Insgesamt 32 Männer und Frauen aus Vietnam haben in Stuttgart ihre Umschulung zur Altenpflegefachkraft begonnen. Das ist nicht einfach – die sprachlichen Defizite sind groß und machen die Integration nicht einfach.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Es ist still im Klassenzimmer, als Martin Kast die Aufgabe stellt, von der Zahl hundert sieben abzuziehen. 32 Augenpaare schauen den Psychologen ratlos an. Kast schreibt „100-7“ an die Tafel. Seine vietnamesischen Pflegeschüler lachen. Kopfrechnen können sie natürlich. Sie hatten ihn nur nicht verstanden.

 

Am 22. September sind die 32 Vietnamesen im Land angekommen. Ermöglicht hat dies ein Modellprojekt des Bundeswirtschaftsministeriums und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die Vietnamesen haben alle einen Bachelor als Krankenpfleger vorzuweisen, eingesetzt werden sollen sie aber in der Altenpflege. Die Stuttgarter Altenpflegeschule des Eigenbetriebs „Leben und Wohnen“ schult die Pflegekräfte dafür um. Wegen ihrer medizinischen Vorkenntnisse absolvieren die Männer und Frauen die Ausbildung zur Altenpflegefachkraft in zwei statt in regulär drei Jahren.

Sprachliche Defizite erschweren das Unterrichten

Seit Anfang Oktober läuft der Unterricht in Stuttgart. Dabei zeigt sich: noch sind die sprachlichen Defizite gravierend. Die Vietnamesen seien sehr motiviert und aufmerksam, sprachlich müsse man sich dafür aber mehr anstrengen, schildert der Schulleiter, Wolfgang Haug, seine Eindrücke. Entsprechend anspruchsvoll ist die Aufgabe für die Lehrer – wie Martin Kast, der Gerontologie (Alterswissenschaft) unterrichtet. Denn wie vermittelt man etwas fachlich, wenn selbst einfachste Begriffe nicht verstanden werden? „Ich muss Sachen machen, für die ich möglichst wenig Sprache brauche“, erläutert Kast.

An diesem Vormittag zum Beispiel geht es um das Thema Demenz. Der Psychologe hat Unterrichtsmaterialien in einfacher Sprache ausgeteilt. Statt theoretische Vorträge zu halten, macht er mit den Schülern praktische psychologische Tests, in denen sie rechnen, zeichnen und sich erinnern müssen. Das gelingt ihnen alles problemlos. An Intelligenz mangelt es nicht. Doch sobald die Sprache in den Vordergrund rückt, sieht es anders aus. „Sagen Sie mal den ganzen Satz: Es ist ein schöner, sonniger Tag, aber es ist zu warm“, fordert Kast in einem Test einen Schüler auf – das überfordert diesen. Als es später im Theorieteil schlagwortartig darum geht, was Demenz ist, muss der Psychologe eine Vokabel nach der anderen erklären: Worte wie „Verwirrtheit“, „Beeinträchtigungen“ oder „auf Basis von“ haben die Vietnamesen in ihren zwei Sprachkursen in der Heimat nicht gelernt. Aber mit der Zeit, meint Kast, werde sich dieses Problem natürlich geben.


Die Altenpflegeschule hat für die Vietnamesen einen eigenen Lehrplan geschaffen – dazu gehören auch Intensivsprachkurse. „Wir erteilen allein 500 bis 600 Stunden Deutsch in den zwei Jahren“, sagt der Schulleiter Haug. Aktuell seien es 14 Stunden pro Woche. Die Fachlehrer stünden zudem im Austausch mit den Sprachlehrern, damit das Fachvokabular entsprechend berücksichtigt wird. Patenschaften mit anderen Klassen soll es noch geben, kündigt Haug an, um die Integration der Vietnamesen weiter zu unterstützen.

Die eigene Klasse ist nicht selbstverständlich. Niedersachsen zum Beispiel nimmt auch an dem Modellprojekt teil – hier haben die Vietnamesen im zweiten Lehrjahr begonnen. Mit dem besonderen Curriculum wollen die Stuttgarter erreichen, dass die Integration möglichst gut gelingt. Fachlich sei der Unterricht deshalb auf den Wissensstand der Krankenpfleger abgestimmt, erläutert Haug. Gerontologie, der Pflegeregelkreis und deutsche Hygienevorstellungen sind ebenso wie die deutsche Rechtskunde Unterrichtsschwerpunkte.

Die Träger stellen die Unterkunft

„Nach der Einführungsveranstaltung war ich zuerst skeptisch“, räumt Haug ein. Die Schüler seien sehr schüchtern gewesen. Er habe daraufhin selbst zwei Stunden das abstrakte Thema Sozialversicherungen unterrichtet: „Danach war ich beruhigt“, sagt der Schulleiter. Er habe vieles über Grafiken erklärt. „Sie haben es verstanden“, sagt er. Inzwischen sei er optimistischer, die Aufgabe zu bewältigen. Das Ziel ist, dass alle 32 Schüler ihr Examen machen.

Bis Mitte November läuft der erste Block Theorieunterricht, dann wechseln die Vietnamesen das erste Mal in die Praxis. Fünf Träger sind an dem Projekt beteiligt: die Samariterstiftung, die Caritas, das Deutsche Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt (Awo) und Benevit. Die Träger investieren auch. Sie stellen die Unterkünfte für die angehenden Fachkräfte aus Asien. Das war Bedingung, um den Zuschlag von der GIZ zu bekommen. „Wir wollten bei dem Projekt unbedingt dabei sein“, sagt beispielsweise Jochen Moser, der Einrichtungsleiter des Seniorenzentrums Pfostenwäldle der Awo Stuttgart, bei dem vier Vietnamesen ihre Ausbildung machen. Das Projekt sei seriös und durchdacht, meint Moser – die Vietnamesen seien hochmotiviert. Sprachkompetenz sei natürlich wichtig, da müsse man Geduld haben.

„Mir geht es gut, Zimmer ist gut“, sagt Tra Tran. Die Vietnamesin macht ihre Ausbildung in einem Pflegeheim von Benevit in Remseck. Die 23-Jährige ist froh, in dem Projekt dabei zu sein. „Ich hatte Arbeit. Ich wollte nach Deutschland, es ist ein schönes Land, die Medizin ist modern“, sagt sie.