Der Fachkräftemangel hat Folgen. Bewerber trauen sich, in Stellengesprächen nach Kitaplätzen zu fragen – und Unternehmen investieren in das Thema.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Der Inhaber des Stuttgarter Flussreiseanbieters Nicko-Tours muss sich nur in seinem Unternehmen umsehen, um zu wissen, dass das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ für ihn aktuell ist. 31,7 Jahre sind die 60 Mitarbeiter von Ekkehard Beller im Schnitt alt, 90 Prozent sind Frauen. Der Stuttgarter hat seinen Schluss aus diesen Zahlen gezogen – er will eine Betriebskita eröffnen. „Wir möchten das Wissen nicht aus der Firma ziehen lassen“, erklärt der Büroleiter Andreas Grasberger, der seit Dezember für das Projekt bei Nicko-Tours verantwortlich ist.

 

Der Zeitplan ist ehrgeizig. Noch in diesem Jahr soll es losgehen. Der Vorteil des Weilimdorfer Unternehmens: es hat die entsprechenden Räumlichkeiten, die für eine Kitagründung notwendig sind. Je nachdem, ob weitere Betriebe mitmachen, könnten sie zwischen 100 und 900 Quadratmeter in dem Bürohaus mieten.

Interesse an Betriebskitas „gewaltig gestiegen“

An der Raumfrage scheitern immer wieder Firmen, die sich für eine Kita interessieren. „In Stuttgart eine geeignete Immobilie zu finden, ist das größte Problem“, sagt die zuständige Abteilungsreferentin bei der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart, Stefanie Thimm. Eigentlich, betont Thimm, sei die Frage der Kinderbetreuung „keine Aufgabe der Unternehmen, sondern des Staates“. Dennoch gebe es immer mehr Anfragen zum Thema Betriebskita. Beim Stuttgarter Jugendamt wird dieser Trend bestätigt. Das Interesse daran, eine eigene Betriebskita zu gründen, sei „gewaltig gestiegen“, sagt die Jugendamtssprecherin Daniela Hörner.

Aktuell gibt es 1177 Betriebskitaplätze in Stuttgart. In den nächsten Monaten sollen 50 weitere Plätze hinzukommen. Nicht immer stehen eigene, reine Betriebskitas hinter den Plätzen, wie bei Bosch und Daimler. Träger, wie PME Familienservice oder Konzept-e für Bildung und Soziales , haben auch kleinere und mittlere Unternehmen als Zielgruppe – sie können Belegplätze in ihren Einrichtungen buchen. Mindestplatzabnahmen gibt es nicht. „Wir haben zum Beispiel eine Anwaltskanzlei, die nur für eine Mitarbeiterin einen Platz gebucht hat“, berichtet Marita Rösler, die als Standortleiterin für die vier Stuttgarter Kitas von PME Familienservice zuständig ist. Konzept-e betreibt sogar 15 Kitas in der Stadt.

Fachkräftemangel macht Engagement interessant

Während laut Marita Rösler der Boom, was die Nachfrage von Unternehmen angeht, vor eineinhalb Jahren noch größer war als heute, spricht man bei Konzept-e weiterhin von einem „zunehmenden Interesse“ seitens der Betriebe. „Das ist eine Imagefrage, man will sich als familienfreundliches Unternehmen präsentieren“, sagt die Sprecherin Tatjana Hagener.

Angesichts des Fachkräftemangels scheint das eigene Engagement bei der Kinderbetreuung zum Wettbewerbsfaktor zu werden: Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums spielt für 92 Prozent der Arbeitnehmer, die Kinder unter 18 Jahre haben, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie das Gehalt. Bei Beschäftigten ohne Kinder sind es immerhin 64 Prozent. 78 Prozent wären der Studie aus dem Jahr 2007 zufolge bereit, für bessere Bedingungen den Arbeitgeber zu wechseln.

Bewerber fragen im Stellengespräch nach Kitaangebot

Im Zuge des zunehmenden Fachkräftemangels habe sich der Bewerbermarkt geändert, bestätigt Ulrike Barthelmeh aus dem Global-Diversity-Office der Daimler AG, die für die Sternchen-Kinderkrippen des Unternehmens zuständig ist. Tatsächlich ist es kaum vorstellbar, dass sich vor zehn Jahren Bewerber nach Kitaplätzen erkundigt hätten. Inzwischen, berichtet Barthelmeh, werde in Bewerbungsgesprächen und auf Recruitingtreffen danach gefragt. „Für große Unternehmen ist das Thema wichtig, nicht zuletzt um attraktiv für junge Hochschulabsolventen und Fachkräfte zu sein“, sagt Barthelmeh.

Die Daimler AG bietet bundesweit 470 Kitaplätze an, davon 88 in Untertürkheim und 140 in Möhringen. Dabei setzt das Unternehmen auf Qualität: Auf maximal zehn Kinder kommen drei Erzieher, es wird frisch gekocht – elf Schließtage im Jahr und Öffnungszeiten von zehneinhalb Stunden pro Tag erleichtern es den Mitarbeitern, den Berufsalltag zu bewältigen. Für Daimler lohnt sich das Engagement: „Die Frauen kehren deutlich schneller wieder in den Beruf zurück, seitdem wir die Krippen haben.“ Die Krippen haben noch einen Effekt: Bei den Daimler-Familien gehe der Trend inzwischen zum zweiten Kind, so Barthelmeh.