Das Verfassungsgericht lässt dem EuGH in Sachen Anleihekauf durch die EZB keine Ruhe. Nachdem die Karlsruher Richter einen ersten Spruch aus Luxemburg nur murrend akzeptiert hatten, legen sie ein weiteres Verfahren vor. Das ist richtig so, kommentiert Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Karlsruhe - Die Einigkeit Europas ist jenseits politischer Sonntagsreden nicht so ausgeprägt, wie es sich viele Bürger wünschen würden. Das gilt für den Umgang mit Flüchtlingen, und das gilt auch für ein Thema, das in der Versenkung verschwunden schien, tatsächlich aber nach wie vor bedrohlicher ist als all die armen Gestalten, die da in völlig überfüllten Schlauchboten über das Mittelmeer kommen: die Finanzpolitik der Europäischen Zentralbank.

 

Im Norden des Kontinents, vor allem in Deutschland, ist man überzeugt davon, dass die vom italienischen EZB-Präsidenten Mario Draghi verantwortete Geldschwemme viel Schaden anrichtet. Es scheint fast, als gebe es in diesem Punkt eine Art von nationaler DNA. Nicht nur der deutsche Finanzminister sieht das so, sondern auch das Bundesverfassungsgericht. Wirtschaftspolitik ist – anders als Währungspolitik – Sache der Mitgliedsländer, so die deutsche Argumentation. Und die Anleihekäufe seien Wirtschaftspolitik.

Gute Argumente haben nicht geholfen

So richtig die Argumentation auch ist, geholfen hat sie bisher nicht. Schon einmal hat der Europäische Gerichtshof die Karlsruher Kollegen überstimmt und das sogenannte OMT-Programm zum Anleihenkauf für vereinbar mit dem Unionsrecht erklärt. Peter Gauweiler, ein nicht nur wortgewaltiger CSU-Haudegen, sondern auch mit allen juristischen Wassern gewaschener Gegner der EZB-Politik, sprach von einer Kriegserklärung seitens der Europarichter. Der Linken-Politiker Gregor Gysi, nicht gerade oft auf CSU-Linie zu finden, flehte die Verfassungsrichter hinterher fast schon an, den Kollegen in Luxemburg zu widersprechen. Sie taten es nicht.

Das bedeutet freilich nicht, dass Karlsruhe mit der Argumentation aus Luxemburg einverstanden ist. Im Juni 2016, zwei Tage bevor Großbritannien den Brexit wählte, haben die Karlsruher Richter lediglich den ganz großen europapolitischen Knall vermieden. Sie haben in ihrem Urteil den Spagat versucht, den EuGH zu rügen und der EZB Grenzen zu ziehen, ohne die gesamte Entscheidung in Frage zu stellen – was wohl eine veritable Europakrise zur Folge gehabt hätte. Und sie haben die Entscheidung ihrer Kollegen genau gelesen, gewendet, und ziehen nun ihrerseits auf den Kriegspfad. Wer den EuGH-Beschluss zum OMT-Programm ernst nähme, der müsse das jetzt in Rede stehende Anleiheprogramm verbieten, so die Begründung. Anders als bei OMT ist dabei tatsächlich Geld geflossen, und das reichlich: mehr als 1,5 Billionen Euro bis Mitte Mai.

Endgültige Entscheidung erst in ein bis zwei Jahren

Karlsruhe lässt nicht locker, und das ist gut so. Dass das Luxemburger Gericht seine Ansicht ändert, ist zwar nicht unmöglich, aber doch wenig wahrscheinlich. Im nächsten Jahr, vielleicht auch erst 2019, werden sich die Verfassungsrichter dann aller Voraussicht nach erneut mit der Frage beschäftigen, ob sie einen unliebsamen Spruch der Europarichter passieren lassen.