Nach der Sommerpause will die Landesregierung einen Normenkontrollrat einrichten. Dessen Aufgabe: Bürokratiemeidung, besser noch: Bürokratieabbau. Doch ein prominenter Christdemokrat warnt.

Stuttgart - Der von der Landesregierung geplante Normenkontrollrat stößt in der grün-schwarzen Koalition auf Kritik. Das neue Gremium dient dem Ziel, den Bürokratieaufwuchs einzuhegen, doch der frühere Finanzminister und CDU-Abgeordnete Willi Stächele befürchtet das Gegenteil: „Ich kann nur vor einem unnötigen Aufplustern warnen“, sagte Stächele der Stuttgarter Zeitung. „Das führt aller Erfahrung nach zu noch mehr Bürokratie.“

 

Nach den von Staatsminister Klaus-Peter Murawski (Grüne) forcierten Plänen soll ein unabhängiges Expertengremium aus sechs ehrenamtlichen Mitgliedern die vom Land erlassenen Regelungen auf ihre Folgen untersuchen. Das gilt zuvörderst für die Kosten. Schon jetzt muss zumindest in Gesetzesentwürfen angegeben werden, welcher Aufwand für die öffentlichen Haushalte entsteht. Fortan sollen die Ministerien auch „die Kostenfolgen für Private“ dokumentieren. So heißt es in der Kabinettsvorlage. Dort findet sich auch die knackige Formulierung vom „Preisschild“, das auf alles geklebt werden soll, was die Regierung produziert.

Wille zur ganzheitlichen Betrachtung

Staatsminister Murawski schreibt in der Kabinettsvorlage: „Künftig soll der Erfüllungsaufwand von Regelungsvorhaben für Wirtschaft, Bürger und Verwaltung vollständig ermittelt werden.“ Damit werde deutlich, „ob das angestrebte Ziel mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand erreicht“ werden könne. Dies ermögliche sodann eine „ganzheitliche Betrachtung“ der „wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen von Regelungsvorhaben“.

Dem Normenkontrollrats wird zur Aufgabe gemacht, die Plausibilität der ministeriellen „Preisschilder“ zu prüfen. Er soll auch eigene Vorschläge vorlegen können. Als Vorsitzende ist Gisela Meister-Scheufelen (CDU) vorgesehen, zuletzt Kanzlerin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und zuvor unter anderem Ministerialdirektorin im Finanzministerium.

Besserwisserische Gutachteritis

Das alles klingt verheißungsvoll. Doch Willi Stächele, der von 1998 bis 2011 viel Regierungserfahrung sammelte und derzeit dem Landtagsausschuss für Europa und Internationales vorsitzt, dämpft die Erwartungen: Zum einen erhöhe das neue Expertengremium selbst den bürokratischen Aufwand. Eine derart permanente, beim Staatsministerium angesiedelte „Gutachteritis“ könne „schnell „besserwisserisch, beschwerend und verzögernd“ wirken. Hinzukommen mag bei Stächele, der als früherer Minister des Staatsministeriums die Villa Reitzenstein gut kennt, auch die Sorge vor einem weiteren Machtausbau der von den Grünen geführten Regierungszentrale. Denn deren Amtschef Murawski soll als „Koordinator für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ fungieren. Er ist auch zuständig für den Normenkontrollrat, der zwar nur eine beratende Funktion hat. Seine Stellungnahmen sind nicht bindend. Aber der Amtschef des Staatsministeriums kann mit den Stellungnahmen natürlich politisch operieren.

Stächele sieht durch den Normenkontrollrat die Rechte und die Pflichten von Parlament und Regierung tangiert. Die finanziellen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologische Folgen von Gesetzesvorhaben zu bedenken, sei „vornehmste Aufgabe der Ministerien“. Diese, sagt Stächele, „sind hoch qualifiziert, können das sehr gut und brauchen keine Oberlehrer“. Die legislatorische Prüfung liege ohnehin beim Landtag. Die dort versammelten Vollzeitparlamentarier sähen sich ganz gut in der Lage, eine solche Prüfung „bei den wenigen Gesetzen und Gesetzesnovellen“, die in der Landespolitik anfielen, verantwortlich vorzunehmen. Zudem sei sachkundige Beratung im Einzelfall jederzeit abrufbar. Tatsächlich wurde erst unlängst das Mitarbeiterbudget der Abgeordneten von monatlich 5409 Euro auf 10 438 Euro verdoppelt, um den Abgeordneten wissenschaftlichen Sachverstand zugänglich zu machen. Im Normenkontrollrat erkennt Stächele daher ein eher „bedenkliches Beiwerk zur Parlaments- und Regierungsarbeit“.

Eine Million Euro sind auch viel Geld

Dass eine unnötige Bürokratie keine Erfindung ist, weiß auch Stächele. Aber er findet, es müsse nicht gleich ein Normenkontrollrat sein, ein Ombudsmann oder eine Ombudsfrau, angesiedelt beim Wirtschaftsministerium, tue es auch. Politik- und Verwaltungserfahren müsse der Ombudsmann sein, ausgestattet mit einer gewissen „Hartnäckigkeit“. Dazu bedürfe es noch eines Juristen sowie eines Verwaltungsfachmanns – für 200 000 Euro im Jahr sei das zu haben.

Der von Staatsminister Murawski angestrebte Normenkontrollrat schlägt hingegen mit fast einer Millionen Euro jährlich zu Buche. Die sechs ehrenamtlichen Mitglieder erhalten laut Kabinettsvorlage eine Entschädigung und Sitzungsgelder – dafür sind 94 000 Euro jährlich veranschlagt – sowie einen Reisekostenersatz (50 000 Euro). Unterstützt wird das Gremium von einem Sekretariat, das zwei Stellen im höheren Dienst und eine Stelle im gehobenen Dienst umfasst, die im Etat des Staatsministeriums bereits vorhanden sind. Weitere 334 000 Euro sind für Sachverständige, Fort- und Weiterbildung sowie Informations- und Kommunikationstechnik vorgesehen.

Darüber hinaus wachsen dem Statistischen Landesamt neue Aufgaben und Stellen zu: Es soll den Ministerien bei der Folgekostenabschätzung zur Seite stehen. Dabei wird von einer Stabsstelle mit drei Personalstellen im gehobenen Dienst ausgegangen (197 000 Euro). Weitere Aufwendungen in Höhe von 264 000 Euro stehen für Dienstleistungen, Computerausstattung sowie Dienstreisen zur Verfügung.