In der Mitte des 19. Jahrhunderts war das Remstal bekannt für seine leckeren Kirschen. Die Früchte wurden zentnerweise nach Bayern exportiert. Die 1861 in Betrieb genommene Remsbahn brachte den Handel in Schwung.

Rems-Murr-Kreis - Rote Türkin, Remstalschecke oder Frühe vom Roten Rain – so hießen in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Exportschlager des Remstals. Zigtausende Kirschen sind einst Jahr für Jahr an die Isar transportiert worden, wo die süßen Früchte aus Strümpfelbach, Buoch, Rohrbronn oder den Berglen zum Beispiel auf dem Münchener Viktualienmarkt angeboten wurden. Die 1861 eingeweihte Remsbahn brachte den Handel richtig in Schwung: Bis zum Ersten Weltkrieg dampfte der voll beladene „Kirschenzug“ allabendlich um 21 Uhr ins Bayerische. Zuladestellen waren beispielsweise die Bahnhöfe in Endersbach und Grunbach.

 

Aber bereits ein gutes Jahrzehnt vor der Eröffnung der Bahnstrecke hatte der Kirschenverkauf geboomt. „Im Jahr 1850 hat man in Strümpfelbach um die 5000 Gulden damit eingenommen“, erzählt der Weinstädter Heimatforscher Wolf Dieter Forster. In einer 1850 veröffentlichten Beschreibung des Oberamts Waiblingen heißt es: „Nicht selten werden an einem Ort 12 bis 15 Wagen mit Kirschen beladen und von Händlern nach Ulm, Augsburg oder München geführt. Der Erlös betrug 1847 für manches Dorf 10 000 bis 15 000 Gulden.“

Für die Strümpfelbacher waren die Kirschen ein wahrer Segen, denn die fruchtbaren Äcker, die hatten nur die Endersbacher. Obstbäume aber ließen sich auf der Strümpfelbacher Gemarkung pflanzen. „Für die Kirschen haben die Leute Geld auf die Hand bekommen“, sagt Wolf Dieter Forster. Doch die Einnahmen schwankten wie die Ernteerträge von Jahr zu Jahr, und zwar teilweise drastisch. „1909 sind 10 000 Zentner Kirschen aus Strümpfelbach über den Bahnhof Endersbach verschickt worden, zwei Jahre später waren es 5000, 1912 und 1913 haben Frühfröste fast die ganze Ernte zerstört“, sagt Wolf Dieter Forster. Selbst bei einer guten Ernte war der Kirschenanbau ein unsicheres, ja gefährliches Gewerbe, denn die Früchte wuchsen auf stattlichen Hochstammbäumen, die über bis zu zwölf Meter lange Leitern erklommen werden mussten.

Die Bewohner Strümpfelbachs waren nicht die einzigen Kirschbauern: Auch in den Berglen verdienten sich viele Menschen ein Zubrot mit Kirschen, was sich in den Ortswappen von Bretzenacker, Reichenbach oder Steinbach widerspiegelt, die alle mit den Früchten verziert sind.

Ein Balanceakt: 25 Kilo Kirschen auf dem Kopf transportiert

Die Bahn machte den Transport der druckempfindlichen Kirschen von 1861 an schneller. In geflochtenen Weidenkörben balancierten die Frauen ihre Kirschen, die sie sorgfältig mit schützendem Laub bedeckt hatten, auf dem Kopf zu den verschiedenen Sammelstellen. Die Körbe waren bis zu 25 Kilo schwer. Mitte des 19. Jahrhunderts seien die Gaststätten in den Ortschaften der Platz gewesen, an dem die diversen Obsthändler Stellung bezogen hätten, um die Ware zu begutachten und aufzukaufen, erzählt Wolf Dieter Forster.

In Strümpfelbach sei dann im Jahr 1918 eine Gemeindekirschenstelle eingerichtet worden, die sämtliche Früchte auf- und dann weiterverkaufte. Dem dafür verantwortlichen Obsthändler Christian Ritter habe das den Spitznamen „Verkehrsminister“ eingetragen, erzählt Wolf Dieter Forster. Noch 1940 ließ der damalige Strümpfelbacher Bürgermeister einen sogenannten Kirschenmuttergarten anlegen, in dem die unterschiedlichsten Sorten angepflanzt wurden. Dort konnten sich Obstbauern Reißer kaufen, um ihre Kirschbäume zu veredeln. Der Garten existiert bis heute unweit des Naturfreundehauses, doch die goldenen Zeiten des Kirschenanbaus sind seit Mitte der 1950er Jahre Geschichte. „Kirschbäume gibt es zwar noch, aber viele werden nicht mehr gepflegt“, sagt Sonja Ziegler, die mit ihrem Mann in den Berglen eine 30-Ar-Anlage betreibt. Die empfindlichen Früchtchen werden dort etwa 14 Tage vor der Ernte mit einem Dach geschützt, damit sie nicht aufplatzen. Heute wollten die Kunden große, harte Herzkirschen, sagt Sonja Ziegler – die alten Sorten, die oft kleiner und weicher, aber auch unempfindlicher seien, würden kaum gekauft. Das aktuelle Kirschenjahr lässt zumindest bei den Zieglers zu wünschen übrig: „Die Ernte wird bei uns nicht so toll.“