Rund 1000 Jugendliche ignorieren ein Verbot der Stadt und folgen einem Internetaufruf zum Feiern im Plattenwald. Es kommt zu kleineren Ausschreitungen.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Backnang - Tobi, 21, und seine Kumpels sind mit dem Auto zum Bahnhof in Backnang (Rems-Murr-Kreis) gekommen. Jetzt sitzen sie auf einer Mauer auf der gegenüberliegenden Straßenseite und warten, was passiert. Sie stammen „aus der Gegend“, haben im Radio von der Party gehört, und natürlich über Facebook, sagt Tobi spielt stolz mit seinem internetfähigen Mobiltelefon herum. Es ist Samstagabend, kurz nach 18 Uhr, das Thermometer zeigt noch immer mehr als 30 Grad. Die etwa 500 Jugendlichen – später sollen es rund 1000 werden – sind gut drauf, einige dank Alkohol, die meisten aber auch ein wenig ratlos. Mehr als 20.000 Gäste hatten sich über die Internetplattform zu einer Party im Backnanger Plattenwald angemeldet. Doch die ist im Vorfeld von der Stadt verboten worden. Das gibt die Polizei via Lautsprecherwagen immer wieder bekannt: „Die Party findet nicht statt, der Plattenwald ist weiträumig abgesperrt, kehren Sie um und verbringen Ihren Abend anderweitig.“

 

Tobi hat nicht vor, in den Plattenwald zu gehen. Er weiß von den drohenden Strafen, welche die Polizei unter anderem auch auf flächendeckend verteilten Handzetteln angekündigt hat. „1000 Euro ist die Sache nicht wert“, sagt er. „Wir schauen, dass wir mit ein paar netten Leuten woanders Party machen.“ Dennoch ist er sauer, dass die Feier einfach untersagt worden ist. „Ein Unding ist das“, sagt er, „die haben in den 70ern mit ihrem Flowerpowerzeugs doch auch nichts anderes gemacht.“

Auch Marco, der mit mehreren Kumpels und zwei Autos aus Nürtingen (Landkreis Esslingen) angereist ist, wirkt trotz guter Laune ein wenig genervt: „Es ist unser Recht, hier zu sein.“ Marco war noch nie auf einer übers Internet verabredeten Massenparty, doch in den Plattenwald will auch er nicht ziehen. „Wir warten auf eine Ansage und suchen dann eine Alternative“, sagt er und grinst.

Der Tross zieht durch die Altstadt

Ein paar Halbstarke mit kurz geschorenen Haaren und blankem Oberkörper plustern sich auf. „Auf die Knie!“, brüllt einer, und die anderen kauern sich auf den Zebrastreifen. Die zahlreichen Polizisten, die das Geschehen beobachten, reagieren gelassen, das Anti-Konflikt-Team setzt sich in Bewegung und hält eine Ansprache.

Plötzlich setzen sich ein paar Teenager in Bewegung und marschieren in Richtung Bürgerhaus. Der Herdentrieb setzt ein: „Keine Ahnung wohin’s geht“, sagt Marco – und läuft hinterher. Der Tross zieht durch die Altstadt, am Stiftshof vorbei. Johlend, mit Auf-die-Knie-Einlagen, aber weitgehend friedlich. Fast jeder zweite hat seine Handy-Kamera gezückt, filmt sich, die anderen und die Presseleute, die mitlaufen. Posts werden ins Internet gestellt.

Wo geht es hin? „Keine Ahnung“, sagt Dennis, ein 16-Jähriger aus Winnenden, „Plattenwald geht ja nicht.“ Ein hagerer Jüngling mischt sich ein: „Wir nehmen gleich die Stadt auseinander, das können Sie ruhig schreiben!“

Eine Gruppe von Nachzüglern, die gut eine Stunde später eintrifft, hat am Bahnhof unterdessen den Anschluss verpasst. „Entschuldigen Sie, wissen Sie, wo es zur Facebook-Party geht?“, fragt einer höflich.

Ein paar Chaoten machen Stress

19.30 Uhr. Im Feuerwehrgerätehaus, das die Ordnungshüter zu einem Lagezentrum umfunktioniert haben, werden die Kontrollstationen rund um den Plattenwald alarmiert. 800 Jugendliche seien auf dem Weg zur verbotenen Party, einige deutlich alkoholisiert. In den Geschäften entlang des Wegs wird von den Jugendlichen Nachschub geordert. Der Lidl-Markt an der Gartenstraße schließt vorübergehend seine Türen. „So langsam wird die Lage etwas angespannt“, sagt ein Polizeisprecher.

