Hat Ex-EnBW-Manager Stefan Liebing bei seiner Doktorarbeit falsch zitiert? Diesem Verdacht geht die Uni Duisburg-Essen nach – seit fast einem Jahr. Für Liebing wächst sich die Plagiats-Affäre zu einer zermürbenden Hängepartie aus.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Das Befinden von Annette Schavan dürfte Stefan Liebing (beide CDU) gut nachvollziehen können. Warten müssen, ob die eigene Doktorarbeit einer Überprüfung standhält und derweil zum Schweigen verdammt sein – so wie der Bundesbildungsministerin geht es dem Energiemanager und Verbandsfunktionär auch. Anders als für die Wahl-Ulmerin dauert die Ungewissheit für den gebürtigen Stuttgarter allerdings nicht erst ein paar Wochen, sondern schon länger als ein Jahr. So lange prüft die Universität Essen-Duisburg bereits, ob bei Liebings Doktorarbeit („Energiepolitik in der EU und Russland - Interessenlagen, Konfliktpotenziale, Kooperationsansätze”) alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

 

Ins Visier der Plagiatsjäger war der heute in Hamburg tätige Unternehmensberater durch einen alten Bekannten aus der Jungen Union geraten: den Waiblinger CDU-Landtagsabgeordneten Matthias Pröfrock. Dessen Promotion über ein ähnliches Thema („Energieversorgungssicherheit im Recht der Europäischen Union“) erwies sich als teilweise abgekupfert, weshalb ihm die Universität Tübingen den Doktortitel entzogen hat. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen später gegen eine Geldauflage von 4000 Euro ein.

Aussagen zusammengefasst

Zwischen den Arbeiten Pröfrocks und Liebings entdeckten Internetfahnder um den Jahreswechsel 2010/11 gewisse Parallelen. Dies warf den Verdacht auf, es könne sich um ein „Plagiat vom Plagiat“ handeln – oder beide hätten sich bei der gleichen Quelle bedient (siehe StZ vom 16. Juli 2011). Der Manager sagte damals wie heute lediglich, er habe einige Aussagen aus der Arbeit des Politikers zusammengefasst. Ansonsten wolle er der Prüfung durch die Hochschule nicht vorgreifen. Deren Ergebnis sehe er „gelassen entgegen“.

Doch so rein Liebings Gewissen zu sein scheint, so zermürbend wirkt die andauernde Hängepartie. Man prüfe die Dissertation noch, ein Abschluss sei nicht in Sicht, lautet seit Monaten die Standard-Auskunft der Uni auf Medienanfragen. In der Vergangenheit wurde die Untersuchung, wie StZ-Recherchen ergaben, offenbar nicht gerade mit Nachdruck geführt; Grund waren auch hochschulinterne Differenzen. Erst seit im Frühjahr ein neuer Beauftragter den Fall übernahm, geht es voran. Die inoffiziellen Signale könnten Liebing Mut machen: man habe es eher mit handwerklichen Fehlern zu tun, so die vorläufige Einschätzung, der Doktortitel sei wohl nicht gefährdet. Bis zur öffentlichen Entlastung – wenn es denn dabei bleibt – können indes noch Wochen oder Monate ins Land gehen.

Fortsetzung des Spießrutenlaufens

Für Liebing bedeutet das zunächst eine Fortsetzung des Spießrutenlaufens. Wo immer er sich beruflich oder ehrenamtlich engagiert, ist das Thema zumindest unterschwellig präsent. Als er im vorigen Herbst nach drei Jahren als Manager beim Karlsruher Energiekonzern EnBW ausschied, wurde sofort gefragt, ob das etwas mit den Zweifeln an seinem Titel zu tun habe. Das hat es offenkundig nicht: Es gebe „keinen Zusammenhang“, versichert das Unternehmen; die Promotion sei „seine private Angelegenheit“. Für die Karlsruher bemühte sich der Energieexperte Liebing, der zuvor für Shell tätig war, in Afrika um den Zugang zu Flüssigerdgas (LNG). Doch die Aktivitäten wurden eingestellt, nachdem sich die Pläne für ein gemeinsames LNG-Terminal mit der Electricité de France (EdF) in Dünkirchen zerschlagen hatten. In der Branche war es kein Geheimnis, dass Liebing von den Gestaltungsmöglichkeiten bei der EnBW nicht mehr sehr angetan war und schon länger eine Perspektive jenseits von Karlsruhe suchte.

Doch die Jobsuche wurde durch das schwebende Verfahren nicht gerade erleichtert. Liebing landete schließlich bei der mittelständischen Beratungsgesellschaft Concilius AG, wo er Mitglied der Geschäftsleitung wurde und das Hamburger Büro leitet. Dort unterstützt er Unternehmen bei Investitionsvorhaben im Energiesektor, auch außerhalb Europas. Ihre Dienste empfiehlt Concilius etwa bei der Expansion in Länder, „in denen Politik und Wirtschaft sehr eng verflochten sind“. Bei den Beratern traf der Stuttgarter auf einen alten Parteifreund aus seiner Heimatstadt: der einstige Staatsminister Christoph Palmer, heute Senior Advisor bei Roland Berger, ist dort Vizevorsitzender des Aufsichtsrates. Palmer promovierte übrigens schon Jahre vor Liebing in Hohenheim. Sein Thema: „Der Bundestagswahlkampf 1986/87. Eine systematische Darstellung der Wahlkampfführung der Bundestagsparteien und der Rahmenbedingungen der Wahl.“

Beim Afrikaverein der deutschen Wirtschaft, dessen Vorstand Liebing bereits seit 2010 angehörte, spielt die Titel-Prüfung offiziell keine Rolle. Als der langjährige Vorsitzende im Januar vorzeitig ausschied, ließ sich der schwäbische Hamburger zunächst für die Restamtszeit zum Nachfolger wählen. „Afrika gewinnt für die deutsche Wirtschaft zunehmend an Bedeutung“, sagte er bei der Amtsübernahme; daher wolle er den Dialog mit Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit intensivieren. Bei den turnusmäßigen Präsidiumswahlen im April wurde Liebing, wiederum einstimmig, für drei Jahre bestätigt. Von der Untersuchung der Uni wisse man seit etwa einem Jahr, sagte der Pressesprecher des Vereins der StZ. Beeindrucken lässt man sich davon nicht: „Im Afrikaverein gibt es an der Integrität von Herrn Dr. Liebing keine Zweifel.“