Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt bei Widerworten aus dem Unternehmerlager in Bezug auf die Eurorettung diskret ihren Einfluss spielen.

Berlin - Es ist ein Fall, der kein Aufsehen erregte. Im Herbst 2011 traf sich eine hochkarätige Runde aus Wirtschaft und Wissenschaft, um über die Vorgänge in Europa zu diskutieren. Es handelte sich um Persönlichkeiten, die dem Kuratorium des Münchner Ifo-Instituts angehören. Dabei war der Chef des Forschungsinstituts, Hans-Werner Sinn, der zu den stärksten Kritikern des Euro-Krisenmanagements zählt. An der Tagung nahmen der Unternehmensberater Roland Berger ebenso teil wie der frühere Metro-Chef Eckhard Cordes und der Ex-Daimler-Vorstand Klaus Mangold. Was die Herren zu besprechen hatten, wurde in der „Bogenberger Erklärung“ veröffentlicht. Sechzehn Thesen zur Situation im Euroraum, hieß die Überschrift. Tatsächlich war es auch eine Brandschrift gegen die Bundesregierung. Die Wirtschaftsleute brachten zum Ausdruck, sie seien in großer Sorge um Deutschland und warnten vor einer Transferunion. „Eine Politik, die darauf hinausläuft, Deutschland zum Gläubiger der Staaten Südeuropas zu machen, wird Unfrieden stiften“, hieß es in dem Text.

 

Das Dokument verursachte im Kanzleramt einiges Aufsehen. Einer, der zu den Mitunterzeichnern gehört, hat berichtet, es habe aus der Regierungszentrale geharnischte Reaktionen gegeben. Die Kanzlerin habe sich an Roland Berger gewendet, der an der Spitze des Freundeskreises steht. Dabei soll die Regierungschefin kräftig Druck gemacht haben.

„Der Politik gefällt das nicht“

Zwischen Politik und Wirtschaft gibt es viele Abhängigkeiten. Wirtschaftsführer fühlen sich etwa geschmeichelt, wenn sie auf Auslandsreisen mit in der Kanzlermaschine sitzen dürfen. Gute Kontakte zur Regierung sind für die Konzernbosse und große Mittelständler wichtig.Die Interventionen aus Berlin verfehlten nicht ihre Wirkung. Die „Bogenberger Erklärung“ geriet rasch in Vergessenheit. Ein Wirtschaftsvertreter, der aus seiner kritischen Haltung zur Eurorettung kein Hehl macht, bestätigt, was Roland Berger widerfuhr. „Der Politik gefällt das nicht“, sagt er. Allerdings berichtet der Gewährsmann, dass er nie eine direkte Einflussnahme gespürt habe. Merkel greife zum Telefonhörer und suche den direkten Kontakt, um wichtige Leute auf ihre Seite zu ziehen.

Bei der Eurorettung ist ihr das gelungen. Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft unterstützen einhellig den Regierungskurs zur Rettung von Staaten. Der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und Industrieverbandschef Ulrich Grillo sind voll des Lobes, dass Merkel konditionierte Hilfen in der Eurozone durchsetzt. Eine Zeit lang sah es zwar so aus, als haderten gerade Familienunternehmen in Deutschland mit den immer höheren Eurorettungspaketen, die Berlin absegnet. Die Zweifel sind bei vielen inhabergeführten Unternehmern nach wie vor vorhanden. „Die Familienunternehmen haben sich aber an den Zustand gewöhnt“, heißt es aus ihren Kreisen. Den Euro stellen sie jedenfalls nicht mehr infrage.

Konzernchefs sind an stabiler Wirtschaftslage interessiert

Am deutlichsten ist die Zustimmung zum Regierungskurs bei den Dax-Konzernen. Als vor mehr als einem Jahr der Linde-Chef Wolfgang Reitzle einen Austritt aus der Währungsunion ins Spiel brachte, gingen die deutschen Großkonzerne auf Distanz. Die Konzernchefs halten die Risiken eines Zusammenbruchs der Währungsunion für unkalkulierbar. Für diese Haltung gibt es auch persönliche Gründe. Die Konzernchefs sind daran interessiert, dass die Wirtschaftslage auf mittlere Sicht stabil bleibt. Das bietet die beste Voraussetzung für wachsende Gewinne der Unternehmen, die den Chefs ein hohes Salär bescheren.

Mit einigem Geschick ist es der Kanzlerin gelungen, die Wirtschaft bei der Eurorettung einzufangen. Wie wichtig die Unterstützung der Bosse für die Regierung ist, spricht der baden-württembergische CDU-Finanzpolitiker Christian von Stetten aus, der bei den letzten Rettungspaketen im Bundestag mit „Nein“ gestimmt hat. „Es wäre für die Politik gefährlich, wenn die Unternehmer zum Ergebnis kommen, dass bei der Eurorettung Fehler gemacht werden“, sagt von Stetten. Unternehmer verstehen etwas von Geld, deshalb schenken ihrem Urteil viele Menschen Vertrauen. Von dieser Seite muss die Kanzlerin kaum Gegenwind befürchten.

Druck spüren auch Parlamentarier

Die Regierung hat viel Überzeugungsarbeit geleistet, damit wichtige Repräsentanten der Gesellschaft dem Kurs in der Europolitik zustimmen. Die vielen Gespräche der Kanzlerin in dieser Sache zahlen sich aus. Die Ruhe wird nicht gestört wird. Wie das geht, lässt sich am Beispiel einer Expertenkommission ablesen, die bis vor einiger Zeit für die Regierung tätig war. Der frühere Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Otmar Issing, entwarf für die Kanzlerin und den Finanzminister Pläne zu einer neuen Finanzmarktarchitektur. Die Kommission unter Issings Leitung legte mehrere Berichte vor, wie die Märkte künftig reguliert werden sollen. Vor gut einem Jahr absolvierte Issing seinen letzten Auftritt in dieser Mission. Die Arbeit sei beendet, hieß es damals. Dabei kann man durchaus die Meinung vertreten, die Finanzmärkte seien noch lange nicht gezähmt. Issing fiel in Berlin als Kritiker der Eurorettung in Ungnade. Er hält die Umverteilung der Schulden für keine Lösung.

Den Druck spüren auch Parlamentarier. Der CDU-Abgeordnete von Stetten leistet sich den Luxus, Zweifel am Rettungskurs anzumelden. „In den Parteizentralen wird nicht gern gesehen, wenn sich Abgeordnete kritisch zur Eurorettung äußern“, sagt er.