Politiker verlangen Aufklärung zu den Vorwürfen, Daimler und weitere vier Autohersteller hätten sich jahrzehntelang rechtswidrig über Technik, Kosten und Märkte abgesprochen. BMW weist einen Teil der Vorwürfe zurück.

Stuttgart - Die deutsche Automobilbranche steht nach Vorwürfen zu jahrzehntelangen rechtswidrigen Absprachen untereinander mit dem Rücken zur Wand. Die EU-Kommission in Brüssel zeigte sich alarmiert und prüft den Kartellverdacht. Die Autobranche ist wegen der Manipulation von Abgaswerten ohnehin schon unter Druck.

 

Dem Magazin „Der Spiegel“ zufolge haben sich die fünf führenden Marken – VW, Audi, Porsche, BMW und Mercedes-Benz – seit den neunziger Jahren in geheimen Zirkeln über die Technik ihrer Fahrzeuge, über Kosten, Zulieferer, Märkte und Strategien abgesprochen. Der „Spiegel“ beruft sich auf einen Schriftsatz, den VW bei den Wettbewerbsbehörden eingereicht haben soll. Dieser sei eine Art Selbstanzeige.

Scharfe Töne schlägt Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück an

Treffen die Vorwürfe zu, könnte es sich um eines der größten Kartelle der deutschen Wirtschaftsgeschichte handeln. Die Wettbewerbsbehörden prüfen die Vorwürfe derzeit. „Die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt haben diesbezüglich Informationen erhalten, welche zur Zeit von der Kommission geprüft werden“, sagte ein EU-Sprecher in Brüssel. Laut „Spiegel“ hat die Kommission bei den Unternehmen bereits Unterlagen beschlagnahmt und erste Zeugen befragt.

Scharfe Töne schlägt Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück an: Er sieht sein Unternehmen wegen der Abgas-Affäre hintergangen und fordert die Entlassung von Vorständen bei der VW-Konzernschwester Audi. „Ich werde es nicht zulassen, dass Porsche durch Tricksereien von Audi in Gefahr gerät“, sagte Hück der „Bild am Sonntag“. „Eigentlich muss der Audi-Aufsichtsrat die Vorstände freistellen.“ Bei Audi sollen Teile des Skandals ihren Ursprung haben. Von Audi gingen 3,0-Liter-Dieselantriebe, deren Betrieb zumindest in den USA nicht vorschriftsgemäß war, an Porsche und VW. Dies seien „kranke Motoren“ gewesen, sagte Hück: „Wir fühlen uns von Audi betrogen.“ Er könne nun „diese ganzen Lügen nicht mehr ertragen“. Hück sagte mit Blick auf die Audi-Chefetage: „Immer und immer wieder haben sie uns versichert, dass die Motoren in Ordnung sind, sogar schriftlich. Nichts davon stimmte, ich glaube denen gar nichts mehr.“ Er wünsche sich, „dass die Herren Vorstände für den Schaden zahlen müssen, den sie angerichtet haben“.

„Kultur des Wegschauens“

Autoexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach sprachen angesichts der Kartellvorwürfe von einem „Super-Gau für die Glaubwürdigkeit“ der Branche. Die Anschuldigungen kämen angesichts der Diskussion über Diesel-Fahrverbote in Städten, Nachrüstungen von Diesel-Fahrzeugen und rückläufigen Diesel-Neuzulassungen zur Unzeit. Er gab der Politik eine Mitschuld – wegen der „Kultur des Wegschauens“. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte, Absprachen wären eine zusätzliche Belastung für die Branche. „Die Kartellbehörden müssen ermitteln, die Vorwürfe detailliert untersuchen und gegebenenfalls notwendige Konsequenzen ziehen“, so Dobrindt. Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte Aufklärung: „Wenn sich die Kartellvorwürfe bestätigen sollten, wäre das ein ungeheuerlicher Vorgang. Es wäre ein gigantischer Betrug zulasten der Kunden und der oftmals mittelständischen Zulieferunternehmen.“ In diesem Fall müssten die verantwortlichen Manager die Konsequenzen tragen.

Auch im Fall illegaler Absprachen zwischen Automobilherstellern sind einem Kartellrechtler zufolge Klagen von Pkw-Käufern möglich. „Die Frage ist, ob Autos durch mögliche Kartellabsprachen auf einem schlechteren technischen Stand verkauft wurden, als sie hätten sein können“, so Christian Kersting von der Universität Düsseldorf. „Das könnte ein argumentativer Ansatz sein. Klagen von Autokäufern sind deshalb nicht ausgeschlossen.“ Vor Gericht sei es aber sehr schwer nachzuweisen, dass ein finanzieller Schaden entstanden sei.

BMW: Unsere Technologie unterscheidet sich von anderen

BMW wies derweil den Verdacht wettbewerbswidriger Absprachen bei der Abgasreinigung zurück. „Diskussionen mit anderen Herstellern über AdBlue-Behälter zielten aus Sicht der BMW Group auf den notwendigen Aufbau einer Betankungsinfrastruktur in Europa ab. Wir suchen auch in der Abgasreinigung den Wettbewerb.“ Die von BMW eingesetzte Technologie unterscheide sich deutlich von anderen im Markt. Laut „Spiegel“ haben sich die Hersteller über die Größe der Tanks für das Harnstoffgemisch AdBlue abgesprochen. Es wird gebraucht, um Stickoxide zu neutralisieren. Aus Kostengründen hätten sie sich auf kleine Tanks verständigt. Doch diese reichten nicht mehr für strengere Abgaswerte aus, deshalb hätten die Firmen getrickst.

Zu den anderen Vorwürfen in dem „Spiegel“-Artikel wollte sich BMW nicht äußern. „Wir wissen nichts von Ermittlungen gegen uns“, sagte ein Konzernsprecher lediglich. Die anderen betroffenen Unternehmen hielten sich bedeckt: „Zu Spekulationen und Sachverhaltsvermutungen . . . äußern wir uns nicht“, sagte Volkswagen-Chef Matthias Müller der „Rheinischen Post“. Daimler teilte dem „Spiegel“ mit, sich grundsätzlich nicht zu Spekulationen äußern zu wollen. Der Automobilbauer hat laut dem Magazin ebenfalls eine Art Selbstanzeige eingereicht.