Im italienischen Wahlkampf geht es nicht um Europa. Es geht darum, wer der bessere Populist ist: Premierminister Matteo Renzi oder der Oppositionspolitiker Beppo Grillo. Beide kämpfen um den gleichen Wählertypus.

Rom - Wir schaffen soziale Gerechtigkeit! Wir schenken denen, die wenig verdienen, ein 14. Monatsgehalt. Wir stecken ihnen ab Mai 80 Euro mehr in die Lohntüte!“ So ruft’s der eine. Der andere wütet: „Das ist Stimmenkauf! Italien wird regiert von einem vulgären Lügner, einem schäbigen Hanswurst aus der Provinz!“ Vier Wochen vor der Europawahl hat sich die Kampagne auf eine täglich schärfere Entscheidungsschlacht zugespitzt: zwischen dem Regierungschef Matteo Renzi und dem Volkstribun Beppe Grillo.

 

  Zur Wahl steht keiner von beiden. Aber jeder von beiden steckt in einer Legitimationskrise, und jeder will diese durch einen Massensieg am 25. Mai heilen. Renzi hat im Februar die Regierung seines sozialdemokratischen „Parteifreunds“ Enrico Letta aus dem Amt geputscht, und seither führt er seine Partito Democratico wie ein   Alleinherrscher. Beides nehmen ihm viele übel, auch wenn sie seinem Tempo und seiner Wucht bisher nicht standhalten konnten. Renzi betrachtet die Europawahlen als eine Volksabstimmung über sich selbst und seinen Reformkurs; er weiß: nur bei einem starken Sieg hat er innenpolitisch Ruhe.

Renzi hat die Alten in seiner Partei ausmanövriert

Beppe Grillo wiederum, der bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr aus dem Stand 25 Prozent der Stimmen geholt hat und seither seine Fünf-Sterne-Bewegung mit harter Hand auf strengem fundamentaloppositionellem Kurs hält, sieht in Renzi seinen einzigen Rivalen in der italienischen Politik. Grillo hat Stimmen damit gesammelt, dass er die „alte, korrupte politische Klasse komplett nach Hause schicken“ wollte – und jetzt nimmt ihm Renzi die Butter vom Brot: Im Eiltempo hat er sich darangemacht, das Parlament zu verkleinern, Dienstwagen abzuschaffen und künftigen Senatoren die Diäten zu streichen; bereits jetzt hat Renzi nahezu alle „Alten“ in seiner Partei ausmanövriert.

Renzi sagt, was Grillo immer schon gesagt hat: dass in der Krise „endlich diejenigen zahlen sollen, die sich bisher nicht beteiligt haben: die überbezahlten Manager von Staatsbetrieben, die Banken, die Bürokratie“ – doch anders als der oppositionelle Grillo hat Renzi die Macht, das auch durchzusetzen. Und der dauernd tobende Grillo, dem das ruhige Aussprechen von Sätzen nicht zu Gebote steht, fürchtet um seine Wählerstimmen – auch wenn er bei seinen Politshows nach wie vor die Säle füllt.

Beide kämpfen um die gleichen Wähler

Renzis und Grillos Wählerschichten überschneiden sich in weiten Bereichen: Das sind die jungen, intelligenten Leute, die genug haben vom jahrzehntelangen Stillstand und von der Wiederkehr der immer gleichen Gesichter. Grillo will die Institutionen zerschlagen, Renzi will Italien innerhalb der Institutionen umstülpen – auch wenn er dafür, unter Grillos Druck, erst einmal seine eigene, traditionell zerstrittene Partei so revolutionieren, so auf ihn zentrieren muss, dass sie sich derzeit selbst nicht wiedererkennt. Das Volk steht eindeutig auf Renzis Seite. Ein Drittel der Wählerstimmen sollte er   nach Stand der Umfragen abräumen, das wären gute acht Punkte mehr, als seine Sozialdemokraten bei der Parlamentswahl 2013 eingefahren haben. Grillo dagegen könnte von 25 auf 21 Prozent zurückfallen; praktisch sieht er nur mehr eine Möglichkeit zur Gegenwehr: Renzi lächerlich zu machen.

Das Thema Europa verblasst

Als Satiriker hat Grillo lebenslange Berufserfahrung in solchen Dingen. Und das Thema Europa? Verblasst, auch wenn Renzis und Grillos Positionen überaus stark sind. Renzi, das hat er bei einer erstaunlichen Parlamentsrede vor dem EU-Gipfel im März so eindeutig und so unpopulistisch klargemacht wie kein italienischer Politiker in mindestens den letzten zehn Jahren, ist glühender Europäer. Grillo ist exakt das Gegenteil, weil er auch noch das letzte Stammtischargument im Volk gegen den Euro, gegen die „abgehobene EU-Bürokratie“, gegen das „nicht mehr Herrdsein im eigenen Haus“, gegen die von Brüssel und Berlin aufgezwungene, „Italien kaputt machende Austeritätspolitik“ aufgreift und verstärkt. Will Renzi die Bilanzregeln der EU – also beispielsweise die Defizitgrenze – so weit wie möglich ausreizen, so will Grillo sie schlicht abschaffen.

Und der bisher unüberwindliche Platzhirsch der italienischen Politik? Silvio Berlusconi hat gnädige Richter gefunden: Obwohl er für seine Steuerbetrügereien jede Woche einen halben Tag Sozialarbeit leisten muss, aus dem Parlament ausgeschlossen ist und für Europa nicht kandidieren kann, so darf er dennoch drei Tage pro Woche Wahlkampf treiben. Das wird er unter vollem Einsatz auch tun, aber die Umfragen sehen ihn – weit   abgeschlagen – stabil auf dem dritten Platz.