Aus westlicher Sicht ist der Sudan ein Schurkenstaat. Sanktionen sollen die Macht von Präsident Omar al-Baschir bröckeln lassen. Der Stuttgarter Geschäftsmann Rainer Glöckle hält diesen wirtschaftichen Druck für gefährlich.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Afrikaner lassen sich Zeit. Der Merowe-Damm am Nil ist eines der größten Bauwerke des Schwarzen Kontinents, 67 Meter hoch und 1,9 Milliarden Dollar teuer. Doch erst kürzlich, vier Jahre nach der Eröffnungsfeier, wurde ein Kontrollschiff in den aufgestauten See gesetzt. Die „Taharga“ soll dafür sorgen, dass keine zerstörerischen Sedimente in die Turbinen des Wasserkraftwerks geraten.

 

Das 40 Tonnen schwere Schiff wurde vom Stuttgarter Ingenieurbüro Centech konzipiert und auf einer Werft an der Elbe gefertigt. Der Centech-Inhaber Rainer Glöckle könnte sich darüber freuen, dass die 1,3 Millionen Euro, die er dem sudanesischen Staatskonzern Merowe Dam Electricity Company für die mit moderner Messtechnik ausgestattete Einzelanfertigung berechnet hatte, pünktlich auf seinem Konto eingegangen sind. Stattdessen ärgert er sich über die Firma ABB. Der Schweizer Technologiekonzern war am Bau des Merowe-Wasserkraftwerks beteiligt und weigert sich nun, dringend benötigte Ersatzteile zu liefern – Getriebe, Ölpumpen, Schalter, Ventile. „Wenn diese speziellen ABB-Komponenten nicht getauscht werden können, wird in Kürze im gesamten Sudan die Stromversorgung zusammenbrechen“, sagt Rainer Glöckle. „Das ist unfassbar, ein Skandal.“

Die Republik Sudan wird seit einem Vierteljahrhundert von einem Despoten beherrscht. Omar al-Baschir führte das Land in eine islamisch-totalitäre Richtung. Dem Terroristen Osama bin Laden gewährte er Gastrecht, Aufstände im christlich geprägten Südsudan und im verarmten Darfur schlug er blutig nieder. Als Konsequenz aus al-Baschirs Umtrieben nahmen die USA sein Land auf ihre Liste mit Schurkenstaaten, die UN und die EU belegten es mit einem Waffenembargo, der Internationale Strafgerichtshof erließ einen Haftbefehl gegen den Staatschef wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und einige westeuropäische Unternehmen brachen ihre Geschäftsbeziehungen zum Sudan ab.

Rainer Glöckle klickt sich am Computer durch eine Bildergalerie. Die Fotos zeigen ihn, den Schwaben mit Wohlstandsbauch, bei einem Festbankett zu seinen Ehren. Ringsum sitzen dunkelhäutige Männer in traditioneller Landestracht, der Shalabia, ihre Köpfe sind mit Turbanen bedeckt. Glöckle berichtet von der „unglaublichen Gastfreundschaft der Sudanesen“ und davon, dass die Acht-Millionen-Metropole Karthum viel sicherer sei als Stuttgart: „Ich konnte mitten in der Nacht durch die Straßen spazieren. Manchmal wurde ich freundlich gefragt, woher ich komme.“ Dass auf den Schnappschüssen keine einzige Frau zu sehen ist und er wochenlang auf Bier verzichten musste, liegt daran, dass auch Christen im Sudan solche islamischen Regeln zu befolgen haben. „So schreibt es der Koran eben vor“, sagt Glöckle, „das akzeptiere ich.“

Kranwagen und Kehrmaschinen für den Sudan

Der Stuttgarter schafft viel für den Sudan. Neben dem Forschungsschiff hat er mittlerweile Kranwagen, Feuerwehrfahrzeuge und Kehrmaschinen in den drittgrößten Flächenstaat Afrikas geliefert. Der 71-Jährige sagt, es gehe ihm nicht um Geld, sondern darum, „ im fortgeschrittenen Alter noch etwas Sinnvolles zu leisten“. Jahrzehntelang war der Ingenieur als Prozessbevollmächtigter für einen schwäbischen Global Player tätig. Von seinem alten Arbeitgeber bezieht er eine fürstliche Pension, von seinen neuen Auftraggebern wird er mit Anerkennung überhäuft. Die sudanesische Regierung hofiert ihn, ein Polizeigeneral ernannte ihn zum Ehrenoberst.

