Aus freien Stücken hat der Fußballer Sven Schimmel seine Profikarriere in der dritten Liga schon mit 23 Jahren beendet – und damit viele Leute überrascht. Warum? Das erzählt er in einem Erfahrungsbericht.

Stuttgart - Meinen letzten Tag als Fußballprofi habe ich in Jeans und Turnschuhen erlebt. Leider hatte ich mich verletzt und konnte im letzten Saisonspiel meines SV Wehen Wiesbaden gegen den Karlsruher SC nur zuschauen. Nach dem Schlusspfiff betrat ich noch einmal den Rasen und verabschiedete mich von den Fans. Mit einem weinenden Auge, weil eine aufregende Zeit zu Ende ging. Vor allem aber mit einem lachenden, weil ich mich sehr freute auf das, was nun kommen würde.

 

Mit 23 Jahren habe ich an jenem 18. Mai 2013 meine Profikarriere beendet. Für die meisten Leute kam dieser Schritt sehr überraschend. Warum wirfst du deinen Traum so einfach weg? Warum beendest du so früh deine Profikarriere, obwohl du noch viele gute Jahre vor dir hättest? Journalisten, Menschen in meinem Umfeld und meine Kollegen in der Mannschaft konnten meine Entscheidung nur schwer nachvollziehen. Doch es war die richtige Entscheidung – und heute wird sie auch von den meisten respektiert, sogar bewundert.

Als Zwölfjähriger geht es zum VfB Stuttgart

Die meisten Kinder, die Fußball spielen, träumen davon, eines Tages in einem großen Stadion aufzulaufen. Das war bei mir nicht anders. Doch irgendwo auf meinem langen Weg ging mein Traum verloren.

Seit ich fünf Jahre alt war und das erste Mal gegen einen Ball getreten habe, wollte ich Fußballprofi werden. Als ich 2001, mit zwölf Jahren, den Wechsel vom kleinen Dorfverein SV Rommelsbach zum großen VfB Stuttgart wagte, wurde aus diesem Traum ein ganz konkretes Ziel. Jedes Jahr sah ich Spieler kommen und gehen – und war am Ende meiner Jugendzeit der einzige Spieler, der aus der U-13-Mannschaft noch übrig geblieben war. Natürlich musste ich in dieser Zeit auf vieles verzichten. Für Freunde und andere Dinge blieb nicht mehr viel Zeit. Doch ich hatte mich für diesen Weg entschieden und wusste, was ich wollte.

Ich galt in der Jugend nie als das Riesentalent. Doch ich habe immer hart an mir gearbeitet und mich nie beirren lassen. Ohne meinen U-19-Trainer Hansi Kleitsch hätte ich den Sprung ins Profigeschäft wahrscheinlich nicht geschafft. Vom Außenstürmer funktionierte er mich zum rechten Verteidiger um – eine Position, auf der ich schnell heimisch wurde. Und so bekam ich meinen ersten Vertrag für die dritte Liga.

Der Traum vom Debüt im Profifußball erfüllt sich 2008

Allerdings ließ mein erster Pflichtspieleinsatz beim VfB II unter dem Trainer Rainer Adrion lange auf sich warten. Am elften Spieltag war es dann so weit, gegen Fortuna Düsseldorf durfte ich die letzten 26 Minuten spielen. Wir verloren 0:4 – doch für mich war es ein Tag, den ich nie vergessen werde. Der Traum vom Profifußball, er hatte sich erfüllt. Vorübergehend stoppte mich anschließend eine schwere Schulterverletzung. Da ich unter Adrion nicht wie gewünscht zum Zug kam, zahlte sich der Trainerwechsel zu Reiner Geyer zur neuen Saison für mich aus. Geyer setzte voll auf mich, und es ging immer weiter nach oben – bis an die Schwelle der Bundesliga.

Nach guten Leistungen in der zweiten Mannschaft durfte ich unter Markus Babbel 2009 zum ersten Mal in der ersten Mannschaft des VfB trainieren. Ich war sehr aufgeregt, als ich das erste Mal die Kabine von Jens Lehmann und Co. betrat. Nach ein paar Trainingseinheiten war die Nervosität verflogen, und ich machte mir Hoffnungen auf einen Platz im Kader, zumal es beim VfB damals nicht gut lief. Doch nur zwei Wochen später platzen alle Hoffnungen. Markus Babbel wurde entlassen – ich musste mich wieder hinten anstellen. Es war nicht der einzige Moment, in dem ich gemerkt habe, dass es oft nur Kleinigkeiten sind, die darüber entscheiden, in welche Richtung eine Karriere geht.

