig weiter begrenzt.

Die großen Weinproduzenten haben an sich ein triftiges Argument: bisher betreibt die EU eine Weinbaupolitik, die das Gegenteil der angestrebten Ausweitung von Anbauflächen ist. Sie zahlt nämlich seit Jahren hohe Prämien für den Abbau der Rebflächen, um der Überproduktion Herr zu werden. So haben Europas Winzer in den letzten Jahren vier Prozent aller Rebberge gerodet, und sechs Prozent des Traubensaftes wurde zu Industriealkohol destilliert. Wenn die Operation Ende 2012 ausläuft, wird Brüssel dafür rund eine Milliarde Euro bezahlt haben.

Warum hatte dann die EU 2008 überhaupt beschlossen, die Pflanzrechte zu erweitern? Der allgemeine Wunsch der Kommission, den EU-Agrarmarkt zu liberalisieren, erklärt nicht alles. Ein weiterer Grund ist, dass die Nachfrage der globalen Märkte nach Rotwein immer mehr steigt. Vor allem die Chinesen trinken mehr denn je, und Bordeaux- oder Burgunderproduzenten erzielten Ende vergangenen Jahres einen zweistelligen Exportzuwachs für ihre Edeltropfen.

Der Verband der französischen Weinhändler (Agev) ist deshalb für die Ausdehnung der Anbaugebiete – denn dies verspricht einen höheren Absatz nach Fernost. Die Kaufleute verweisen auch darauf, dass die Weingebiete wegen der Erderwärmung über Deutschland und Frankreich hinaus bis nach England und Skandinavien vordringen; dies spreche ebenfalls für die Rebenreform Brüssels. Ausgerechnet die EU-Liberalisierer bringen damit das Argument der Klimaerwärmung ins Spiel. Ganz nüchtern.