Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Das hat auch Leonard Reinecke, als Juniorprofessor an der Universität Mainz spezialisiert auf Kommunikation in sozialen Medien, beobachtet. „Damit ich mich im Netz äußere, muss mich ein Thema zumindest ein bisschen bewegen“, analysiert er. Deshalb laufen auf Facebook emotionale Themen so gut, deshalb setzen sich hier die mit der schrillsten Meinung durch und nicht die mit einer ausgewogenen Haltung. Zum Glück gibt es für fast jede Facette zu fast jedem Thema ein digitales Lagerfeuer, um das sich Gleichgesinnte scharen können; ein Meinungsmonopol existiert bei Facebook nicht. Aber auch hier ergibt sich derselbe Effekt. In den Worten von Leonard Reinecke: „Am Ende brät man im eigenen Saft.“

 

Facebook sei, so der Kommunikationswissenschaftler, eigentlich ein völlig unpolitisches Medium. Selbst wer sich dort einer politischen Gruppierung anschließt oder deren Aktivitäten folgt, wirke damit nicht in erster Linie an einer politischen Diskussion mit. „Da geht es eher um Identitätsmanagement“, so Reinecke. Also die Frage: wer bin ich und wer will ich sein?

Digitale Stammeskultur

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler José Marichal hat dafür bereits 2010 den Begriff „neo-tribes“ vorgeschlagen: Menschen schließen sich digitalen Stämmen an, die sich in ihrer Identität ständig selbst bestätigen. Was zum Bild des digitalen Lagerfeuers passt, um das wir moderne Steinzeitmenschen uns versammeln, weil es soziale Wärme spendet.

Über Facebook mögen Revolutionen gestartet werden, weil etwa im Arabischen Frühling Individuen erkennen, dass sie in ihrer Wut auf das Regime nicht allein sind. Hierzulande, wo sachliche Diskussionen uns weiter bringen, ist der Dienst politisch gesehen nutzlos. Weil er gar nicht dafür gemacht ist und weil die überwiegende Mehrzahl der Nutzer nichts daraus macht.

Das wiederum ist ein erleichternder und zugleich trauriger Befund. Diejenigen, die bei Facebook ihre vorgebliche oder wahre Meinung durchdrücken, machen das in erster Linie, um sich besser zu fühlen. Sie tun so, als würden sie diskutieren. Aber eigentlich brabbeln sie nur vor sich hin.

Alles beginnt mit der Filterblase

Alles beginnt mit der Filterblase, in die Facebook seine Nutzer schickt – mit voller Absicht, denn das Netzwerk funktioniert nach genau diesem Prinzip. Vom ersten Klick an baut sich jeder Nutzer seinen ganz individuellen Käfig, in den nur ganz bestimmte Inhalte hineindringen. Es fängt damit an, dass Facebook-Nutzer sich ganz überwiegend mit Leuten und Organisationen vernetzen, die sie schon kennen. In aller Regel sind das Menschen mit ähnlichen Interessen, Einstellungen, Lebensstilen: SPD-Wähler kennen andere SPD-Wähler und klicken bei der SPD-Facebook-Seite auf „Gefällt mir“. Einträge der AfD finden sie ebenso wenig in ihrem Newsfeed wie AfD-Anhänger Inhalte aus dem SPD-Umfeld zu lesen kriegen. Neben Familien- und Urlaubsfotos überwiegen deshalb Inhalte, denen ein Nutzer inhaltlich zustimmt. Facebook sortiert dann noch für jeden jene Beiträge heraus, die nicht so viele seiner Facebook-Freunde gut finden.

In der Summe fördert und fordert diese Vorgehen konformistisches Verhalten: Manche Meinungen und Beiträge sind tabu, andere hocherwünscht. Ein Foto aus meinem Stadtbezirk: gefällt mir. AfD-Beiträge nach dem Motto „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“: kommen super an, zumindest unter den AfD-Freunden, die unter den Lesern des Beitrags überwiegen. Jeder bekommt sein Weltbild jederzeit bestätigt. Das hat Folgen, und zwar zum einen für das Selbstbild der Facebook-Nutzer und zum anderen für die politische Diskussionskultur. Beides hängt zusammen.

