FDP-Chef Christian Lindner verkündet in seiner Rede beim Europaparteitag: „Europa braucht die Liberalen.“ Nach zuletzt schlechten Wahlergebnissen ist die bevorstehende Wahl am 25. Mail die erste große Bewährungsprobe, die er zu bestehen hat.

Bonn - FDP-Chef Christian Lindner ist sich sicher: „Europa braucht die Liberalen“, ruft er nach seiner halbstündigen Rede zu Beginn des Europaparteitags. Die Delegierten im Saal des Bonner Maritim-Hotels applaudieren da selig, lassen sich tragen von Lindners Kunst, eine große deutsche liberale Tradition im Europarlament zu beschwören, die es in der vergangenen Wahlperiode nur bedingt gegeben hat. Ob Europa die deutschen Liberalen nötig hat, ist deshalb eine diskutierbare These. Unbestreitbar ist aber, dass Lindners Satz ganz sicher gilt, wenn man ihn einfach umkehrt. Die Liberalen, allen voran Christian Lindner, brauchen Europa. Die Wahl am 25. Mai ist die erste große Bewährungsprobe, die Lindner zu bestehen hat.

 

Einfach wird das nicht, auch wenn die Zugangshürde zum Europäischen Parlament mit drei Prozent Mindestzustimmung bei der Wahl niedriger ist als bei der Bundestagswahl. Aber die aktuellen EU-Parlamentarier haben als Team schwere Zeiten hinter sich. Silvana Koch-Mehrin musste aufgeben, nachdem ihr der Doktortitel wegen nachgewiesener Schummelei aberkannt worden war. Jorgo Chatzimarkakis erging es ebenso. Er versucht sein Glück jetzt bei der Demokratischen Linken in Griechenland. Auch Alexander Alvaro, kenntnisreicher Internetpolitiker, muss passen. Die Hintergründe eines schweren Autounfalls, an dem er beteiligt war und bei dem ein junger Mann zu Tode kam, werden noch immer ermittelt. Ausgerechnet dieses Trio hatte das Bild der FDP in Europa aber in den Medien geprägt. Und auch die Sehnsucht einiger FDP-Mitglieder, die um liberale Wählerstimmen buhlende Alternative für Deutschland (AfD) mit deren euroskeptischen Waffen zu schlagen, lässt die neue Parteiführung nach wie vor nicht kalt.

Die FDP muss keinen Regierungskompromiss eingehen

Lindner verbreitet gleichwohl in Bonn Optimismus, bleibt seinem Kurs treu, die Krise der Partei bei der Europawahl als Chance zu begreifen, weil die FDP sich an keinen früheren Regierungskompromiss mehr gebunden fühlen müsse. „FDP pur“ nennt Lindner dieses liberale Wunderland, das er in Idealform skizziert. Mit Blick auf Europa bedeutet das: scharfe Kritik an den bestehenden Verhältnissen, an der aus seiner Sicht aufgeblähten Kommission und deren Regelungswut, an fehlender Bürgernähe. So sehr er aber mit den europäischen Institutionen ins Gericht geht, so kompromisslos stellt er klar, dass am Euro und am europäischen Einigungswerk die FDP unter seiner Führung nicht rütteln werde. Mit der AfD beschäftigt er sich kaum. Es beeindrucke ihn wenig, dass nun Hans-Olaf Henkel, der frühere BDI-Chef, der AfD zugetan ist. Das sei kaum der Erwähnung wert, „jede Tasse hat einen Henkel“, sagt Lindner knapp. „Auch die trüben.“ Er riet seiner Partei dazu, sich nicht an der AfD abzuarbeiten, weil sie keinen Einfluss haben werde. Die eigentlichen Gegner Europas säßen in Reihen der großen Koalition, die durch ihre Abkehr von der Reformpolitik der Schröder-Jahre jede Glaubwürdigkeit verspielten, wenn sie von anderen Staaten Reformen verlangten.

Spitzenkandidat Alexander Graf Lambsdorff tut sich nach Lindner schwer, die Delegierten zu begeistern. Keiner würde hier das Können des 47-jährigen Neffe des früheren Bundeswirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff infrage stellen. Als Guido Westerwelle 2011 als Außenminister wankte, war Lambsdorff sogar als Nachfolger im Gespräch. Aber das Bedürfnis in der Partei nach Präsenz und öffentlich erkennbarem Profil stillt er bislang noch nicht. Er hält eine passable Rede, kenntnisreich, nicht ohne Pointen, inhaltlich deckungsgleich mit Lindner. Aber in den Reihen vor ihm wird getuschelt und geraschelt, dass man meinen könnte, da rede nicht der Spitzenkandidat bei einer Schicksalswahl, sondern ein wenig prominenter Gast. 86,2 Prozent wählen Lambsdorff, das scheint auf den erste Blick passabel, aber 115 von 662 Delegierten nehmen an der Wahl gar nicht teil, 63 stimmen gegen ihn. Die Absenz so vieler Delegierter habe wohl daran gelegen, dass viele noch zu Tisch gewesen seien, heißt es später in der Parteispitze. Man solle da bloß nichts hineininterpretieren.

Die Partei muss wieder oberhalb der Fünfprozentmarke landen

Auf Listenplatz zwei folgt Baden-Württembergs Landeschef Michael Theurer. Der ehemalige Bürgermeister von Horb hält eine muntere Rede, kampfeslustiger als Lambsdorff und taktisch anders ausgerichtet als Lindner. Denn Theurer will die AfD nicht ignorieren, er will sie frontal angreifen. „Lasst uns die Auseinandersetzung mit der AfD“ suchen, ruft er. Die Partei dankt es ihm mit einer Zustimmung von 85,2 Prozent. Ein „phänomenales Ergebnis“, sagt Theurer. Und verweist darauf, dass er in absoluten Stimmen mehr Zuspruch erhalten habe als Lambsdorff. Denn bei Theurer blieben nur 17 Delegierte der Wahl fern. Als Ziel gibt er im Gespräch mit dieser Zeitung ein Ergebnis oberhalb der Fünfprozentmarke an. Die FDP müsse zeigen, dass sie dazu wieder in der Lage ist.