Ein Ex-Manager erlebt Wundersames mit der Justiz: seine Anzeige wegen Rechtsbeugung wird nicht einmal ganz gelesen, Staatsanwälte sind gleichzeitig Partei und neutral.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Großes Vertrauen in die Justiz hatte Bernhard Schmitz (Name geändert) ohnehin nicht mehr. Unrecht statt Recht, meint der frühere IBM-Manager aus Reutlingen, sei ihm vor dem Landesarbeitsgericht widerfahren. Das habe seine Mobbing-Klage gegen den einstigen Arbeitgeber mit einem Urteil abgewiesen, in dem der Sachverhalt vorsätzlich verkürzt und so grob verfälscht worden sei.

 

Schon in der Verhandlung fühlte sich Schmitz von dem Vorsitzenden Richter unter Druck gesetzt, einem aus seiner Sicht inakzeptablen Vergleich zuzustimmen. In der Entscheidung sah er die Fakten derart „frisiert“, dass auch die Beschwerde beim Bundesarbeitsgericht scheitern musste – und scheiterte. Sein mehrjähriger Konflikt mit dem IT-Konzern, der ihn stufenweise vom Vertriebsmanager zum Juniorverkäufer degradiert habe, sei darin auf wenig Monate reduziert worden. Nur so habe das Gericht die Klage abweisen können, deren Erfolg für IBM weitreichende Konsequenzen gehabt hätte.

Strafanzeige mit 500 Seiten erstattet

Nach dem Urteil erlitt Schmitz – psychisch ohnehin angegriffen – einen Nervenzusammenbruch und musste sich mehrere Monate in stationäre Behandlung begeben. Es dauerte lange, bis er wieder die Kraft fand, um weiter für sein Recht zu kämpfen. Doch seit er strafrechtlich gegen die Richter und zivilrechtlich gegen das Land vorgeht, sind seine Zweifel an der Justiz noch massiv gewachsen. Da wurde seine umfängliche Strafanzeige wegen Rechtsbeugung von der Staatsanwaltschaft Stuttgart im Rekordtempo abgewiesen, ohne dass die Ermittler sie überhaupt komplett gelesen hatten. Und im Zivilverfahren vor dem Landgericht Stuttgart um Schadenersatz und Schmerzensgeld wird das Land von der gleichen Generalstaatsanwaltschaft vertreten, die auch die Stuttgarter Staatsanwälte beaufsichtigt. Ein Urteil wegen Amtspflichtverletzung setzte freilich voraus, dass sich die Richter strafbar gemacht hätten – da schließt sich der Kreis.

Fast ein Jahr lang hatte Schmitz an der Strafanzeige gearbeitet, beraten von einem Reutlinger Rechtsanwalt und im Kontakt mit einem bundesweit renommierten Rechtsgelehrten. Alleine auf das längst rechtskräftig gewordene Urteil, wusste er, könnte er den Vorwurf der Rechtsbeugung nicht stützen. Aber es gibt zwei Zeugen, die den Verlauf der Verhandlung ganz oder teilweise mitprotokolliert haben. Aus deren Aufzeichnungen ergebe sich, wie groß die Diskrepanz zwischen dem bei Gericht vorgetragenen Sachverhalt und dem später im Urteil dargestellten sei. Sie könnten bestätigen, wie er vom Vorsitzenden Richter unter Druck gesetzt, ja „fertig gemacht“ worden sei. Dessen Vorgehen – aus welchen Gründen auch immer – offenbare ein „hohes Maß an krimineller Energie“. Am Ende umfasste die Anzeige mehr als 500 Seiten, einen prall gefüllten Aktenordner.

Staatsanwaltschaft lehnt Ermittlungen ab

Mitte November gab Schmitz den Ordner persönlich bei der Staatsanwaltschaft ab. Mit einer schnellen Reaktion rechnete er nicht, schon wegen der Fülle des Materials. Doch bereits vier Arbeitstage später bekam er Post von Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler: Anhaltspunkte für strafbare Handlungen seien nicht zu erkennen, der Anzeige wegen Rechtsbeugung werde daher keine Folge gegeben. Wenn der Rechtsweg ausgeschöpft sei, erläuterte Häußler, müsse ein Urteil eben „hingenommen werden“. Andere Möglichkeiten, es anzufechten, gebe es nicht. „Die Überprüfung richterlicher Entscheidungen ist keine Aufgabe der Staatsanwaltschaft“, ein solches Begehren sei sogar „rechtsmissbräuchlich“.

