Weil er später Studien gefälscht hat, verliert der Physiker Jan Hendrik Schön nun seinen Doktortitel – und das, obwohl seine Dissertation gar nicht in der Kritik stand. Das Bundesverwaltungsgericht beendet nach fast zehn Jahren Schöns Kampf gegen die Uni.

Leipzig - Auch wer nicht bei seiner Dissertation abschreibt oder mogelt, kann den damit redlich erworbenen Doktortitel wieder verlieren – wenn er später Forschungsergebnisse fälscht. Das Bundesverwaltungsgericht (BVG) in Leipzig sieht darin einen Fall von „Unwürdigkeit“ gegeben, der es verhindern kann, weiter den Doktorgrad tragen zu dürfen.

 

Die fünf Berufsrichter des 6. Senates unter Vorsitz von Werner Neumann stützen ihr Urteil auf einen Passus im Hochschulgesetz Baden-Württembergs. Demnach erweist sich ein Titelinhaber als „unwürdig zur Führung des verliehenen Doktorgrades“, wenn er den mit der Verleihung begründeten „Vertrauensvorschuss im Hinblick auf ein wissenschaftskonformes Arbeiten“ durch gravierende Verstöße gegen die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis enttäuscht hat. Der Entzug des Titels diene damit dem „Schutz des wissenschaftlichen Prozesses vor Irreführung“, schloss sich das Gericht damit im Wesentlichen einen Urteilsspruch des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom Herbst 2011 an.

Geklagt hatte der Physiker Jan Hendrik Schön, dem die Universität Konstanz 2004 den ihm verliehenen Titel Doktor der Naturwissenschaften wieder entzogen hatte. Der Grund dafür lag in einer Reihe von offenkundigen Fälschungen bei Schöns anschließender Tätigkeit in den Bell-Laboratorien in den USA, wo er sich 1998 bis 2002 mit Experimenten zur Supraleitung und zur Herstellung von Nanobauelementen befasst hatte. Hierbei hatte er sich schnell zum Shootingstar entwickelt. Er war an mehr als 70 teils bahnbrechenden Publikationen beteiligt und wurde schon für den Nobelpreis gehandelt.

Der Anwalt fordert eine Chance auf Rehabilitation

Doch möglicherweise verleitete der Druck, der auf dem kaum 30-Jährigen lastete, ihn zur Unehrlichkeit. Als der Leitung der Bell-Laboratorien ein anonymer Hinweis zuging, dass Schön in unterschiedlichen Aufsätzen dieselbe Grafik benutzte, schaute man genauer hin und kam dabei weiterem wissenschaftlichem Betrug auf die Spur. Die Bell-Laboratorien setzten eine Untersuchungskommission ein, die schließlich unter 24 begutachteten Arbeiten 17 Fälle von Datenmanipulation entdeckte. Schön wurde daraufhin entlassen und kehrte nach Deutschland zurück.

Heute ist der 42-Jährige, der mittlerweile als Prozessingenieur für ein chemisches Unternehmen arbeitet, praktisch untergetaucht. Auch zum Prozess in Leipzig erschien er nicht, sondern ließ sich durch seinen Anwalt Holger Zuck aus Stuttgart vertreten. Dennoch beweist Schön seit nunmehr fast zehn Jahren einen langen Atem im Kampf gegen seine frühere Universität, um neben seinem Ruf nicht auch noch den Doktorgrad zu verlieren.

In erster Klageinstanz setzte er sich damit 2010 auch vor dem Verwaltungsgericht Freiburg durch. Hier werteten die Richter jene Aberkennung des sauber erworbenen akademischen Grades vor allem als eine Bestrafung Schöns. Man sah in seinen Fälschungen keine derart ehrenrührige Straftat, die dies rechtfertigen würde. Zudem verschlechtere dies Schöns Chancen auf eine neue Stelle, was damit sein Grundrecht der freien Berufswahl beschränke.

Ähnlich argumentierte nun in Leipzig Anwalt Zuck. Er vermisst auch verbindliche Maßstäbe, was bei wissenschaftlicher Unredlichkeit als „unwürdig“ einzustufen sie. „Es fehlt ein Wertebezug“, monierte er, so werde die Auslegung „beliebig“. Überdies müsse dem Physiker auch bei Verfehlungen gewissermaßen eine Perspektive aufgezeigt werden, statt ihn de facto lebenslang der Unwürdigkeit zu zeihen.