Rainer Glöckle revanchiert sich. Als der religiöse Berater von Staatspräsident Omar al-Baschir, Professor Ahmed Ali Al Iman, schwer verunglückt war, charterte der Unternehmer eine Maschine der Luftrettung und brachte den sudanesischen Kleriker von Karthum ins Katharinenhospital.

Perspektivenwechsel: Eine dreistündige Autofahrt von Stuttgart-Mitte entfernt liegt die Universität Bayreuth. Kurt Becks Arbeitszimmer ist der einzige Raum auf dem Campus, in dem man rauchen darf. Mit einer Bassstimme, die durch Tausende Gauloises geformt ist, berichtet der Professor, wie er gleich nach dem Abitur in seiner Heimatstadt Markgröningen erstmals durch Afrika reiste – in einem alten Ford Transit, den er für ein paar hundert Mark dem Farbenhersteller Marabu abgekauft hatte. Nun ist er 62 und gilt hierzulande als der Sudanexperte schlechthin. Beck hat das Land seit 1975 regelmäßig zu Forschungszwecken besucht, einmal lebte er mehr als ein Jahr lang bei Kamelnomaden. Inzwischen wird seine Anwesenheit im Sudan nicht mehr geduldet, er bekommt kein neues Visum.

Beck erzählt andere Geschichten als Glöckle. Als der Merowe-Stausee geflutet wurde, erlebte der Ethnologe vor Ort, wie Zigtausende sudanesische Bauern ihre Dörfer unvorbereitet verlassen mussten. Ihr Vieh ertrank. Im Jahr darauf zeigte das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) die hessische Firma Lahmeyer an. Die Menschenrechtsorganisation ist der Ansicht, dass sich das mit der Planung und Bauüberwachung des Merowe-Staudamms beauftragte Ingenieurbüro der „Herbeiführung einer Überschwemmung“ strafbar gemacht hat. Noch ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt. Sollte es zu einer Anklage kommen, würde auch Professor Beck in den Zeugenstand gerufen.

Ein wunderbares Bauwerk

Kurt Beck würde dem Richter wohl Folgendes erzählen: Der Merowe-Staudamm ist eigentlich ein wunderbares Bauwerk. Früher wurde Elektrizität im Sudan aus Schweröl gewonnen, giftige Rauchschwaden zogen durch die Städte. Nun produziert das riesige Wasserkraftwerk am Nil 82 Prozent des Stroms, der im Land verbraucht wird – ganz ohne Abgase oder radioaktiven Müll. Aber dieser Fortschritt ändert nichts daran, dass deutsche Firmen, die sich an solchen Projekten beteiligen, Geschäfte mit unanständigen Menschen machen: Der Sudan ist ein Polizeistaat, in dem Andersdenkende eingesperrt und gefoltert werden. In der Provinz Darfur tobt noch immer ein Bürgerkrieg, auch wenn die Weltöffentlichkeit davon keine Notiz mehr nimmt. Und der Verantwortliche für all das Leid ist Omar al-Baschir. Europäische Unternehmer, die an das Ideal der Aufklärung glauben, müssten alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Diktator zu stürzen – anstatt wie Lahmeyer bei Menschenrechtsverletzungen zu assistieren.

Vor zwei Jahren schien Omar al-Baschirs Macht kurzzeitig gefährdet. Mit dem christlich dominierten Südsudan, der sich nach einem jahrelangen verheerenden Bürgerkrieg abgespalten hatte, verlor der Herrscher nicht nur ein Viertel seines Territoriums, sondern auch vier Fünftel seiner Ölquellen. Der Benzinpreis stieg, und als Folge wurden auch die Nahrungsmittel teurer. Ein paar Tausend Menschen protestierten auf den Straßen gegen die Zustände. Die Polizei jagte die Aufständischen mit Schlagstöcken und Tränengas. Die Wortführer verschwanden in den Zellen der Sicherheitsdienste oder wurden erschossen. Die Revolution war im Keim erstickt.