Rechtsbeugung liege im Übrigen nur dann vor, wenn eine Rechtsauffassung „nicht einmal vertretbar erscheint“ oder sich offensichtlich „als Willkürakt darstellt“, schrieb Häußler. Vier Tage für 500 Seiten – konnte der viel beschäftigte Chef der politischen Abteilung die Anzeige wirklich ganz gelesen haben? Sicher „nicht jedes einzelne Blatt“, sagt die Behördensprecherin, aber das sei auch nicht nötig gewesen, um die Sache zu erfassen.

Doppelrolle der Generalstaatsanwaltschaft

Inzwischen hat Schmitz Beschwerde gegen die Nichtaufnahme von Ermittlungen eingelegt, die auch seine Berater unverständlich finden. Es gebe „gewichtige Indizien“ für Rechtsbeugung in der mündlichen Verhandlung, attestierten sie ihm. Entscheiden muss darüber ausgerechnet jene Generalstaatsanwaltschaft, die im Zivilprozess die Interessen des Landes vertritt. Da aber hat sie sich bereits klar gegen den Kläger gestellt. Der wird in einem 120-seitigen Schriftsatz der Landes-Anwälte als leicht kränkbare, narzisstische Persönlichkeit dargestellt, die ihre „Hass- und Wutgefühle“ erst gegen die Vorgesetzten bei IBM und nun gegen den Arbeitsrichter richte. Seine Zeugen hätten den Prozessverlauf „völlig laienhaft“ und subjektiv gefärbt beschrieben, ihre Vorwürfe ließen sich durch die Aussage anderer Zeugen leicht widerlegen. Die Amtshaftungsklage, so das Fazit, sei eindeutig abzuweisen.

Kann eine Generalstaatsanwaltschaft, die eine Prozesspartei vertritt, zugleich unbefangen den Vorwurf der Rechtsbeugung prüfen? Kein Problem, sagt der Behördensprecher. Eine Interessenkollision gebe es „weder im Allgemeinen noch in dem konkreten Einzelfall“. Wegen des Legalitätsprinzips dürfe es bei der Entscheidung über eine Strafanzeige keine Rolle spielen, ob der Anzeigeerstatter das Land verklagt habe. Der zuständige Dezernent der Generalstaatsanwaltschaft habe bei der Prüfung der Klage indes keine Anhaltspunkte für Rechtsbeugung gesehen. Andernfalls hätte er „die zuständige Staatsanwaltschaft informiert“.

Mündliche Verhandlung im März 2013

Man sei also „nicht voreingenommen“, bilanziert der Sprecher, weshalb sich auch die Frage der Abgabe an eine andere Staatsanwaltschaft nicht stelle. Auch über die Beschwerde werde man losgelöst von dem Amtshaftungsverfahren entscheiden. Über die Klage soll im März 2013 erstmals mündlich vor dem Landgericht verhandelt werden. Behauptet würden „Verstöße gegen die richterliche Fürsorgepflicht, die zu einer schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung beim Kläger geführt haben sollen“, sagt die Gerichtssprecherin. Solche Klagen gegen Richter seien im Gerichtsbezirk eher selten.

Bernhard Schmitz verfolgt derweil aufmerksam die Diskussion über mögliche Fehler der bayerischen Justiz im Fall Gustl Mollath. So unterschiedlich die beiden Fälle seien – es gebe doch auch einige Parallelen. Hier wie dort etwa hätten die Staatsanwaltschaften Strafanzeigen „leichtfertig abgewiesen“, obwohl jeweils renommierte Strafrechtler einen erheblichen Anfangsverdacht gesehen hätten. In den nächsten Wochen arbeitet Schmitz nun an der Begründung für seine Beschwerde.