Die Brüsseler Kommission wird künftig nur wissen, wie viele Vorabsprachen die Finanzbehörden mit Unternehmen treffen – wegen konkreter Verstöße ermitteln kann sie damit nicht. Das wollten auch die deutschen Bundesländer nicht.

Brüssel - Viele lobende Worte werden die EU-Finanzminister finden, wenn sie am Dienstag das Gesetz zum Austausch sogenannter Steuervorbescheide beschließen. Tatsächlich galt es lange als unvorstellbar, dass die nationalen Finanzbehörden einmal automatisch von den Kollegen in den Nachbarstaaten erfahren würden, wie diese welche ausländischen Unternehmen besteuern. Die Empörung über die Ministeuern großer Multis speziell nach den Enthüllungen aus Luxemburg vor einem Jahr zwang Wolfgang Schäuble & Co. dazu, sich in Rekordzeit zu einigen; bei einem Thema, bei dem die EU-Verträge noch Einstimmigkeit vorsehen.

 

Alles bestens ist damit aber nicht: Auf dem Weg zum Kompromiss ist die Gesetzesinitiative der EU-Kommission vom März massiv verwässert worden. Aus der Beschlussvorlage für die Minister, die der Stuttgarter Zeitung vorliegt, ist ersichtlich, dass zentrale Punkte weniger strikt sind, als der für Steuerdinge zuständige Kommissar Pierre Moscovici vorgeschlagen hatte. So müssen künftig bis zu fünf Jahre alte Steuervorbescheide, in denen die Behörden einem Unternehmen darlegen, wie sie konzerninterne Verrechnungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft oder Lizenzgebühren steuerlich behandeln werden, an die möglicherweise betroffenen Staaten übermittelt werden. Die Kommission hatte eine Rückwirkung von zehn Jahren vorgeschlagen, weil manche dieser „tax rulings“ länger als fünf Jahre gelten.

Nicht nur die Niederlande setzt sich für kürzer Frist ein

Für die kürzere Frist und damit einen schlechteren Überblick über verschiedene Steuervermeidungsmodelle setzten sich EU-Diplomaten zufolge nicht nur die Niederlande mit ihrem berüchtigten Starbucks-Hauptsitz ein, sondern auf Geheiß der deutschen Bundesländer, die einen großen Teil der Steuerverwaltung unter sich haben, auch die Bundesregierung: Die Finanzverwaltungen in den Ländern hätten, so heißt es, „sonst tief in den Keller steigen müssen“. In einem Beschluss des Bundesrats vom Mai ist etwas eleganter von „verwaltungsökonomischen Gründen“ dafür die Rede, dass man die Informationspflicht am liebsten „nur für zukünftig erteilte ,tax rulings‘“ gesehen hätte.

Für die gravierendste Änderung gegenüber dem Ursprungsvorschlag sind die Länder ebenfalls mitverantwortlich: Einsicht in die ausgetauschten Vorbescheide erhalten nur die Behörden der Länder, denen dadurch eventuell Steuereinnahmen entgehen oder bereits entgangen sind – nicht jedoch die EU-Kommission. Sie erfährt laut Artikel 6 des neuen Gesetzes nur vom Datum der Bescheide und deren Gesamtzahl, die Namen der begünstigten Unternehmen bleiben ihr aber ebenso verborgen wie die Summen, um die es geht.

Am Ende drohen milliardenschwere Strafen für Konzerne

In der Bundesregierung wird abgewiegelt: „Die Kommission erhält die Daten auch – allerdings nur in anonymisierter Form“, sagt ein EU-Diplomat. Das ist ganz im Sinne des Bundesratsbeschlusses, der die Weitergabe „sensibler Daten“ nach Brüssel als „nicht verhältnismäßig“ kritisierte: Wenn die nationalen Behörden in Zukunft davon erführen, dass sich ein heimisches Unternehmen im EU-Ausland bei den Abgaben einen schlanken Fuß macht, könnten diese schon selbst die Konsequenzen ziehen. Das stimmt aber nur zum Teil. Wenn nämlich die Wettbewerbshüter der Kommissarin Margrethe Vestager, die unter anderem schon gegen Irland und Apple sowie Amazon und Luxemburg ermitteln, keine weiteren Firmennamen erfahren, können sie auch keine neuen Beihilfeverfahren wegen einer indirekten steuerlichen Subventionierung eröffnen. An deren Ende können milliardenschwere Strafen für die Unternehmen stehen.

Die EU nutzt damit ihr schärfstes Schwert gegen deren Steuervermeidungsstrategien nicht. „Steuervorbescheide haben auch eine wettbewerbsrechtliche Dimension“, sagt etwa der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, freilich ohne Hinweis auf die starke Opposition der Bundesländer: „Deswegen muss die Kommission selbstverständlich auch die Daten dafür nutzen dürfen, um zu überprüfen, ob diese Regeln eingehalten werden.“ Der FDP-Europaabgeordnete Michael Theurer fordert deshalb weiter ein Zentralregister nach dem Vorbild der Schweiz, „wo zwischen den Kantonen ein fairer Steuerwettbewerb herrscht“. Dazu kommt es nun nicht. Steuerkommissar Moscovici wird am Dienstag dennoch lobende Worte finden.