Henry Purcells Semiopera „Fairy Queen“ ist ein Fest für einen Regisseur, der in Bildern denkt. Calixto Bieito hat im Schauspielhaus nach Motiven von Shakespeares „Sommernachtstraum“ Oper und Theater zu einer wilden Hochzeitsparty vereinigt.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Ia, das war’s. Ein Traum, eine wunderbare Eselei, eine wilde Party. Man fasst sich erst einmal an den Kopf, dort werden doch keine überlangen Ohren stehen. Ein Wunder wäre es nicht, kaum jemand, dem in den zurückliegenden drei Stunden nicht in irgendeiner Weise ein ausladender Kopfputz zugewachsen wäre. Und wer sich nicht mit Hörnern, Geweihen oder Eselsohren plagen muss, trägt mindestens einen gehörigen hermeneutischen Kater mit sich herum. Denn hier gibt es manches zu deuten.

 

Was ist bloß geschehen? Wir sind einer Hochzeitsgesellschaft gefolgt, haben ordentlich gefeiert, die Stimmung war lose, wir haben den Sternen-BH der Nacht erblickt, Männer auf High-Heels und Frauen mit buschigen Schwänzen. Irgendwann sind alle Schranken gefallen: Jeder hat es mit jedem getrieben, der Bräutigam mit der Freundin der Braut, die Musik mit dem Wort, der Tag mit der Nacht, der Sommer mit dem Winter, Menschen mit Tieren – und die Feenkönigin Titania mit Eberhart, den sie sich kurzerhand aus dem Publikum gepflückt hat, Eberhart, Nomen est Omen.

Bäumchen-Wechsle-Dich im Dschungel der Gefühle

Mehr Kopulation als Kooperation, was die vereinten Kräfte des Stuttgarter Schauspiels und der Oper aus der Begegnung von Henry Purcells „Fairy Queen“ und Shakespeares „Sommernachtstraum“ entbinden. Dabei erfreute sich das Mischwesen der Semiopera ausgerechnet im puritanischen England einmal großer Beliebtheit. Vielleicht hoffte man, die Extreme der einen Gattung mit denen der anderen in Schach zu halten: den erotischen Wahn von Shakespeares Liebesverwirrspiel durch die allegorische Bändigung der komponierten Szenen, die sinnliche Lust der Musik durch den scharfsinnigen Witz des Textes.

Sollte dies noch das Kalkül von Purcells nachpuritanischem Werk gewesen sein, so hat man die Rechnung ohne den katalanischen Regisseur Calixto Bieito gemacht. Als schleichenden Prozess der Verwilderung zeigt er die Metamorphosen der Liebe. Und nur so viel Stoff wie nötig hat er aus Shakespeares Vorlage übernommen, um dieses Bäumchen-Wechsle-Dich-Spiel im Dschungel der Gefühle zu bemänteln.

Gerechterweise ist solche Freiheit einmal nicht inszenatorischer Willkür anzulasten. Schon Purcells musikalische Intermezzi pflegen mit dem Mutterstück einen so losen Umgang, wie man ihn allenfalls den freiesten Ausgeburten des Regietheaters zugetraut hätte. Was diese Form freilich mit jahrhundertelangem Vergessen bezahlt hat, der traumhaften Musik zum Trotz, die durch die gattungsgeschichtlichen Ruinen spukt. Lässt sich dieser Barock-Hybrid aus verwandtem Geist wieder flott machen?

Der Kobold führt sie alle ab

Bieito kehrt das Gesetz der Komödie um. Die Hochzeit steht nicht am Schluss, sondern am Anfang. Im Foyer des Schauspielhauses mischt sich eine Festgesellschaft unter das Publikum: Hermia und Lysander (Caroline Junghans und Manolo Bertling) heiraten, „Dancing Queen“ und Hochzeitsmarsch tönen durcheinander, ein Priester murmelt Zaubersprüche: „Die Liebe hofft, glaubt und erduldet alles.“ Mal sehen. Denn erst wird gefeiert.