Unter Christian Gross, dem Nachfolger Babbels, klopfte ich ein halbes Jahr später noch einmal an die Tür der Bundesliga. In Testspielen gegen Augsburg und Heidenheim wurde ich eingewechselt und bot ganz ordentliche Leistungen. Jedenfalls erklärte mir der Cheftrainer hinterher, dass er sehr zufrieden mit mir gewesen sei und dass ich auf mehr hoffen dürfe. Doch die Geschichte sollte sich wiederholen: Kurz darauf musste auch Gross gehen – und mein Traum von der ersten Liga war erneut geplatzt. Keine einfache Situation für einen jungen und sensiblen Spieler, wie ich es war.

Wechsel zum SV Wehen Wiesbaden

Nach zehn Jahren beim VfB entschied ich mich 2011 für eine neue Herausforderung. Ich löste meinen Vertrag auf und wechselte zum Drittligisten SV Wehen Wiesbaden, der als Aufstiegsfavorit galt. Alles war neu, alles war anders. Doch spätestens als ich das erste Mal meine Gitarre bei der Mannschaft dabeihatte, war ich voll akzeptiert. Die Musik war mittlerweile ein wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden und auch in schwierigen Phasen der perfekte Ausgleich. 30-mal stand ich im ersten Jahr auf dem Feld, doch mit dem Aufstieg wurde es nichts. Ganz im Gegenteil: wir retteten uns erst am vorletzten Spieltag vor dem Abstieg.

Das Medieninteresse in Wiesbaden war für mich komplett neu und um ehrlich zu sein: mich setzte die zunehmende Öffentlichkeit immer stärker unter Druck, es fiel mir nicht leicht, diesem standzuhalten. Die Menschen in meinem engeren Umfeld spürten, dass ich mich nicht mehr wohlfühlte. Und so kamen zunehmend Zweifel auf, ob der Profifußball für mich noch das Richtige ist.

Zwar war ich auch im darauffolgenden Jahr Stammspieler, dennoch sollte es die letzte Saison meiner Profikarriere werden. Ich beschloss schon im Winter, am Saisonende einen Schlussstrich zu ziehen. Daran änderten auch die Überredungsversuche der sportlichen Leitung nichts. Nachdem ich meine Entscheidung öffentlich gemacht hatte, kamen viele Leute auf mich zu und sagten: „Du hättest doch das Zeug gehabt für die zweite oder erste Liga.“ Letztlich habe ich es aber nicht bis nach ganz oben geschafft – und aus welchem Grund sollte ich es jetzt noch schaffen?

Pech? Fehlende Qualität? Oder schlicht zu viel nachgedacht?

Vielleicht hatte ich in vielen Situationen meiner Karriere tatsächlich Pech; vielleicht fehlte mir aber auch einfach nur die Qualität. Und womöglich habe ich auch schlicht zu viel nachgedacht. Es ist im Fußball nicht immer hilfreich, wenn man sich zu viele Gedanken macht.

Und so habe ich mich schließlich an jenem 18. Mai 2013 nicht nur von den Fans des SV Wehen Wiesbaden verabschiedet, sondern auch von meinen Träumen und Zielen, die ich als kleiner Junge hatte.

Heute bin ich 24 und baue mir eine neue Zukunft auf. Bald werde ich ein Studium aufnehmen, ich mache Musik und stehe nebenher für den SSV Reutlingen in der Oberliga auf dem Feld. Am Samstag beginnt die Rückrunde, auf die wir uns gut vorbereitet haben. Doch weiß ich mittlerweile eines ganz genau: das Leben besteht nicht nur aus Fußball.

Sven Schimmel. Foto: Michael Steinert
Der Autor Der Ex-Profi Sven Schimmel (24) will Medientechnologie studieren und hat vorab ein Praktikum im Sportressort der StZ absolviert.