Die Richter halten das Landesgesetz für eindeutig

Hier ging der Leipziger Senat auch weitgehend mit. Die Richter gaben zu bedenken, dass Unwürdigkeit ein „unbestimmter Rechtsbegriff“ sei. Zudem hinterfragten sie die Verhältnismäßigkeit, einem Akademiker praktisch auf Lebenszeit den Titel zu entziehen. Hätte man die Entscheidung nicht „milder“ treffen können, fragte etwa Richter Jan Hecker: „Man lässt Schön den Titel, untersagt ihm aber, unter diesem wissenschaftlich zu publizieren.“

Auch die Auswirkungen auf die freie Berufswahl wogen die Richter ab. Und eine Zeit lang schien es auch so während der mehrstündigen Verhandlung, dass Schön Doktor bleiben dürfe. Schließlich hatten er und sein Anwalt es sogar als ersten Vorerfolg verbuchen können, dass das Verfahren überhaupt in die dritte Instanz ging. Denn das Mannheimer Gericht hatte eigentlich eine Revision ausgeschlossen. Zuck hatte dagegen jedoch beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde eingelegt.

Nun schloss sich das BVG aber doch der Auffassung der Konstanzer Universität an, die wieder durch den emeritierten Juraprofessor Dieter Lorenz vertreten wurde. Wie auch die Mannheimer Richter sah das oberste deutsche Verwaltungsgericht wegen jener Fälschung und Datenmanipulation „die Unwürdigkeitsvoraussetzungen als erfüllt“ an. Die Bundesrichter bezogen sich trotz persönlicher Bedenken letztlich auf die „bindende Auslegung der landesrechtlichen Entziehungsvorschrift“. Der Rechtsbegriff des unwürdigen Verhaltens habe erkennbar einen Wissenschaftsbezug. Das Landesrecht sei somit auch mit den Grundrechten auf Wissenschaftsfreiheit und Berufsfreiheit vereinbar.

Für Dieter Lorenz hat Schön damit auf alle Zeit diesen Titel verloren. Anliegen seiner Universität sei es gewesen, mit diesem Entzug gewissermaßen ein Zeichen in Richtung „Selbstreinigung des Wissenschaftsbetriebes“ zu setzen, das Bewusstsein für Verbindlichkeiten wissenschaftlicher Standards zu stärken sowie den Doktortitel als solchen praktisch „unbefleckt“ zu halten. Dass es sich letztlich um eine persönliche Abstrafung des Physikers handelte, der seinerseits durch seine Fälschungen seiner einstigen Hochschule schwer geschadet hatte, verhehlte Lorenz nicht. Denn ausdrücklich betonte er, dass Schön damit zwar seinen Doktortitel verloren habe, nicht aber seine Promotion als Physiker. „Doktor ist kein Beruf“, betonte er. Seine Arbeit bleibe gültig und damit Teil des wissenschaftlichen Diskurses.

Chronik eines Fälschungsskandals

Promotion
Der Physiker Jan Hendrik Schön, Jahrgang 1970, wurde 1998 von der Universität Konstanz promoviert. In seiner Dissertation befasste er sich mit der „Nutzbarmachung von Kupfergalliumdiselenid zur Herstellung von Solarzellen“. Nach der Promotion ging er in die USA und forschte an den angesehenen Bell-Laboratorien im US-Bundesstaat New Jersey.

Karriere
In den Jahren um die Jahrtausendwende machte Schön mit zahlreichen Fachartikeln auf sich aufmerksam. Er arbeitete auf dem Gebiet der Nanotechnologie und behauptete unter anderem, einen molekularen Transistor hergestellt zu haben. Es gelang ihm in kurzer Zeit, zahlreiche Arbeiten in renommierten Journalen zu publizieren. Solche Veröffentlichungen gelten als wichtige Pluspunkte bei der Stellensuche. Schön galt als Anwärter für hochrangige Posten in Deutschland.

Skandal
Nach mehreren Hinweisen von Fachkollegen stellte eine Untersuchungskommission der Bell-Laboratorien im September 2002 fest, dass Schön in einer Reihe von Publikationen Messergebnisse gefälscht hat. Zeitschriften zogen daraufhin einige Veröffentlichungen zurück. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft verhängte wissenschaftliche Sanktionen.

Reaktion
Im Juni 2004 entzog die Universität Konstanz Schön seinen Doktorgrad. In seiner Dissertation hatte sie zwar keine Manipulationen entdeckt, doch er habe sich durch sein späteres Verhalten in der Wissenschaft als unwürdig erwiesen.

Gerichtsverfahren
Schön legte erst Widerspruch an der Hochschule ein und klagte dann gegen die Entscheidung der Universität Konstanz. Vom Verwaltungsgericht Freiburg bekam er in erster Instanz Recht. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württembergs entschied im Berufungsverfahren jedoch anders. Gestern hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in letzter Instanz zu klären, ob Schön seinen Titel behalten darf.