Seit der Fußballprofi Julian Schieber von Dortmund zu Hertha BSC gewechselt ist, kommt er wieder öfter zum Zug. Am Freitag empfangen die Berliner Schiebers frühere Kollegen vom VfB. Doch ein Platz in der Startelf ist nicht alles für den gebürtigen Backnanger.

Berlin - Dass am Freitag ein besonderes Spiel ansteht, daran gibt es für Julian Schieber keinen Zweifel. Im Berliner Olympiastadion trifft er mit seinem neuen Verein Hertha BSC auf den VfB Stuttgart. Auf jenen Club, der den Backnanger am stärksten geprägt hat. Der Club, bei dem er schon in der Jugend spielte und sich bis zum Bundesligaprofi hocharbeitete. Der Club, bei dem er sich für einen der beiden deutschen Branchenführer (Borussia Dortmund) empfahl. Es schwingt also allerhand mit bei dieser Partie für Julian Schieber. Doch er sagt dazu: „Das Spiel ist für mich nicht ein besonderes, weil es gegen meinen alten Club geht.“

 

Natürlich habe er noch viel Kontakt mit früheren Teamkollegen wie Christian Gentner und Daniel Didavi. Auch für die Situation beim VfB steuert er sofort eine profunde Erklärung bei: „Schwaben haben hohe Erwartungen. Wenn die nicht erfüllt werden, gibt es Unruhe.“ Aber wegen alldem ist die Partie jetzt nichts Besonderes für ihn. Sie ist besonders, „weil bei uns wirklich viel auf dem Spiel steht“, sagt er.

Dann zählt der 25-Jährige die Fakten auf, die das Spiel für ihn so wichtig machen: Hertha befinde sich viel zu weit unten in der Tabelle (14.), habe viel zu wenig Punkte (fünf) und außerdem komme nach dem VfB die Länderspielpause. Ein Erfolgserlebnis wird also dringend gebraucht. Schieber selbst dagegen hat in der Hauptstadt bisher vor allem positive Schlagzeilen produziert.

Selbst die Berliner loben den „sympathischen Schwaben“

Die Boulevardpresse lobt ihn als „sympathischen Schwaben“, was im Fußball aber noch wichtiger ist: In seinen ersten drei Pflichtspielen traf Schieber viermal und bereitete zwei Tore vor. Gleich bei seinem Bundesligadebüt für Hertha gegen Bremen gelang ihm ein Doppelpack. Dieser beachtliche Start ist umso bemerkenswerter, weil Schieber zuvor beim BVB kaum noch die Gelegenheit bekommen hatte, überhaupt in Richtung gegnerisches Tor zu schießen. Unter Jürgen Klopp absolvierte er in den vergangenen zwei Jahren zwar 35 Bundesligaspiele (drei Treffer), dabei stand er jedoch nur siebenmal in der Startelf.

Schieber hätte also guten Grund, jetzt regelmäßig auf seine ansehnliche Quote zu verweisen und seinen Dortmunder Kritikern die Leviten zu lesen. Doch was tut er? Er sagt: „Es war kein starker Start.“ Schließlich hätten seine Tore keine Siege gebracht. „Ich hätte mehr Tore machen können.“ Wenn Schieber das sagt, mit leiser Stimme und gesenktem Blick, wirkt das nicht übertrieben demütig oder heuchlerisch. Man nimmt es ihm schon ab. Es passt nur einfach nicht zu seiner imposanten Erscheinung. 1,86 Meter Körpergröße, breite Schultern. Aber Schieber ist eben ein zurückhaltender Typ – und er ist sehr hart mit sich selbst. „Ich bin von Haus aus sehr selbstkritisch“, sagt er. „Ich will mich doch immer verbessern.“

Deshalb stellt er seinen vielversprechenden Neuanfang in Berlin auch nicht als die große Befreiung dar. Überhaupt ist er kein Freund extremer Urteile. Er weiß genau, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern auch sehr viel dazwischen. „Es ging mir nicht schlecht in Dortmund“, betont Schieber. Überragende Jahre seien es gewesen, mit dem Champions-League-Finale oder dem Endspiel im DFB-Pokal. Doch mit dem „hohen Trainingsniveau“, wie er rückblickend sagt, wollte er sich nicht mehr begnügen: „Ich wollte nicht länger auf mehr Einsätze warten.“

Für Schieber zählt zuerst die Mannschaft

Während der ersten sechs Bundesligapartien war Schieber viermal in der Startelf, gegen Augsburg am Sonntag wurde er eingewechselt. Den Stammplatz hat er erst einmal an Herthas späten Stareinkauf Salomon Kalou verloren, den ehemaligen Champions-League-Sieger mit dem FC Chelsea. Doch auch darauf reagiert der frühere U-21-Nationalspieler nicht so, wie wohl die Mehrheit seiner Kollegen reagieren würde: „Warum sollte seine Verpflichtung ein Nachteil für mich sein? Salomon bringt mehr Qualität in die Mannschaft.“ Und wieder merkt man: Schieber meint das vollkommen ernst. Er nimmt sich zurück, für ihn zählt tatsächlich zuerst die Mannschaft.

Diese Eigenschaft mag manchen Ellenbogenprofi verwundern, Schiebers Trainer Jos Luhukay schätzt sie enorm an ihm: „Julian ist absolut teamfähig, er ist ein guter Charakter.“ Der Niederländer merkt allerdings ebenso, dass sein 2,5-Millionen-Euro-Zugang noch Zeit braucht, um stabiler in seinen Leistungen zu werden. „In seinen ersten Spielen war er präsenter“, sagt Luhukay. Deswegen nahm er ihn aus der Stammelf. Doch er ist überzeugt: „Julian wird ein wertvoller Spieler für uns.“

Schieber selbst weiß nur zu gut, was ihm derzeit noch fehlt: „Konstanz“, sagt er. Selbstverständlich denkt er viel darüber nach, wie er konstanter werden kann. Selbstverständlich grübelt er. Andererseits hat er sich bei all der selbstkritischen Veranlagung auch einiges für Berlin vorgenommen. Vier Jahre gilt sein Vertrag. „Ich mag es, länger zu planen“, sagt Schieber. So können Ambitionen wachsen.