Einmal gewählt – für immer ausgesorgt? Das ist ein verbreitetes Vorurteil über Abgeordnete. Viele Ex-Parlamentarier müssen im Berufsleben neu Fuß fassen. Das ist nicht immer leicht, die Baden-Württemberger schlagen sich dabei aber nicht schlecht.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart - Bei der jüngsten Bundestagswahl sind 219 Abgeordnete aus dem Parlament ausgeschieden. Hundert haben ihren Abschied freiwillig genommen. 119 dagegen haben kandidiert und verloren. Zu ihnen zählt die grüne Gesundheitsexpertin Birgitt Bender. Die berufliche Perspektive der Stuttgarter Politikerin, die 24 Jahre lang im Land- und Bundestag war, brach in der Wahlnacht zusammen. „Ich hatte nicht erwartet, dass ich den Wiedereinzug verpasse“, sagt sie. Fünf Monate nach dem plötzlichen Aus hat die 57-Jährige den Einstieg in ein neues Berufsleben geschafft. Sie hat sich als Beraterin im Gesundheitswesen selbstständig gemacht, ihre eigene Firma angemeldet und den ersten Vertrag mit einer Krankenkasse in der Tasche. „Ich kämpfe noch mit der Bürokratie, lerne, Belege zu sammeln und die Umsatzsteuer zu berechnen“, erzählt sie. „Irgendwann werde ich Routine in all diesen Dingen haben. Aber im Moment ist sie noch nicht da.“

 

Jeder Politiker weiß, dass in der Demokratie Mandate nur auf Zeit zu haben sind. Aber wenn die Zeit unerwartet ausläuft, verlangt das nicht selten einen fundamentalen Neustart. Dass Politiker ausgesorgt haben, sobald sie einmal Abgeordneter sind, ist ein Vorurteil – trotz aller Vorteile der Diäten und Pensionen von Parlamentariern. Auch die Zahlen der jüngsten Bundestagswahl belegen dies: Von den im Herbst Ausgeschiedenen erhalten 37 eine Abgeordnetenpension. 108 bekommen noch Übergangsgeld, die übrigen 74 erhalten keine Zahlungen vom Parlament mehr.

Anspruch auf Übergangsgeld beruhigt

„Das ist schon eine Riesenumstellung“, sagt Birgitt Bender. Sie hat ein paar Monate gebraucht, um den Kopf frei zu bekommen für eine neue Existenz. „Ich hatte den Vorteil, dass ich bekannt bin und im Gesundheitswesen einen guten Namen habe“, erklärt sie im Rückblick. Inzwischen hat sie ihre Basis in Berlin vergrößert und das alte WG-Zimmer gegen eine Wohnung mit Büro getauscht. Weil sie Geld verdient, bekommt Birgitt Bender kein Übergangsgeld mehr. „Aber zu wissen, dass man darauf Anspruch hat – bei mir wären es elf Monate gewesen –, beruhigt die Nerven enorm.“

Es gibt zuverlässig Schlagzeilen, wenn etwa der frühere Abgeordnete und Staatsminister im Kanzleramt Eckart von Klaeden zum Daimler-Konzern wechselt. Aber bei Weitem nicht alle Ex-Politiker fallen die Treppe hoch. Gestützt auf eine Umfrage der Unternehmensberatung Kienbaum hat der „Spiegel“ den Job im Bundestag sogar als „Karrierekiller“ ausgemacht. 15 Prozent der Befragten stuften sich fünf Monate nach Ende der Wahlperiode als arbeitssuchend ein – das sind bei 47 Teilnehmern allerdings nur sieben Personen. Es wäre wagemutig, auf dieser Basis Trends über die Arbeitsmarktchancen von Ex-Politikern ableiten zu wollen. Für die StZ ist sie der Anstoß nachzuhören, wie die 27 Ausgeschiedenen aus dem Land mit dem postparlamentarischen Dasein klarkommen.

