An diesem Dienstag steht das Urteil über den Anleihenkauf an. Dabei geht es darum, ob die Justiz der EZB-Politik Schranken setzt. Beobachter erwarten einen Kompromiss.

Frankfurt - Ökonomen sprechen von einem Schicksalstag für die Eurozone. Und das zwei Tage bevor die Briten über den Brexit entscheiden. Die Verfassungsrichter in Karlsruhe werden am 21. Juni ihr Urteil über das Anleihe-Kaufprogramm OMT der Europäischen Zentralbank (EZB) fällen. Es könnte durchaus gravierende Folgen haben – für das seit März vergangenen Jahres laufende Programm zum Kauf von Staatsanleihen der Euro-Länder und seit wenigen Tagen auch zum Kauf von Euro-Unternehmensanleihen (QE). „Das Urteil ist völlig offen“, sagt Michael Schubert, EZB-Beobachter der Commerzbank. Zumal der zuständige zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) angeblich alles andere als einer Meinung ist.

 

Dass die Verfassungsrichter mit ihrem Urteil das laufende Anleiheprogramm der Währungshüter stoppen können, glaubt Schubert aber nicht. „Allerdings könnte eine weitere Ausweitung des Programms schwierig werden“. Im Kampf gegen die niedrigere Inflation und die schwache Kreditnachfrage und als Mittel, diese über noch niedrigere Zinsen zu beleben, kauft die EZB seit März vergangenen Jahres Anleihen der Euro-Staaten, zunächst für 60 Milliarden Euro pro Monat, seit April sogar für 80 Milliarden. Insgesamt hat sie damit bereits Papiere für mehr als 830 Milliarden Euro übernommen. Bis mindestens März nächsten Jahres soll noch einmal der gleiche Betrag dazu kommen. Außerdem hat die EZB gerade begonnen, Euro-Unternehmensanleihen zu kaufen.

Ein umstrittenes Programm

Das OMT-Programm – Outright Monetary Transactions – hat die EZB dagegen nie aktiviert. Im Juli 2012, als es in der Eurozone lichterloh brannte, hatten es die Währungshüter aufgelegt, um Krisenländern zu helfen. Die EZB werde alles tun, was nötig sei, um die Eurozone zu retten („Whatever it takes“), hatte EZB-Präsident Mario Draghi damals gesagt. Allein die Ankündigung des OMT-Programms wirkte wie eine umfassende Garantie für Krisenstaaten und sorgte für eine deutliche Entspannung der Lage, weil die Renditen der Staatsanleihen der Krisenländer deutlich fielen. Freilich rief die EZB damit auch scharfe Kritiker auf den Plan. Mit OMT habe die Notenbank ihre Kompetenzen überschritten, dies sei indirekte Staatsfinanzierung. Weil diese der EZB verboten ist, zogen Kläger vor das Verfassungsgericht, unter anderem der CSU-Politiker Peter Gauweiler und die frühere Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin.

2013 kam es zur ersten Verhandlung. Die Richter fällten kein Urteil und baten den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg um Prüfung. Der gab grünes Licht und schickte die Klage zurück nach Karlsruhe. Dort wurde im Februar erneut verhandelt. Jetzt muss das BVerfG Farbe bekennen und sagen, ob OMT von der Verfassung gedeckt ist und ob das allein dem Bundestag obliegende Recht über den Haushalt dadurch beschnitten wird. Schließlich würde der Bund und damit der Steuerzahler haften, wenn OMT umgesetzt und ein Euro-Staat tatsächlich in die Pleite rutschen würde.

Vor allem diese „Haftungsvergemeinschaftung“ hatte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann im Februar bei der Verhandlung in Karlsruhe kritisiert. Er ist erklärter Kritiker des OMT-Programms. EZB-Direktor Yves Mersch dagegen hatte betont, es gebe keine überhöhten Ausfallrisiken. Beide waren sich aber einig, dass OMT wohl nicht umgesetzt wird. Ohnehin kauft die EZB ja seit März 2015 über das QE-Programm, allerdings Anleihen aller Euro-Staaten.

Hat die EZB überzogen?

In einer ersten Einschätzung hatten die Verfassungsrichter 2014 die Auffassung vertreten, dass die EZB ihr Mandat überdehnt. „Es ist unwahrscheinlich, dass sie jetzt diese Sichtweise mehr oder weniger vollständig einsammeln“, sagt Schubert. Das BVerfG dürfte sich kaum gegen den EuGH stellen, weil dies einen Rechtsstreit innerhalb der EU bewirken würde. Schubert tippt auf einen Kompromiss, ähnlich wie der Freiburger Ökonom Lars Feld. Mit anderen renommierten Wissenschaftlern empfahl er im Februar dem BVerfG, das Anleiheprogramm durchaus gutzuheißen, aber keinen Freibrief zu erteilen, wie es die Luxemburger Richter getan hatten. Es dürften nicht weiter geld- und wirtschaftspolitische Zuständigkeiten ineinander übergehen, sagen Feld und seine Mitstreiter. Der EZB müsse deutlich gemacht werden, „dass man nicht einfach machen kann, was man will“. Ihr müssten Grenzen gesetzt werden. Feld warnt aber vor einer kompletten Ablehnung des Programms. Dies könne dramatische politische Folgen haben.

So deutet vieles auf einen Kompromiss hin. Die Richter könnten urteilen, dass sich die Bundesbank nur bedingt an einem OMT-Programm beteiligen darf und so das Kaufvolumen begrenzt wird. „Damit“, sagt Schubert, „würde es der EZB schwerer fallen, OE-Staatsanleihekäufe nochmals auszuweiten.“ Genau das hatten der EZB-Rat im März beschlossen. Seit April kaufen die EZB und die nationalen Notenbanken jeden Monat für 80 Milliarden Euro. Davor waren es 60 Milliarden. Ausgestanden ist das Thema EZB für die Richter in Karlsruhe nicht: Mittlerweile gibt es eine weitere Verfassungsbeschwerde auch gegen das QE-Programm.