Der EuGH kippt die Preisbindung für Arzneien. Manche Patienten können sich freuen, kommentiert Willi Reiners.

Stuttgart - Wie heißt es so schön pflichtschuldig, wenn Pharmahersteller ihre Produkte bewerben? Richtig: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Der Spruch, der längst auch in den werbefernen Sprachgebrauch der Deutschen eingegangen ist, passt gut zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Die wettbewerbsfreundlichen Luxemburger Richter haben am Mittwoch entschieden, dass ausländische Versandapotheken nicht der in Deutschland geltenden Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente unterliegen. Das Urteil ist ein Affront gegen die höchste deutsche Rechtsprechung in der Sache, die Folgen für das hiesige Gesundheitswesen könnten weit reichen und sind derzeit überhaupt noch nicht absehbar.

 

Da sind, zunächst einmal, die Patienten. Wer chronisch krank ist und ständig teure Medikamente benötigt, darf sich über das Urteil freuen. Diese Patienten können davon profitieren, wenn ausländische Versender wie Doc Morris nun ganz legal die deutschen Einheitspreise unterbieten dürfen. Die Niederländer versprechen ihren Kunden Einsparungen von mehreren Hundert Euro pro Jahr durch ihre Bonus-Modelle. Das Prinzip ist einfach: In Deutschland gilt für Versicherte eine gesetzliche Zuzahlung von zehn Prozent des Apothekenverkaufspreises. Dabei bleibt es natürlich auch nach dem Luxemburger Urteil. Aber wenn Doc Morris oder andere Mitbewerber den deutschen Apothekenpreis unterbieten, weil sie sich den fixen Apothekenzuschlag von drei Prozent auf den Apotheken-Einkaufspreis plus 8,35 Euro für jede Packung sparen dürfen, zahlt der Versicherte prozentual entsprechend weniger. Seine Krankenkasse übrigens auch, die ja den Großteil der Rechnung übernimmt.

Was aber ist mit den Patienten, die nicht im Internet nach dem jeweils günstigsten ausländischen Anbieter suchen können? Weil sie vielleicht zu krank sind oder sich schlicht nicht auskennen mit dem Online-Geschäft? Auch in ihrem Interesse hat der Staat sich dafür entschieden, eine Preisbindung für Medikamente mit Verschreibungspflicht einzuführen – und zwar zu einer Zeit, als das Internet noch lange nicht erfunden war. Damals ging es auch darum, einen ruinösen Preiswettbewerb unter den Apotheken zu verhindern, dem natürlich letztlich auch die Patienten ausgeliefert gewesen wären.

Ausdünnung des Apothekennetzes droht

Widerstand dagegen hat sich immer wieder einmal gerührt, doch letztlich haben die höchsten Gerichte diesen Schutzraum für die medikamentöse Versorgung der Menschen immer wieder bestätigt. Recht so: Arzneimittel sind nun einmal existenziell wichtig und insofern kaum mit anderen Gütern des täglichen Bedarfs zu vergleichen, deren Preise sich im freien Spiel der Marktkräfte bilden sollen. Die Wurst kann man beim Metzger kaufen oder beim Discounter, und auch wenn die Preisunterschiede beträchtlich sein mögen, so ist das ganz sicher keine Frage von Leben und Tod.

Das Luxemburger Urteil schafft also, vorbehaltlich möglicher Gegenmaßnahmen des Bundesgesetzgebers, zunächst einmal zwei unterschiedliche Preissysteme und damit sozusagen Patienten erster und zweiter Klasse. Doch damit nicht genug. Langfristig könnten kranke Menschen, die ihren Bedarf an Arzneimitteln nicht im Ausland decken können oder wollen, auch durch die mögliche Ausdünnung des Apothekennetzes benachteiligt werden.

Bleibt das Urteil ohne nationale Antwort aus Berlin, dürften die bisher noch überschaubaren Marktanteile ausländischer Versandapotheken in Deutschland wachsen. Für die Apotheken bliebe weniger übrig vom Kuchen, das Apothekensterben ginge weiter. Die kleine Apotheke vor Ort, gerade für alte Menschen eine wichtige Anlaufstelle, würde wohl insbesondere im ländlichen Raum endgültig zum Auslaufmodell – geopfert auf dem Altar des freien Wettbewerbs.