Im sogenannten Europaviertel soll ein riesiger Komplex entstehen. Der Architekturprofessor Peter Schürmann fordert Mut zum Kleinteiligen.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)
Stuttgart - Die vereinigten Hüttenwerke des früheren Güterbahnhofs in Stuttgart sind vor vielen Jahren schon dem Erdboden gleichgemacht worden. Seither erwächst auf dem ersten Bauplatz von Stuttgart 21 direkt beim Hauptbahnhof ein neues Stadtquartier. Die Landesbank residiert im sogenannten Europaviertel. Und alsbald soll, wie berichtet, auf drei weiteren Baufeldern des Areals ein riesiger Komplex mit 200 Geschäften, 400 bis 500 Wohnungen, Hotel, Cafés und Restaurants eines einzigen Investors entstehen.

Peter Schürmann, der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Architekten (BDA), sieht das alles kritisch. Die Einheiten in diesem Gebiet seien "einfach zu groß und keineswegs spezifisch für Stuttgart", wie der Architekturprofessor gegenüber der Stuttgarter Zeitung betont.

Nach Ansicht von Peter Schürmann, der auch Mitglied im beratenden Städtebauausschuss des Gemeinderates ist, entstehen im Blick auf das Europaviertel "falsche Erwartungen" wenn man von dem gemeinsamen Ziel spricht, ein möglichst lebendiges Viertel zuschaffen, die entstehenden Gebäudestrukturen dafür aber zu großmaßstäblich seien. Sobald es um konkrete Projekte und Investitionen gehe, gebe es die Tendenz zu allzu monolithischen und mehrere Baufelder übergreifenden Projekten. Daran änderten auch Shop-in-Shop-Konzepte nichts, mit denen oft künstlich versucht werde, den Eindruck einer Vielfalt zu erwecken. Selbst allzu große Wohnprojekte eines einzigen Investors seien problematisch. "Vielfalt und Lebendigkeit lassen sich nicht verordnen", sagt Schürmann. Um dieses Ziel zu erreichen, brauche es vor allem die richtigen strukturellen Rahmenbedingungen.

Im Blick auf das Europaviertel entstehen falsche Erwartungen


Es bestehe jetzt gemeinsam die große Chance, Strukturen zu schaffen, die es für eine erheblich größere Zahl an Bauherren und Bauherrengruppen attraktiv machten, sich vor allem mit mittleren oder kleineren Projekten zu engagieren. Wirklich zukunftsweisend wären aus Sicht Peter Schürmanns solche Vorhaben, die Wohnen und Arbeiten tatsächlich in Einklang bringen. Das wäre "ein wunderbares gemeinsames Ziel", sagt er, das viele wirklich innovative und unkonventionelle Lösungen ermögliche und eine interessante Aufgabe für Planungswettbewerbe wäre. Solche Ansätze scheiterten aber schnell an den Renditeerwartungen so mancher Investoren.

Nun zweifelt Schürmann keineswegs an den guten Absichten der Stadtoberen. Nicht zuletzt sei bei dem ehemaligen Güterbahnhofareal "vor allem die Bahn AG selbst gefordert". Sie dürfe sich nicht zuallererst als privatwirtschaftliche Firma verstehen, die ihre Grundstücke vor allem besonders rentierlich verkaufen möchte und dadurch die Baukultur möglicherweise nachhaltig beschädige. Es bestehe für sie vielmehr "eine Verpflichtung zu einer besonders intensiv gelebten Verantwortung für den öffentlichen Raum".

Diese Verantwortung gilt übrigens auch für die Stadt, die alle übrigen Bauplätze von Stuttgart 21 - nämlich die nach dem Bau des neuen Hauptbahnhofes frei werdenden Gleisflächen - gekauft hat. Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) hat seine Vision dieser Tage schon erläutert: die der emissionsfreien Stadt - was Peter Schürmann ausdrücklich begrüßt.