An den Aktienmärkten überwiegt die Sorge vor einer Eurokrise 2.0. Sie könnte stärker ausfallen als alles bisher Dagewesene. Kritiker befürchten ein „Jahrzehnt des Siechtums“. Auch der Austritt einzelner Länder aus der Währungsunion ist einThema.

Frankfurt - Es schien alles auf dem besten Weg zu sein. Zwar mehrten sich die kritischen Stimmen, die die extrem laxe Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) für gefährlich und zunehmend wirkungslos halten, doch die Daten sprachen eine andere Sprache. Die größten Sorgenkinder der Eurozone, Griechenland, Portugal, Spanien oder Irland, hatten großteils ihre Hausaufgaben gemacht, konnten sogar den Rettungsschirm verlassen, den die Staats- und Regierungschefs der Euroländer auf dem Höhepunkt der Eurokrise in aller Eile aufgespannt hatten. Ja, selbst das marode Griechenland wollte sich im kommenden Jahr wieder auf die eigenen Beine stellen und sich ohne Hilfe der Partnerländer auf den weltweiten Finanzmärkten das Geld besorgen, das es für die Haushaltsführung benötigt.

 

Doch plötzlich ist die Angst zurück. An den Aktienmärkten überwiegt die Sorge vor einer Eurokrise 2.0, die zudem noch stärker ausfallen könnte als alles bisher Dagewesene. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt: „Die Krise ist noch nicht dauerhaft, noch nicht nachhaltig überwunden“, sagte sie am Donnerstag in ihrer Regierungserklärung. Sie rief dazu auf, mehr für Wachstum, Beschäftigung und Reformen zu tun. Das Wichtigste dabei aber sei, dass die Länder sich an eine solide Haushaltsführung hielten, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten Ziele müssten von allen Mitgliedsländern eingehalten werden. Deutschland, so die Kanzlerin, habe bewiesen, dass es geht, Wachstum und Investitionen zu fördern und gleichzeitig den Haushalt zu konsolidieren. Die „schwarze Null“, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Haushaltsentwurf für 2015 fest eingeplant hat und die er mit allen Mitteln verteidigen will, ist aus ihrer Sicht der eindeutige Beleg dafür.

Ökonomen holen Schreckensszenarien aus der Schublade

Mit dieser strikten Disziplin, einer typisch deutschen Tugend, steht die Berliner Regierung jedoch weitgehend allein. Schon auf dem Herbsttreffen des Internationalen Währungsfonds in Washington am vergangenen Wochenende mussten sich Schäuble und Bundesbankpräsident Jens Weidmann gegen die Kritik an ihrer Sparpolitik wehren. Zwar gaben sich die beiden dabei betont gelassen und schafften es auch, die Grundstimmung unter den Gipfelteilnehmern in einen vorsichtigen Optimismus zu verwandeln. Doch kaum waren sie zurück auf heimischem Boden, holte sie der Krisenmodus wieder ein. Die Aktienkurse sanken auf breiter Front und immer mehr Ökonomen holten Schreckensszenarien aus ihren Schubladen. Ein „Jahrzehnt des Siechtums“ etwa befürchtet der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. „Meine Meinung ist, wir kommen mit dem Klein-Klein nicht weiter in der Eurozone“, sagt der Eurokritiker und hält neben umfassenden Strukturreformen auch Schuldenschnitte in den Krisenländern für unausweichlich. Auch ein Austritt einzelner Länder aus der Währungsunion dürfe kein Tabu mehr sein, fordert der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer (siehe Interview).

„Man findet kein Wachstum in Europa“

Seine Nachfolger bei der Deutschen Bank sehen harte Zeiten auf die europäische Gemeinschaftswährung zukommen. Ein Abrutschen des Euro bis auf 95 Cent bis Ende 2017 hält Währungsstratege George Saravelos für möglich. Die Gründe für seine pessimistische Einschätzung sind unter anderem extrem niedrige Wachstumsraten und ein hoher Kapitalabfluss aus der Eurozone. Auch die britische Barclays Bank sagt auf Sicht eines Jahres einen Euro von 1,10 Dollar voraus, Goldman Sachs sieht den Euro 2017 bei einem Dollar stehen. Es gibt aber keine einheitliche Sicht aller Marktbeobachter. In einer Prognose der öffentlichen Institute sehen die Landesbanken Helaba, NordLB, Bayern LB, LBBW und die Deka Bank den Euro bis Ende dieses Jahres zwischen der Marke von 1,25 Dollar und 1,30 Dollar.

„Man findet einfach kein Wachstum in Europa“, klagt Anshu Jain, der Co-Chef der Deutschen Bank. Selbst in Deutschland gehen die Wachstumsraten spürbar zurück. Die Fortschritte in den „alten“ Krisenländern sind zwar da, aber reichen nicht aus, um die Angst vor einem Rückfall in die Rezession der gesamten Eurozone zu beseitigen. Das liegt vor allem an den beiden neuen Sorgenkindern Italien und Frankreich. „Die Zahlen, die wir aus Paris hören, sind nicht sehr hoffnungsvoll“, sagt der Chef der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem. Weil ihre Wirtschaft nicht in Schwung kommt, wollen die Regierungen in Paris und Rom mehr Zeit für Strukturreformen und das Erreichen der Defizitziele, um die Konjunktur anzukurbeln. Das jedoch lehnt die deutsche Bundesregierung kategorisch ab. Und auch in der EU-Kommission hält man nicht viel davon, immer neue Ausnahmen zu genehmigen. Wie käme so etwas in Griechenland oder Portugal an, wo man sich an strenge Regeln halten müsse, schimpft ein Kommissionsbeamter.

Die Instrumente werden immer knapper

So lange, wie sich die Politiker nicht einig werden, wird die ganze Last der Euro-Stützung auf den Schultern der Europäischen Zentralbank abgeladen. Der EZB-Präsident Mario Draghi verspricht denn auch weiterhin, wie schon im Sommer 2012, alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten. Doch weil die Instrumente immer knapper werden, müssen nun auch die Regierungen liefern. „Wenn nur vage über Strukturreformen geredet wird, diese aber nicht umgesetzt werden, ist das am schlimmsten“, warnte der Außenminister der Notenbank, Benoit Coeure, am Freitag in der lettischen Hauptstadt Riga.