Die Taktik ist, den Jugendlichen den Alkohol abzunehmen, den Dialog aufzunehmen, aber nicht mit einem martialischen Aufgebot und allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern, dass die Jugendlichen zu ihrem Ziel gelangen, einem Grillplatz mitten im Wald.

20 Uhr. Bis zur letzten Absperrung werden die Partywilligen durchgelassen. Dann machen sie selbst Halt. Auf dem schmalen Feldweg, der in den Wald hineinführt, haben sich zwei Reiter mit ihren Polizeipferden postiert, flankiert von einem guten Dutzend behelmter Polizisten in Spezialanzügen. Der überwiegende Teil der Gesetzeshüter, auch die Mitglieder der Hundestaffel, hält sich jedoch dezent im Hintergrund. Die Jugendlichen skandieren „Die Mauer muss weg“ oder „Wir wollen Flaschenpfand“ – scheinen fürs erste aber an ihrem Ziel angekommen. Wieder werden zahllose Handys gezückt und die Facebook-Gemeinde live informiert. Auch Falschmeldungen verbreiten sich, von Gummigeschossen der Polizei ist die Rede, und es gibt vereinzelt Kritik an den „Idioten“, die sinnlos Steuergelder verschwenden.

Eine Flasche fliegt – jemand wird verletzt

Von einigen Fernsehkameras beflügelt, beginnen sich ein paar Chaoten zu produzieren. Mitten in der Menge wird ein Bengalofeuer gezündet, ein Jugendlicher macht einen Kopfstand dazu. Binnen weniger Minuten ist das Foto im weltweiten Netz.

Eine Flasche fliegt. Die Polizei verkündet per Lautsprecher, dass eine Person getroffen worden sei, „schwer verletzt, durch einen von euch“. Ein Krankenwagen bahnt sich mit Blaulicht und Sirene den Weg durch die Menge. Ein Jugendlicher ergreift die Initiative und spricht durch den Lautsprecher der Polizei. Er mahnt die verhinderte Festgemeinde, den Krankenwagen durchzulassen, empfiehlt, die Flaschen abzugeben. „Wir kommen mit Alkohol nicht in den Plattenwald rein“, sagt er, „wir sind doch auch ohne Alkohol alle cool.“

Irgendwie scheint es, als ob die meisten zufrieden sind, so weit gekommen zu sein. Außerdem werden in Facebook längst Alternativangebote gemacht: „Bei mir könnt ihr ausnüchtern – aber nur Mädels“, schreibt einer. „Na, regnet’s bei euch schon?“, spöttelt ein anderer.

Die Polizei hat das Wetter auf ihrer Seite

Tatsächlich hat sich der Himmel fast unbemerkt verdunkelt. Kurz nach 21 Uhr zuckt ein greller Blitz über den Himmel, und es tut einen ohrenbetäubenden Schlag. Die Polizeikräfte rücken ein wenig vor, die Jugendlichen schauen sich an. Der Fußmarsch zurück zum Bahnhof ist mindestens 20 Minuten lang. Als dann die ersten Regentropfen losprasseln, ist die Party endgültig beendet.

Einen Tag später berichtet die Polizei lediglich von einzelnen „unschönen Szenen“ wie zertrümmertem Glas und Flaschenwürfen, bei denen zwei Einsatzkräfte und eine Partybesucherin getroffen und verletzt wurden. Alles in allem ist der Einsatzleiter Peter Hönle aber offenkundig hochzufrieden: „Unsere Einsatztaktik, die Party nicht stattfinden zu lassen, ist voll aufgegangen.“ Lediglich die Heimreise hatte unwetterbedingt noch einmal für Anspannung gesorgt: Wegen eines Leitungsschadens war die Bahnstrecke in Richtung Stuttgart gesperrt, so dass die ÖPNV-Partybesucher bis nach Mitternacht gezwungen waren, im Bereich des Backnanger Bahnhofs auszuharren. Der letzte Satz im Polizeibericht drückt Erleichterung aus: „Gegen 0.30 Uhr war der Spuk in Backnang schließlich vorbei.“

Auch die anonymen Veranstalter sind nicht unzufrieden: „Die Party war der Hammer!“, schreiben sie in Facebook, „Die Polizei kann froh sein, dass das Wetter auf ihrer Seite war.“