Fahrverbote für Diesel? Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Kretschmann schlingert bei dem heiklen Thema mächtig. Umweltverbände und Autoindustrie setzen ihn gleichermaßen unter Druck.

Stuttgart - Die Sätze sind vor langer Zeit gefallen, aber sie hängen ihm nach: Als Winfried Kretschmann vor sechs Jahren Regierungschef in Baden-Württemberg wurde, drohte der Grüne der Automobilbranche mit schärferen Klimaschutzbestimmungen, weil „ambitionierte Auflagen wie eine Innovationspeitsche wirken“. Das kam schlecht an im Autoland Baden-Württemberg. Inzwischen hat Kretschmann alles dafür getan, sein Verhältnis zu Daimler, Porsche und Co zu verbessern - ungeniert lässt er sich bei Terminen mit Automanagern ablichten. Und längst stimmt er versöhnlichere Töne an. Zuletzt sagte er in einem Interview „Ich bin ein Freund des Diesels.“ Damit bezog der Regierungschef klar Position in der aktuellen Debatte um mögliche Fahrverbote in Stuttgart.

 

Im Februar hatte das grün-schwarze Kabinett die Möglichkeit von Fahrverboten in Stuttgart beschlossen. Die Verbote sind keine Laune der Grünen: Die Europäische Union hat strenge Grenzwerte formuliert. Werden diese gerissen, drohen Strafzahlungen. Hinzu kommen eindeutige Befunde, dass die schlechte Luft in der Stadt den Menschen schadet: Nach Angaben des Umweltbundesamtes gingen von 2007 bis 2013 allein in Deutschland im Durchschnitt jährlich rund 46 000 Todesfälle auf die Belastung mit Feinstaub zurück. Stickstoffdioxid wiederum reize die Atemwege, beeinträchtige die Lungenfunktion und führe zu chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Zuletzt erklärten aber sowohl Kretschmann als auch sein Vize Thomas Strobl (CDU), dass Verbote nur das letzte Mittel seien - wenn andere Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte nicht ausreichten.

Tatsächlich wuchs nach der Ankündigung der Fahrverbote der Druck auf den grünen Ministerpräsidenten. Daimler-Chef Dieter Zetsche hielt ebenso wenig mit Kritik hinter dem Berg wie der sonst zurückhaltende Bosch-Aufsichtsrat Franz Fehrenbach. Bosch-Chef Volkmar Denner bezeichnete Fahrverbote jüngst als „Kurzschluss“, der schädlich für Arbeitsplätze und Handel wäre. Kretschmann höchstpersönlich besuchte Daimler-Entwicklungschef Ola Källenius, der als Nachfolger Zetsches gehandelt wird, kurz bevor er in einem Interview verkündete: „Denn es gibt diese sauberen Diesel tatsächlich, davon konnte ich mich kürzlich bei einem baden-württembergischen Autobauer überzeugen.“

Die Industriechefs wissen inzwischen, dass Kretschmann ein offenes Ohr für die Branche hat, von der in Baden-Württemberg hunderttausende Arbeitsplätze abhängen. Kretschmann macht das Thema gerne zur Chefsache - auch an den eigentlich zuständigen Ministerien für Wirtschaft oder Verkehr vorbei. Am 19. Mai lädt der Landesvater die Branchengrößen etwa zu sich ein, um Zukunftsthemen zu besprechen.

Kretschmann in der Zwickmühle

Für Kretschmann ist das eine schwierige Gemengelage. Denn einerseits gibt sich der 68-Jährige als pragmatischer Wirtschaftsversteher: Er drückte etwa einen Test der umstrittenen Rieselastwagen auf Autobahnen im Südwesten durch, obwohl sein grüner Verkehrsminister Winfried Hermann und Umweltverbände dagegen waren. Beim Bundesparteitag der Grünen im Herbst vergangenen Jahres sprach auf Druck der Südwest-Realos auch Daimler-Chef Zetsche - zum Leidwesen linker Grüner. Nach einem Beschluss der Bundesgrünen sollen ab 2030 nur noch abgasfreie Autos in Deutschland zugelassen werden. Kretschmann will sich auf dieses Datum nicht festlegen.

Andererseits erwarten Verbände wie die Deutsche Umwelthilfe und BUND gerade von den Grünen konkrete Taten zur Luftreinhaltung. In einem gerichtlichen Vergleich hat das Land zugesichert, die Verschmutzung am besonders betroffenen Stuttgarter Neckartor deutlich zu reduzieren. Dass ausgerechnet das von dem grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn regierte Stuttgart in dem von einem grünen Ministerpräsidenten regierten Bundesland die hohe Luftverschmutzung nicht in den Griff bekommt, ist zudem peinlich.

Ökologie und Ökonomie miteinander versöhnen - das ist Kretschmanns große Vision. Doch bis sich alternative Antriebe für Fahrzeuge auf deutschen Straßen durchsetzen, können noch Jahre vergehen. Kretschmann sieht den Diesel - ähnlich wie die Autobranche - als unverzichtbare Übergangstechnologie. Denn erwiesenermaßen ist dank des geringeren Kraftstoffverbrauchs der CO2-Ausstoß von Dieseln niedriger als von Benzinern.

Kritiker sehen Kuschelkurs bei Kretschmann

Umweltschützer sehen Kretschmann da zu sehr auf Kuschelkurs mit der Automobilindustrie. Auch die Grüne Jugend wünscht sich vom Regierungschef ein klareres Eintreten für Fahrverbote. „Politik muss auch Dinge tun, die unpopulär aber richtig sind“, sagt Landeschefin Lena Schwelling.

Denn nach Darstellung des Umweltbundesamtes sind selbst moderne Diesel Schadstoffschleudern. Umweltverbände befürchten, Kretschmanns Regierung könnte angesichts der enormen Bedeutung der Branche für das Land zu schnell vor den Autobauern einknicken, die Nachrüstungsmöglichkeiten für Diesel mit Abgasnorm Euro 5 in Aussicht gestellt haben, um sie auf die jüngste Norm Euro 6 zu bringen. Der BUND hält Fahrverbote aber nur dann für obsolet, wenn im Praxisbetrieb nachgewiesen wurde, dass nachgerüstete Fahrzeuge wirklich Euro 6 erfüllen. Die Landeschefin Sylvia Pilarsky-Grosch mahnt: „Alles andere wäre ein Setzen auf Luftschlösser.“