Nicht alle können so entspannt ins Leben blicken wie der CDU-Mann Ernst-Reinhard Beck (69), der nach elf Jahren als Verteidigungspolitiker selbstbestimmt aufgehört hat und jetzt im Ruhestand ist – so wie auch sein Fraktionskollege Peter Götz (nach 23 Jahren im Bundestag), die Stuttgarterin Ute Kumpf (SPD, 15 Jahre), Ex-Staatssekretärin Karin Roth (SPD, elf Jahre), der Linkspolitiker Ulrich Maurer (acht Jahre) sowie Heinz Golombeck (FDP, vier Jahre) und Ex-Staatssekretär Ernst Burgbacher (FDP, 15 Jahre). „Im Kalender sind die Parlamentswochen noch rot markiert und manchmal pfupfert es mich mittwochs, wenn der Verteidigungsausschuss tagt“, berichtet Beck. „Aber ich genieße schon, dass ich jetzt auf der Terrasse sitze, in blühende Bäume gucke und mit meiner Frau einen Latte macchiato trinken kann.“

Im Südwesten sind 15 Liberale im Herbst rausgeflogen

Bei Lehrern wie Susanne Kieckbusch (Grüne), die als Nachrückerin für Stuttgarts OB Fritz Kuhn neun Monate im Bundestag war, und Professoren wie Erik Schweickert (FDP, vier Jahre), ist die Rückkehr in den alten Beruf eher unkompliziert. Auch für die neun aus dem Bundestag ausgeschiedenen Juristen ist es leicht, am früheren Beruf anzuknüpfen. So können zum Beispiel Siegfried Kauder (vormals CDU, elf Jahre im Parlament) und Memet Kilic (Grüne, vier Jahre) die Arbeit in der eigenen Kanzlei wieder intensivieren. Florian Toncar (FDP, acht Jahre) ist Anwalt in Frankfurt geworden, Judith Skudelny aus Stuttgart (FDP, vier Jahre) arbeitet wieder als Insolvenzverwalterin und Hartfrid Wolff (FDP, acht Jahre) ist bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beschäftigt, in der er vor seiner Zeit als Abgeordneter gearbeitet hat. Der Pfarrer Pascal Kober (FDP) wird nach vier Jahren im Bundestag Militärpfarrer in Stetten am kalten Markt.

In der Regel sichern die Volksparteien ihre Abgeordneten ab. Die Härten des demokratischen Wechsels treffen die kleinen Parteien stärker – allen voran die FDP. Allein aus dem Südwesten sind 15 Liberale im Herbst aus dem Parlament geflogen. Birgit Homburger, früher Landesvorsitzende und Fraktionschefin im Bundestag, saß fast ihr halbes Leben im Parlament. Nach 23 Jahren in Bonn und Berlin muss sich die 48-jährige gelernte Verwaltungswissenschaftlerin von der Berufs- und Spitzenpolitik abnabeln. Es gehe ihr gut, lässt sie wissen, und dass sie vor lauter Terminen keine Zeit für ein Telefonat habe. Dirk Niebel, 51, Ex-Entwicklungsminister und vor seiner Mandatszeit bei der Arbeitsverwaltung tätig, nimmt die Situation kämpferisch. „Politrentner, dieser Begriff bekommt heute Nacht eine ganz neue Bedeutung für mich“, räsoniert er auf seiner Facebook-Seite. Drei Monate nach Ausscheiden aus dem Ministeramt, habe sein Status als Beamter auf Lebenszeit durch die Versetzung in den Ruhestand offiziell geendet. „Ruhestand suggeriert: nichts mehr tun. Vergesst es!“, fügt Niebel hinzu.

Der liberale Bildungspolitiker Patrick Meinhardt (acht Jahre im Bundestag) ist jetzt als Berater unterwegs. „Beruflich habe ich mehrere Eisen im Feuer“, sagt er. Er bietet Politik- und Strategieplanung an und ist außerdem Geschäftsführer seines eigenen Bildungsberatungs- und Seminarbetriebs. Vielleicht wird er im nächsten Schuljahr wieder eine Nachhilfeschule in Baden-Baden aufmachen, das war vor seinem Wechsel in den Bundestag schon einmal so. „Da ist einiges im Gange, aber ich muss sorgfältig abwägen, weil ich nicht sicher bin, dass ich die Zeit dafür habe“, setzt er hinzu. Für ihn ist die Abwahl kein Abschied aus der Politik; beim Versuch des liberalen Neustarts mischt er als Mitglied im Bundesvorstand und Generalsekretär der Südwest-FDP mit – ehrenamtlich allerdings. Sein nächstes Ziel ist, bei der Kommunalwahl in Baden-Baden Stadtrat zu werden. Er will helfen, die FDP von unten wieder aufzubauen.