Was würde geschehen, wenn das Merowe-Wasserwerk wegen fehlender Ersatzteile tatsächlich kollabieren würde? Fest steht, dass in großen Teilen des Landes die Lichter ausgehen würden. Möglicherweise könnte sich dann die Geschichte von 1985 wiederholen: Damals erzwang das sudanesische Volk aus Wut über den ökonomischen Niedergang und die zunehmende Islamisierung den Sturz des Herrschers Gaafar Numeiri. Es folgten vier Jahre, in denen ein Hauch von Freiheit, Gleichheit und Demokratie durch die staubigen Straßen Karthums wehte. 1989 kam Omar al-Baschir, damals Generalleutnant der Armee, bei einem Militärputsch an die Macht.

Rainer Glöckle ist dem in der westlichen Welt als Kriegsverbrecher und Terroristenfreund verfemten Staatspräsidenten nie persönlich begegnet. Folglich, sagt er, wolle er sich kein Urteil über al-Baschir erlauben – was er dann indirekt doch tut. Man dürfe afrikanische Politik nicht mit europäischen Maßstäben messen. „Im Sudan gibt es nicht nur Muslime und Christen, sondern auch eine ausgeprägte Stammeskultur. Zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen kommt es immer wieder zu Konflikten.“ Und was ist aus den arabischen Ländern geworden, in denen zuletzt Despoten gestürzt wurden? „Ägypten, Libyen, Syrien und der Irak versinken in roher Gewalt und politischem Chaos. Wem ist geholfen, wenn im Sudan ähnliches passiert?“

Die Chinesen kommen

Außerdem, meint Glöckle: Wenn sich die europäischen Unternehmen aus den afrikanischen Krisenstaaten zurückziehen, stoßen sofort die Chinesen in die frei gewordenen Marktlücken. Die asiatische Wirtschaftsmacht schert sich wenig um Menschenrechte, ihr geht es allein um Expansion. Die mehr als neun Kilometer lange Staumauer in Merowe wurde von einer Pekinger Kooperation errichtet. Das Bauwerk leckte schon bei der Einweihung und musste von dem Stuttgarter Bauunternehmen Züblin abgedichtet werden. Für Glöckle ist das ein Beweis dafür, dass deutsche Wertarbeit in der ganzen Welt benötigt wird – zumindest noch. „Wenn wir so weitermachen, werden uns die Chinesen bald abhängen.“ Aktuelles Beispiel: Jahrzehntelang rollten Lokomotiven, die im Kasseler Henschel-Werk gebaut wurden, auf den Schienen zwischen Wadi Halfa und Nyala. Nun transportieren Ziyang-Loks des Typs Dongfanghong (auf Deutsch: Der Osten ist rot) die Sudanesen durch ihr Land.

Es ist ein ethisches Dilemma. Fördert ein deutsches Unternehmen das Merowe-Wasserkraftwerk, sorgt es unter anderem dafür, dass Trinkwasser aus Brunnen gepumpt werden kann, dass Kliniken mit Elektrizität versorgt werden oder dass man auch im hintersten Winkel des Sudan mit einem Handy telefonieren kann. Die Stuttgarter Firmen Centech und Züblin haben sich für diesen Weg entschieden, der ihnen gute Umsätze beschert. ABB will seine Millionen hingegen nicht mehr im totalitären Staat Sudan verdienen. Vielleicht geht es dem Züricher Elektrokonzern tatsächlich um Menschenrechte, vielleicht aber auch nur darum, es sich nicht mit seiner wichtigen amerikanischen Kundschaft zu verscherzen.

US-Firmen wurden Handelsbeziehungen zum Sudan übrigens von ihrer Regierung verboten. Trotzdem sind Baumaschinen des Weltmarktführers Caterpillar von Illinois nach Karthum gelangt. Die Beweise dafür, dass jedes Embargo umgangen werden kann, hat Rainer Glöckle auf seinem Computer gespeichert.