Die 25-jährige Chemnitzerin Isabella „Levina“ Lueen startet für Deutschland im ESC-Finale in Kiew. Ihr Song heißt „Perfect Life“. Beim Vorentscheid waren Jury und Publikum klar auf der Seite der ausgebildeten Sängerin, die derzeit in London lebt.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Am Ende ist es dann doch noch einmal interessant geworden. Conchita Wurst, die Gewinnerin des Eurovision Song Contests (ESC) von 2014, lieferte am späten Donnerstagabend als Überraschungsgast eine hinreißende Version von Lenas „Satellite“ ab und füllte damit eine der zahlreichen Leerlaufpausen endlich einmal mit internationalem Niveau. Derweil wählten 69 Prozent der Fernsehzuschauer jenen Titel zum deutschen Beitrag für Kiew, den zuvor die drei ARD-Experten Tim Bendzko, Lena Meyer-Landrut und Florian Silbereisen so unisono wie gebetsmühlenhaft zum schwächeren der beiden letzten zur Auswahl stehenden Titel erklärt hatten.

 

„Perfect Life“ heißt er, mit ihm reist nun Isabella Lueen, die unter dem Namen Levina auftritt, zum Finale des Eurovision Song Contests. Dass sie die deutsche Kandidatin sein würde, war indes mehr oder weniger schon zweieinhalb Stunden vorher klar. Um Längen überzeugender als ihre drei Konkurrentinnen und ihr Konkurrent präsentierte sich aufgrund ihrer profunden Gesangsausbildung die 25-jährige gebürtige Bonnerin, die in Chemnitz aufwuchs und derzeit in London studiert.

Schon nach der ersten Strophe ihres ersten Beitrags beim Vorentscheid, ihrer Coverversion von Adeles „When We Were Young“, schlug ihr spür- und hörbar das Gros der Sympathie aus der Kölner Halle entgegen, in welcher der in Hamburg ansässige öffentlich-rechtliche Sender NDR die Show mithilfe der Produktionsfirma Raab TV realisieren konnte.

Am Schluss eine verblüffende Wendung

So marschierte Levina bis ins Finale durch, nachdem sie in der Runde davor schließlich auch noch ihren letzten Konkurrenten abgeschüttelt hatte und mit zwei unterschiedlichen Titeln gegen sich selbst antrat. Die neuen und beileibe noch nicht hundertprozentig überzeugenden Regularien machten diese verblüffende Wendung möglich. Beide der zur Wahl stehenden, von erfolgsverwöhnten internationalen Songschreibern eingekauften Titel hatten Format. Doch auch „Perfect Life“ fehlt die magische, sofort ins Ohr gehende Melodie, die ein Siegertitel beim Song Contest nun einmal haben muss.

Besser als in den beiden Vorjahren mit den beiden letzten Plätzen wird’s in Kiew für Deutschland auf jeden Fall laufen. Genauere Einschätzungen verbieten sich derzeit, da längst nicht alle Teilnehmer aus den anderen Ländern feststehen. Unbekannt ist ja auch noch, ob die in Köln emotionskontrolliert und professionell agierende Levina beim Auftritt in Kiew ein abendgalatauglicheres Outfit tragen wird und wie die Musikmanagementstudentin wenn es darauf ankommt das altbekannte Sängerproblem – was mache ich bloß mit meinen Händen? – meistern wird.

Levina nennt die Musik jedenfalls ihren „Plan A“. Einen anderen hat sie auch nicht. Als Kind sang sie erst im Chor und dann in Kindermusicals. „Ab dem Zeitpunkt war mir auch dann klar, dass ich wirklich gerne Sängerin und Songschreiberin werden will“, sagt sie. „Ich glaube, wenn ich singe, kann ich mich am besten ausdrücken.“

Moderatorin Barbara Schöneberger zeigte Willen zur Zotigkeit

Ansonsten beeindruckten beim nationalen Vorentscheid eher die kühne Kleid-Frisur-Kombi und der unbedingte Wille zur Zotigkeit bei der Moderatorin Barbara Schöneberger. Zu der aparten Siegerin des Abends sagte Schöneberger etwa: „Wenn ich keinen BH anhabe, gehen mir deine Beine bis zur Brust.“ Der Abend war jedenfalls ziemlich langatmig. Reichlich erwartbare Einspielfilmchen, austauschbare Wohlfühlphrasen sowohl der Teilnehmer wie auch des Expertentrios und gefühlt hundert Schnelldurchläufe nebst der dazugehörigen Zeitschinderei durch die Moderatorin füllten die zu drei Stunden Länge ausgewalzte Show. Den zweiten unfreiwilligen Höhepunkt des Abends steuerte die im Gegensatz zur hochgewachsenen Levina außerordentlich zierliche Kandidatin Helene Nissen bei. Die trillerte in unbekümmert-heiterem Mädchenduktus Johnny Cashs düstere Verse „I Shot A Man In Reno Just To Watch Him Die“.

Den Tiefpunkt des Abend markierte der Schauspieler Matthias Schweighöfer, der in einer der zahlreichen, quälend langatmigen Abstimmungspausen ein selbst geschriebenes Lied zum Besten geben durfte. „Jetzt singt sie auch noch“ hieß vor zehn Jahren das CD-Debüt von Barbara Schöneberger; da freilich war der Slogan noch als Ironie gedacht, bei Schweighöfer wurde bitterer Ernst draus.

Deutschland, deine Künstler! In Kiew wird jetzt eine in London lebende Dame mit einem von einer älteren Dame aus Los Angeles geschriebenen Lied die teutonische Fahne hochhalten. Ob’s mit „Perfect Life“ zu einem perfekten Tag reicht, wird sich dort am 13. Mai weisen.