Das Selbstbild der Facebook-Nutzer

Punkt eins: das Selbstbild. Wenn man sich bei Facebook äußert, dann bevorzugt so, dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit Applaus bekommt – das ist im Digitalen nicht anders als am Esstisch, in der Kneipe oder in der Kaffeepause. Besonders bequem kann man sich mit Hashtags positionieren, einheitlichen Schlagwörtern. Dank ihrer Hilfe ist es möglich, im Chor mit anderen gegen Homophobie anzuschreiben oder, unter dem Stichwort #aufschrei, gegen Frauendiskriminierung: digitale Statements, denen niemand widersprechen kann. Nach demselben Prinzip organisieren sich Shitstorms; wenn sich hundert Leute vor mir schon aufgeregt haben, ist es nicht schwer, Nummer hunderteins zu sein. Man darf annehmen, dass die Nutzer dabei nicht immer ganz ehrlich sind, sondern eher eine politisch korrekte Haltung äußern – alles andere als Mitleid mit toten Haustieren oder dem verletzten Neymar Jr.: Pfui, Teufel!

Der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic hat in der „Süddeutschen Zeitung“ eine schöne Erklärung für dieses Phänomen der Meinungsangleichung geliefert: Facebookmitglieder schlössen sich einer (vermuteten) Mehrheitsmeinung an, um sich dadurch selbst als „gute Menschen“ zu bestätigen. „Wenn wir ohne große Anstrengung und ohne jedes Risiko eine mehr oder weniger allgemein anerkannte Einstellung in unseren Facebookstatus schreiben können, um dafür Hunderte Likes zu bekommen, werden wir diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen“, schreibt Glavinic.

Anlass dieser Einlassungen war der Erfolg der Transgender-Kunstfigur Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest. Unter Glavinics Facebookfreunden fanden sich offenbar etliche, die „Solidaritäts- und Toleranzbekundungen“ für Conchita Wurst und, allgemeiner, für Menschen jeglicher sexueller Orientierung posteten. Das, merkte Glavinic an, sei „ungefähr so heldenhaft wie auf der Burschenschaftlerbude oder einem FPÖ-Parteitag gegen nigerianische Drogendealer zu wettern“. Sich dort für eine Sache einzusetzen, wo es wehtut – Glavinic nennt eine kroatische Gaypride-Parade als Beispiel –, sei eine sehr selten gewählte Option.

Diskussionen auf Facebook sind selten

Der zweite Effekt der digitalen Lagerfeuer: echte Diskussionen sind selten; der Mehrheitsmeinung in den Kommentaren wird nicht oder nur ungern widersprochen. Die Kommentarleisten unter Beiträgen, die große Nachrichtenanbieter regelmäßig in dem Netzwerk posten, dokumentieren das anschaulich. Facebook zeigt dort wie überall sonst jene Kommentare prominent an, die besonders viele Klicks auf „Gefällt mir“ bekommen haben. Eine Gruppe von vielleicht vierzig Personen mit Hang zu starken Statements und Klicks auf „Gefällt mir“ kann so mehrere Zehntausend Nutzer beeinflussen, die etwa die Facebookeinträge der StZ regelmäßig zu sehen bekommen.

Solche Online-Diskussionen haben eine andere Öffentlichkeit als die in halb privaten Netzforen mit häufig spezialistischen Themen geführten Debatten: Im sozialen Netzwerk lesen einfach viel mehr Menschen mit, und es geht oft um Themen, die viele bewegen und bewegen sollten. Wenn da dann die Leute mit der größten Klappe andere verstummen lassen, vielleicht auch in der Offline-Welt, ist das ein Problem für unsere Demokratie.

Alte Idee, aktuell: die Schweigespirale

Dieses Phänomen hat zumindest in seiner Online-Ausprägung noch keinen eigenen Namen, kommt aber dem Begriff der Schweigespirale ziemlich nahe. Dieses von der Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann entwickelte Konzept sollte ursprünglich erklären, warum die Nationalsozialisten von einem bestimmten Zeitpunkt an unwidersprochen ihre Ideologie verbreiten konnten.

