Exklusiv: Das Jugendamt und der Internationale Bund akquirieren Pädagogen im Ausland und setzen sie in schwäbischen Kitas ein. Die Zahl der Antragsteller hat sich verdoppelt.

Stuttgart - Das Jugendamt und der Internationale Bund (IB) gehen bei der Anwerbung von Fachkräften für die Kindertagesstätten neue Wege: Sie suchen direkt im Ausland. Zugleich registriert das Regierungspräsidium (RP) eine immense Zunahme an Ausländern, die eine Anerkennung ihrer pädagogischen Bildungsleistungen beantragt haben.

 

„Am Mittwoch haben wir die ersten acht Erzieherinnen aus Rumänien in unseren Kitas begrüßt“, sagt Jugendamtschef Bruno Pfeifle und ist froh über die Neuzugänge. Denn in Stuttgart werden Fachkräfte dringend benötigt. „Wir waren selber in Rumänien, in Hermannstadt (Sibiu), und haben die Personalauswahl gemacht.“ Der große Vorteil: „Alle diese Fachkräfte sprechen Deutsch, haben ein deutsches Abitur und einen Abschluss als Erzieherin gemacht“, sagt Pfeifle. Sie können also sofort in den Kitas eingesetzt werden.

Die Neulinge wohnen in Personalzimmern und im Jugendheim

Die Anerkennung als Fachkraft erhielten sie vom RP nach 25 Schulungstagen im Jugendamt, so Pfeifle. So soll die Gleichwertigkeit zur deutschen Erzieherausbildung auch in der Praxis erreicht werden. Untergebracht werden die Neulinge in Personalzimmern des Jugendamts und im Jugendwohnheim des Vereins für internationale Jugendarbeit, mit dem die Stadt kooperiert. Die Kosten dafür bekommen sie von ihrem Lohn abgezogen. Sieben Personen und eine Familie unterstützen die Zugereisten dabei, sich in Stuttgart einzuleben. Die acht Neuen machen aber nur den Anfang. „Ich rechne damit, dass schon sehr bald weitere Fachkräfte aus Rumänien gewonnen werden können“, sagt Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP).

Der IB macht es ähnlich: Der Bildungsdienstleister holt Pädagogen aus Süditalien und bereitet sie auf die praktische Arbeit in hiesigen Kitas und auf das Leben im Land der Kehrwoche vor. „Wir bieten ein Komplettangebot“, sagt Gerardo Cardiello. Er ist Programmgeschäftsführer beim IB und hat das Konzept entwickelt – zunächst, um für die eigenen Kitas Fachkräfte zu gewinnen. Am 23. und 24. September sind die Auswahlgespräche in Neapel. Am 21. Oktober sollen die ersten 20 Fachkräfte in Vaihingen ihren Deutschkurs beginnen.

Die Pädagogen aus Neapel büffeln erstmal Deutsch

Dass es so viele sein werden, kann Cardiello schon deshalb sagen, weil sich auf die erste Ausschreibung 180 Bewerber gemeldet hätten, von denen man 50 vorausgewählt habe. In Süditalien sei die Jugendarbeitslosigkeit extrem hoch. Da lockt eine berufliche Perspektive in Deutschland. Bei der Akquise arbeitet der IB mit Partnern vor Ort zusammen. Zu dem Gesamtpaket gehört auch, dass die neu gewonnenen Fachkräfte in Stuttgart in Doppelzimmern des IB mit Halbpension untergebracht sind. „Das bezahlt in der Regel der Arbeitgeber“, sagt Cardiello – in diesem Fall also der IB. Als Erstes wird dann vier Monate lang Deutsch gebüffelt, auch pädagogische Fachbegriffe würden vermittelt.

Beim RP beantragen die Kita-Aspiranten eine Anerkennung des ausländischen Berufsabschlusses in Deutschland. Die Behörde prüfe die Erzieher, da deren Ausbildung nicht mit der in Deutschland vergleichbar sei. „Das sind alles Akademiker“, sagt Cardiello – mit einem achtsemestrigen Studium. „Die praktischen Inhalte der Ausbildung können sie im Anerkennungszeitraum nachholen.“ Dieser umfasse sechs bis acht Monate. Bereits vom fünften Monat an sollen die angehenden Kitafachkräfte ein reduziertes Gehalt bekommen – rund 1200 Euro brutto. Schließlich arbeiteten sie dann ja auch in den Kitas. Sobald das RP die Ausbildung anerkannt habe, würden die Mitarbeiter ihren deutschen Kitakollegen bei der Bezahlung gleichgestellt.

Als Sohn italienischer Gastarbeiter in Holzgerlingen aufgewachsen weiß Cardiello um die Knackpunkte der Migration. Deshalb biete der IB auch Unterstützung bei der Integration und stelle den Neulingen einen Tutor zur Seite, der auch abends und an den Wochenenden erreichbar sei. Cardiello betont: „Wir sind keine Personalvermittler, sondern wir wollen Menschen holen und sie hier für unseren Arbeitsmarkt akquirieren.“ Es sei eine „Win-win-Situation für alle“, sagt Cardiello, „der Bedarf ist ja da“. Hierzulande würden händeringend Fachkräfte gesucht, in Südeuropa fänden Akademiker kaum einen Arbeitsplatz.

„Auf Wunsch könnten wir auch in Spanien akquirieren“

In einem zweiten Schritt sei geplant, weitere Kitaträger als Kunden zu gewinnen. „Auf Wunsch könnten wir auch in Spanien akquirieren, in Andalusien.“ Und weshalb sollte, was im Pflegebereich bereits mit großem Erfolg läuft, nicht auch bei den Erziehern funktionieren? Für die Pflege habe man bereits 300 Fachkräfte hergeholt, darunter seien nur 13 Abbrecher – „in der Datenbank haben wir 1800 Bewerber“.

Doch viele Ausländer, die hierzulande als Erzieher arbeiten wollen, kommen auf eigene Faust her und beantragen beim RP die Anerkennung ihrer ausländischen Ausbildung in Baden-Württemberg. „Die Zahl der Bewerber ist immens gestiegen“, sagt ein Referent der Zeugnisanerkennungsstelle. Im Jahr 2012 habe man 700 Antragsteller und Anfragen im Bereich Kita registriert, im ersten Halbjahr 2013 seien es bereits 800 gewesen.

Die Bewerber für einen Kita-Job kommen aus der ganzen Welt

Die Bewerber kommen aus der ganzen Welt. Ihre Qualifikation sei höchst unterschiedlich und reiche vom Hilfsarbeiter bis zum Professor. Auch Vorschulerzieherinnen aus Russland, Kinderassistentinnen aus Italien oder Grundschullehrer aus Griechenland stellten Anträge. Das RP entscheide jeweils, ob die Voraussetzungen ausreichen und wie lange ein Anpassungslehrgang, also eine Nachqualifizierung, nötig sei – wahlweise auch eine Eingangsprüfung. Wegen des großen Andrangs dauere die Bearbeitungszeit im RP derzeit rund zehn bis zwölf Wochen.