Als Andrea Fuchs ihren Eltern sagte, dass sie Frauen liebt, ist für die beiden eine Welt zusammen gebrochen. Inzwischen sehen sie das ganz anders.

Region: Verena Mayer (ena)
Weil der Stadt – In Berlin wird heute ein Stückchen Geschichte fortgeschrieben. Der Bundestag soll endgültig über das Gesetz zum Ehegattensplitting für homosexuelle Paare entscheiden. Wenn im Juli noch der Bundesrat zustimmt, ist die Geschichte fertig – eine eigentlich unglaubliche Geschichte. Mit dem neuen, vom Bundesverfassungsgericht initiierten Gesetz wird die eingetragene Lebenspartnerschaft praktisch auf eine Stufe mit der Ehe gestellt. Was vor Jahren unvorstellbar schien, wird Normalität. Dazu beigetragen haben nicht nur prominente Homosexuelle wie Guido Westerwelle, Klaus Wowereit, Hella von Sinnen oder Anne Will, sondern auch Familien wie die Familie Fuchs aus Weil der Stadt.
Herr und Frau Fuchs, Ihre Tochter hat sich 2003 verpartnert. Wie leicht geht Ihnen das Wort Schwiegertochter über die Lippen?
Traudl Fuchs Inzwischen leicht.
Rudolf Fuchs Wir haben kein Problem mehr damit, dass unsere Tochter lesbisch ist. Das sagen wir auch jedem.

Als sich Ihre Tochter 1996 Ihnen gegenüber geoutet hat, konnten Sie nicht so offen über das Thema reden. Warum?
Rudolf Fuchs Am Anfang, da haben wir schon geschluckt und Rotz und Wasser geheult. Wir wussten nicht, wie geht man mit so was um? Wie verhält man sich?
Traudl Fuchs Das Thema war uns so fremd. Wir waren geschockt und auch traurig. Für mich war am schlimmsten, dass ich dachte, wir werden keine Enkel haben. Und ich habe mich gesorgt, wie das wohl im Berufsleben wird, ob Andrea Nachteile hat.
Andrea Fuchs Ich hatte schon überlegt, ob ich es meinen Eltern überhaupt sagen soll, ich bin kurz danach eh für längere Zeit ins Ausland gegangen. Aber für solche Mitteilungen gibt es nie einen guten Zeitpunkt. Und hätte ich es nach Jahren erzählt, wäre das doch ein Vertrauensbruch gewesen.

Wie haben Sie Ihren Schock überwunden?
Rudolf Fuchs Wir sind zuerst zu einer Beratungsstelle von Pro Familia und dann zu unserem Pfarrer. Der hat gesagt: „Das ist überhaupt kein Problem. Nehmt eure Tochter an, wie sie ist. Wenn ihr nicht zu ihr steht, habt ihr sie verloren.“ Schließlich haben wir die Elterngruppe in Stuttgart gefunden.
Traudl Fuchs Ich weiß noch ganz genau, wie ich das erste Mal dort anrief. Es war so schwierig zu sagen: „Ich habe eine lesbische Tochter.“ Dieses Wort lesbisch ist mir kaum über die Lippen gegangen. Aber die Gruppe hat uns sehr geholfen. Ich erinnere mich an einen jungen schwulen Mann dort, der uns gesagt hat: „Lasst euch Zeit. Die Kinder brauchen eine Weile, bis sie sich outen, ihr dürft euch auch Zeit nehmen, bis ihr so weit seid, nach außen zu gehen.“

Wann waren Sie so weit?
Traudl Fuchs Nach einem Jahr ungefähr habe ich meine engen Freundinnen zum Kaffee eingeladen und ihnen gesagt: So sieht’s aus.

Wie haben sie reagiert?
Traudl Fuchs Erst mal herrschte betretenes Schweigen. Nach einer Weile haben einige gesagt, da sei doch nichts dabei. Andere sagten, sie müssten nachdenken. Das war okay. Für mich war es eine Befreiung, dass ich endlich darüber reden konnte.

Sie sind ziemlich gläubig. Dachten Sie nie, Ihre Tochter lebt in Sünde?
Rudolf Fuchs Nein, dieser Gedanke ist mir nie gekommen.
Traudl Fuchs Ich denke, Gott hat Andrea so gewollt, wie sie ist.

Als sich Ihre Tochter 2003 verpartnerte, hat der Pfarrer angeboten, eine Segnung in der Kirche abzuhalten. Der Oberkirchenrat verhinderte dies letztlich. Haben Sie überlegt, aus dem Kirchengemeinderat auszutreten?
Traudl Fuchs Nein! Diese Aktion hat mich sogar bestärkt weiterzumachen. Ich habe gesagt: Ich verstecke mich nicht. Wenn man offen und ehrlich mit der Situation umgeht, müssen sich die anderen ändern. Ich kann es nicht ändern.
Rudolf Fuchs Wir wollen es auch nicht ändern. Wir wollen ändern, was noch schlecht ist. Wir wollen gleiche Rechte für alle.