Übertragen auf aktuelle Verhältnisse meint Schweigespirale, dass die (gefühlte) Mehrheit der aktiven Kommentatoren der (tatsächlichen) Mehrheit der Nutzer ihre Meinungen aufdrückt. Diese laute Minderheit wacht darüber, dass niemand öffentlich von der so konstruierten Mehrheitsmeinung abweicht. Auch hier vergewissert, wer in den Chor mit einstimmt, sich seiner selbst: ja, ich stehe auf der richtigen Seite. Wer glaubt, mit seiner Ansicht zu einer Minderheit zu gehören, schweigt hingegen. Auch in der digitalen Welt hat niemand Lust, von anderen für seine Meinung blöd angemacht zu werden. Und so verändert die digitale „Schweigespirale“ die Art und Weise, wie jenseits der etablierten Medien öffentlich über Themen diskutiert wird.

Eine erste Studie

Dieses Phänomen ist inzwischen von einer ersten Studie wissenschaftlich untersucht worden. Am Washingtoner Pew Center haben Forscher Facebooknutzer gefragt, ob und wie sie sich in dem Onlinenetzwerk zu der von Edward Snowden aufgedeckten NSA-Affäre äußern. Das Ergebnis: Nutzer sind doppelt so oft bereit, über die NSA mitzudiskutieren, wenn sie glauben, dass die anderen Facebooknutzer derselben Meinung sind.

Bei Meinungsbeiträgen zu brasilianischen Fußballstars oder bemitleidenswerten Haustieren ist das vielleicht zu vernachlässigen. Bei Debatten zu gesellschaftlich relevanten Themen im aktuell wichtigsten sozialen Medium steht es im Ringen zwischen gefühlter und tatsächlicher Mehrheitsmeinung 1:0 für diejenigen, die schon vorher wissen, was richtig ist, und in sozialen Medien einfach lauter sind.

Identität und digitale Stammeskultur

Das hat auch Leonard Reinecke, als Juniorprofessor an der Universität Mainz spezialisiert auf Kommunikation in sozialen Medien, beobachtet. „Damit ich mich im Netz äußere, muss mich ein Thema zumindest ein bisschen bewegen“, analysiert er. Deshalb laufen auf Facebook emotionale Themen so gut, deshalb setzen sich hier die mit der schrillsten Meinung durch und nicht die mit einer ausgewogenen Haltung. Zum Glück gibt es für fast jede Facette zu fast jedem Thema ein digitales Lagerfeuer, um das sich Gleichgesinnte scharen können; ein Meinungsmonopol existiert bei Facebook nicht. Aber auch hier ergibt sich derselbe Effekt. In den Worten von Leonard Reinecke: „Am Ende brät man im eigenen Saft.“

Facebook sei, so der Kommunikationswissenschaftler, eigentlich ein völlig unpolitisches Medium. Selbst wer sich dort einer politischen Gruppierung anschließt oder deren Aktivitäten folgt, wirke damit nicht in erster Linie an einer politischen Diskussion mit. „Da geht es eher um Identitätsmanagement“, so Reinecke. Also die Frage: wer bin ich und wer will ich sein?

Digitale Stammeskultur

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler José Marichal hat dafür bereits 2010 den Begriff „neo-tribes“ vorgeschlagen: Menschen schließen sich digitalen Stämmen an, die sich in ihrer Identität ständig selbst bestätigen. Was zum Bild des digitalen Lagerfeuers passt, um das wir moderne Steinzeitmenschen uns versammeln, weil es soziale Wärme spendet.

Über Facebook mögen Revolutionen gestartet werden, weil etwa im Arabischen Frühling Individuen erkennen, dass sie in ihrer Wut auf das Regime nicht allein sind. Hierzulande, wo sachliche Diskussionen uns weiter bringen, ist der Dienst politisch gesehen nutzlos. Weil er gar nicht dafür gemacht ist und weil die überwiegende Mehrzahl der Nutzer nichts daraus macht.

Das wiederum ist ein erleichternder und zugleich trauriger Befund. Diejenigen, die bei Facebook ihre vorgebliche oder wahre Meinung durchdrücken, machen das in erster Linie, um sich besser zu fühlen. Sie tun so, als würden sie diskutieren. Aber eigentlich brabbeln sie nur vor sich hin.