Die ehemalige FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warnt davor, das deutsche Grundrecht auf Asyl einfach an die EU zu delegieren. 

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Brüssel will eine Europäisierung des Asylrechts. Die ehemalige FDP-Justizministerin begrüßt den Vorstoß, fordert aber enge Leitplanken.

 
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, dürfen wir das deutsche Grundrecht auf Asyl vor dem Hintergrund der Geschichte einfach an die Europäische Union delegieren?
Das Asylrecht ist ja schon eingeschränkt. Dieses eingeschränkte Grundrecht dürfen wir natürlich nicht mal eben einfach an die EU delegieren. Ziel der deutschen Politik muss es sein, dass die inhaltliche Ausgestaltung des europäischen Asylrechts sich am Kern unseres Grundrechts orientiert.
Wie groß ist die Gefahr, dass dieses Grundrecht unter dem Diktat des Pragmatismus weiter aufgeweicht wird?
Ich sehe in der Europäischen Union eher das Bestreben, den Zugang zum Asylverfahren neu zu regeln. Also die Zuständigkeit für Asylverfahren nicht nur bei den Ländern zu belassen, in denen Asylbewerber ankommen. Das erscheint mir ein richtiger Ansatz. Wir müssen Wege finden, alle EU-Staaten stärker zu beteiligen.
Die Asylpraxis in den EU-Staaten ist sehr unterschiedlich. Wie lassen sich gemeinsame Standards sicherstellen?
Genau das ist ein berechtigter Anspruch der EU-Kommission. Dieser Anspruch ist nicht neu. Schon im Jahr 2013 hatte die Kommission einen entsprechenden Vorstoß unternommen. Es muss das Ziel sein, dass alle EU-Länder gleichwertige asylrechtliche Regeln beachten. Für viele Länder wird das bedeuten, dass die dort bisher üblichen Standards nach oben angepasst werden müssen. Nur so ließe sich rechtfertigen, Asylbewerber auch solchen Ländern zuzuweisen. Das war in der Vergangenheit sehr schwierig, wie der Rechtsstreit um die Asylpraxis in Griechenland gezeigt hat. Es ist ein sehr berechtigtes Bestreben, da die Verhältnisse anzugleichen. Das wird aber wohl sehr lange dauern, um diesen Zustand tatsächlich zu erreichen.
Wie sehr ist zu befürchten, dass eine Nivellierung auf niedrigem Niveau stattfindet?
In jedem Fall wird die Genfer Flüchtlingskonvention immer Marschroute bleiben müssen. Das ist internationales Recht. Die Vorgaben der Konvention haben alle Mitgliedstaaten der EU zu achten. Von daher glaube ich nicht, dass eine Nivellierung im Sinne einer Einschränkung des Asylrechts zu befürchten ist. Es wird aber wohl eine sehr grundsätzliche Diskussion geben müssen, wie das Asylrecht auszugestalten ist. Viele Mitgliedsstaaten haben da ganz andere Vorstellungen von Asyl und Schutz für Verfolgte, als sie bei uns historisch gewachsen sind. Das wird ein schwieriger Prozess. Aber es ist überfällig, dass die Europäische Union diese Debatte führt. Es ist schon ein Fortschritt, wenn alle bei dem Thema wieder an einem gemeinsamen Tisch sitzen, auch wenn es kontroverse Meinungen gibt. Nur so gibt es die Chance, sich wenigstens auf ein paar einheitliche Verfahrensregeln zu verständigen.
Eine zentrale Frage ist, wie der Rechtsschutz zu gewährleisten ist für Menschen, die Asyl beantragen. Dafür gibt es im Moment keine europäischen Instanzen. Oder wäre dann der Europäische Gerichtshof auch für sämtliche Asylverfahren zuständig?
In absehbarer Zeit werden wir kein einheitliches europäisches Asylrecht bekommen, für das eine europäische Asylbehörde geschaffen werden müsste. Wenn das angestrebt wird, dann braucht es in meinen Augen ein eigenes europäisches Asylgericht. Das kann der EuGH gar nicht bewältigen. Sonst müsste der Rechtsschutz gegen Anordnungen einer EU-Behörde vor nationalen Gerichten erfolgen. Das wäre schwierig, bleibt vorerst aber Zukunftsmusik.