Das Haus hatte am Vortag schon Risse - trotzdem mussten Hunderte Arbeiterinnen in die Textilfabriken. Dann stürzte das Gebäude über ihnen zusammen. Mehr als 100 Menschen sterben in den Trümmern.

Dhaka - Gegen 9.00 Uhr, als viele Arbeiterinnen am Platz waren und die Geschäfte geöffnet hatten, knallte es plötzlich und das Gebäude stürzte in sich zusammen: 123 Menschen sind in Bangladesch beim Einsturz eines achtstöckigen Gebäudes mit Läden und Textilfabriken in den Tod gerissen worden. Das teilte die Polizei am Mittwochabend, rund zwölf Stunden nach dem Unglück, mit.

 

Mehr als 700 wurden verletzt. Viele von ihnen wurden in umliegende Krankenhäuser gebracht. Laut Ali Ahmed, dem Chef der Abteilung für Feuerwehr und Zivilschutz, könnten zur Hauptgeschäftszeit etwa 1000 Menschen in dem Gebäude gewesen sein. Genaue Zahlen gab es nicht.

Rettungskräfte von Armee und Feuerwehr suchten mit Baggern und Betonschneidern nach Opfern. Anwohner gruben mit bloßen Händen in dem gewaltigen Trümmerberg. Fatale Unfälle wegen Baumängeln sind keine Seltenheit in dem südasiatischen Entwicklungsland.

Die meisten Toten sind Arbeiterinnen

In dem Haus befanden sich im Erdgeschoss und in der ersten Etage zahlreiche Geschäfte und eine Bankfiliale, im zweiten bis sechsten Stock nähten Textilarbeiter, wie Rettungskräfte berichteten.

Die meisten der Toten sind nach offiziellen Angaben Frauen, die in den vier Fabriken arbeiteten. Bilder zeigten, dass das Betongebäude im Gebiet Savar, etwa 20 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Dhaka, im hinteren Teil fast ganz in sich zusammengefallen war.

Für die Suche im Trümmerberg wurde das Militär zu Hilfe gerufen. Auch zahlreiche Freiwillige kamen und versuchten fieberhaft, durch den Schutt zu den Verletzten vorzudringen. Die Zeitung „Daily Star“ berichtete online, aus den Trümmern drängen Rufe nach Wasser. Andere Verschüttete würden zu Allah beten oder religiöse Gesänge anstimmen.

Baumängel führen immer wieder zu Unglücken in Bangladesch

Überlebende berichteten, dass das Haus „Rana Plaza“ bereits am Dienstag Risse zeigte und sie deswegen nicht mehr darin arbeiten wollten. „Aber die Manager der Fabrik zwangen uns“, sagte die 29 Jahre alte Textilarbeiterin Aklima Begum nach dem Unglück. Innenminister Muhiuddin Khan Alamgir sagte Medien, das Gebäude könnte wegen fehlerhafter Bauweise eingestürzt sein.

Donnerstag zum offiziellen Trauertag erklärt

Der Direktor der Polizeieinheit für Industrie, Mustafizur Rahman, beschuldigte die Fabrikbesitzer, sie hätten Warnungen der Polizei nicht beachtet. „Sie haben nicht auf uns gehört.“ Einer der Inhaber, Anisur Rahman, sagte hingegen, der Besitzer des Hauses habe ihnen Grünes Licht gegeben. Er habe behauptet, das Haus sei von einem Techniker überprüft worden.

Die Regierung erklärte diesen Donnerstag zum offiziellen Trauertag. Auf Regierungsgebäuden und vielen Privathäusern würden schwarze Flaggen gehisst, um der Opfer zu gedenken, sagte ein Sprecher in Dhaka.

Baumängel und fehlende Sicherheitsmaßnahmen führen immer wieder zu Unglücken in Bangladesch: Im Jahr 2005 starben 64 Menschen gar nicht weit vom Unfallort, als ihre Textilfabrik in sich zusammenstürzte. Und erst im November waren 112 Arbeiter in einem Fabrikfeuer ums Leben gekommen - auch weil die Notausgänge laut Augenzeugen abgeschlossen gewesen sein sollen.

Kleidung ist Bangladeschs Hauptexportgut, 79 Prozent der Ausfuhren sind Textilien, die vor allem nach Europa und in die USA geliefert werden. In dem nun zerstörten Gebäude soll laut dem Textilproduktions- und Exportverband Bangladeschs auch die Firma Ether-Tex nähen lassen haben, die unter anderem für C&A und Kik produzierte.

C&A und Kik erklärten am Mittwoch jeweils, nicht in der Unglücksfabrik produziert zu haben. Die Geschäftsbeziehung mit Ether-Tex endete für C&A demnach im Oktober 2011. Die Firma Kik teilte mit, dass zu der Firma Ether-Tex keine Geschäftsbeziehung bestehe. „Letztmalig wurde hier im Jahr 2008 produziert.“