Die Luxemburger Richter halten es für zulässig, dass Beschäftigte im Ausland bei der Aufsichtsratswahl ausgeschlossen sind. Wer aus Deutschland ins Ausland zieht, darf seine Rechte nicht mitnehmen.

Stuttgart - Das deutsche Gesetz zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften verstößt nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht gegen Europarecht. Es ist aus Sicht der Luxemburger Richter zulässig, dass die Mitarbeiter eines Konzerns in Deutschland weiter gehende Mitbestimmungsrechte haben als Beschäftigte bei Tochtergesellschaften im europäischen Ausland. Zustande gekommen ist das Urteil (Rechtssache C-566/15) durch eine Klage des Kleinaktionärs Konrad Erzberger gegen die Zusammensetzung des Aufsichtsrats des Touristikunternehmens Tui nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976. Der Konzern beschäftigt etwa 50 000 Menschen, von denen nur 10 000 in Deutschland arbeiten. „Die deutschen Mitbestimmungskritiker – allen voran Herr Erzberger – haben heute in Luxemburg Schiffbruch erlitten. Nun steht höchstrichterlich fest: Die deutsche Unternehmensmitbestimmung ist ohne jeden Zweifel vereinbar mit dem Europarecht“, freute sich Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

 

Die Entscheidung des Berliner Kammergerichts steht noch aus

Der Kläger betrachtet es als Ausländerdiskriminierung, dass 80 Prozent der Beschäftigten nicht an der Wahl des Aufsichtsrats beteiligt sind und auch nicht in den Aufsichtsrat gewählt werden können. Außerdem sieht er es als Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU an, dass ein Beschäftigter bei einem Wechsel ins Ausland sein Wahlrecht und gegebenenfalls sein Aufsichtsratsmandat verliert. Erzberger klagte zunächst vor dem Landgericht Berlin und verlor. Das Urteil der zweiten Instanz steht noch aus. Das Berliner Kammergericht hat vorab dem EuGH die Frage gestellt, ob die deutsche Mitbestimmung gegen das Diskriminierungsverbot und die Arbeitnehmerfreizügigkeit verstößt. Die Berliner Richter hatten das zumindest für „vorstellbar“ gehalten.

Das Urteil des EuGH fällt nun eindeutig aus. Danach hindert das Unionsrecht einen Mitgliedstaat nicht daran, seine Vorschriften zur Interessenvertretung im Aufsichtsrat auf Mitarbeiter inländischer Betriebe zu münzen. Zur Arbeitnehmerfreizügigkeit heißt es, dass sie einem Arbeitnehmer nicht garantiere, dass ein Umzug ins EU-Ausland „in sozialer Hinsicht neutral sein wird“.

Der Mitbestimmungsexperte Rüdiger Krause ärgert sich über die Klage

Erzberger wollte mit seiner Klage erreichen, dass die deutsche Mitbestimmung ausgehebelt und der Tui-Aufsichtsrat ausschließlich mit Vertretern der Kapitalseite besetzt wird. Der renommierte Arbeitsrechtler und Mitbestimmungsexperte Rüdiger Krause von der Uni Göttingen warf deshalb im Frühjahr in einer Stellungnahme die Frage auf, „ob es nicht objektiv rechtsmissbräuchlich ist, wenn sich ein Kleinaktionär zum scheinbaren Verteidiger von Arbeitnehmerinteressen aufschwingt, um die Interessen der Arbeitnehmerseite nachhaltig zu schädigen“.

Der EuGH hat sich im Fall Tui erstmals mit der deutschen Mitbestimmung befasst. Die Verfahren, die in Deutschland geführt wurden, sind alle zugunsten der Befürworter der Mitbestimmung ausgegangen. Die Gewerkschaften haben dem Verfahren in Luxemburg trotzdem mit Sorge entgegengesehen, weil die deutschen Arbeitnehmerrechte in Europa nicht der Standard sind. Die EU-Kommission gilt traditionell nicht als Freund des deutschen Modells der sozialen Marktwirtschaft.

Im Januar hat die EU-Kommission ihre Einschätzung revidiert

Entsprechende Befürchtungen schienen sich zunächst zu bestätigen. Es sei unvereinbar mit dem EU-Recht, „dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in den Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind“, hieß es im vorigen Jahr in einer Stellungnahme. Diese Einschätzung wurde jedoch im Januar revidiert. Nunmehr hieß es, dass die Kommission der Auffassung sei, „dass die bestehenden deutschen Vorschriften als mit dem EU-Recht vereinbar angesehen werden können“.

Im Mai hat der Generalanwalt am EuGH, Henrik Saugmandsgaard Øe, seine Schlussanträge vorgelegt. Das Votum des Generalanwalts gilt als zuverlässiger Fingerzeig dafür, wie das Urteil ausfallen wird. Saugmandsgaard Øe kam zu dem Ergebnis, dass das deutsche Mitbestimmungsgesetz mit EU-Recht vereinbar ist. Es stelle keinen Verstoß gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und gegen das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar, sagte er.