Eine schon leidlich beschickerte Feenkönigin (Susanne Böwe) und ein rosa Hasengeschöpf empfangen im Zuschauerraum die Gäste zum Ball. Auf der von Susanne Gschwender eingerichteten Drehbühne spielt eine Barock-Band auf, mikrofonverstärkt klingt die Theorbe wie eine E-Gitarre, es darf getanzt werden. Und es wird getanzt, in einem stilistischen Spektrum irgendwo zwischen Dirty Dancing, Ausdrucksturnen, Eurythmie und Luftorchester. Der Kapellmeister Christian Curnyn gibt das Motto vor: „up an down“. Das kann man übersetzen wie man will, hoch und runter, rein und raus, oder wie Puck, als welcher Maja Beckmann durch den Abend irrlichtert: „Auf und ab, fürchtet euch in Wald und Stadt, der Kobold führt sie alle ab.“

Sehnsucht nach Eberhart

Vom „Sommernachtstraum“ reicht es soviel zu wissen, dass es darin um die verirrten Gefühle zweier Paare geht, denen Puck mit dem aphrodisiakischen Saft einer Zauberblume auf die Sprünge hilft: Denn auch Demetrius liebt Hermia und nicht deren Vertraute Helena (Hanna Plaß), die sich deshalb hässlich wie ein Stier fühlt. Auch um die Ehe der älteren Herrschaften Oberon und Titania ist es nicht zum Besten bestellt. Letztere, die hier immer Titt-tania ausgesprochen wird, hat sich auf der Party einen hübschen Knaben angelacht, der Tenor Alexander Sprague singt aber auch gar zu schön von allerlei Vögeln im Wald. Ganz im Gegensatz zu Titanias Mann Oberon, der nach einem wüsten Trinklied die wunderbare Elfen-Sopranistin Josefin Feiler von Höhepunkt zu Höhepunkt treibt.

Genug zu tun für den Liebesmediziner Puck, der hier abermals eingreifen muss. Titanias oben erwähnte Mesalliance ist eine Folge davon, bei Shakespeare gerät sie an einen schauspielernden Esel namens Zettel, hier an einen Publikum spielenden Rentner namens Eberhart.

All dies folgt weniger der Logik einer Handlung, denn der des Traums. Zwischen Fetisch und Symbol wuchert ein Dickicht der Bedeutungen. Heilsarmeehafte Vanitas-Figuren mischen sich in den Zyklus der Verwandlungen, eine Badeszene zeigt das Vergehen der Jahreszeiten, ein Wald von Hirschgeweihen den Zusammenhang von Liebe, Jagd, Fruchtbarkeit und Tod. Alles gleitet ineinander, Grenzen verfließen. Genau komponiert Bieto diese Bilder aus Motiven des Textes, aber das eigentliche Bindemittel, vergleichbar der Kraft von Pucks Zauberblume, ist die Musik.

Am Halsband durch die Wüsteneien des Begehrens

So souverän wie Michael Stiller als priapusbewehrter Oberon die Regie über die erotische Ross- respektive Eselskur seiner Gattin führt, so gebietet Christian Curnyn über die elementare Magie, die Verschwiegenheit, das Geheimnis, das Weben der Nacht zum Klingen zu bringen. Die Musiker und Sänger des Staatsorchesters und des Opernchores sind in das szenische Geschehen unmittelbar integriert. Mit dionysischer Hingabe setzen sie sich über sämtliche aufführungspraktischen Schranken hinweg. Schauspieler wie Johann Jürgens als Demetrius werden zu wunderbaren Sängern, während der Tenor Mark Milhofer eine Spielfreude entwickelt, die im Reifrock so überzeugt wie im harpyenartigen Zwitterflitter mit Eselsohrenfetisch (Kostüme: Anja Rabes).

Nachdem der Liebeszauber gelöst ist, Titania nicht mehr am Halsband durch die Wüsteneien ihres Begehrens gezerrt wird, sondern nun ihrerseits Hymen, den Gott der Ehe, zum Schoßhündchen zähmt, finden die Hochzeitsgäste wieder zu sich. Was war das nun: „Das dümmste Zeug, das ich je gehört habe“, wie Oberon knurrt, oder ein Spiel, das mehr bedeutet als ein Traum, wie seine Frau meint: „Es wird daraus ein Ganzes voll Bestand, doch seltsam immer noch und wundervoll“. Ein Ganzes voll Bestand – mehr kann man von einer Semiopera nicht verlangen.

Vorstellungen: ausverkauft, evtl. Restkarten