Erben macht nicht immer glücklich. Bei der Testamentseröffnung kommt oft zur Sprache, was über Jahrzehnte verschwiegen wurde. Dann knallt es.

Berlin - Eine Kleinigkeit war es, an der die Familie zerbrach. "Es ging um den goldenen Armreif der Mutter", sagt Raymond Zens, der ganz anders heißt, aber anonym bleiben will. Dann muss er husten, ihm bleibt die Luft weg. Seine Schwester habe das Schmuckstück unbedingt haben wollen, krächzt der Berliner Geschäftsmann und hat alle Mühe, die Sätze hervorzubringen.

 

Er will reden, aber kann nicht. Seine Mutter habe den Reif der Schwiegertochter auf dem Totenbett für die aufopferungsvolle Pflege versprochen. Raymond Zens kann nur noch stoßweise sprechen, unterbrochen von Räuspern, kurzen Pausen, Wasser trinken. An den Tag, als der große Streit ausbrach und Raymond Zens irgendwann ins Badezimmer rannte, um sich zu übergeben, erinnert sich der 46-Jährige nur mit Widerwillen.

Das Drama begann kurz nach der Beerdigung der Mutter - die alte Dame war von seiner Schwägerin, ihm und seinem Bruder gepflegt worden. Alle, auch die anderen Geschwister waren angereist. Sie saßen um den Tisch herum, vor sich eine Kiste voller Schmuck. Sein Schwager warf seiner Frau die Sachen zu, die er für wertvoll hielt. Der Rest wurde mit Sätzen wie "das ist ja auch nur Müll", oder "das taugt ja gar nichts", zur Seite gepfeffert. Raymond Zens beobachtete die Szene fassungslos.

Wertgegenstände sind Symbole für Wertschätzung

Irgendwann kam bei der Verteilung der Schmuckstücke der Goldreif auf den Tisch. Zens informierte seine Geschwister, dass dieser auf Wunsch der Mutter für die Schwägerin reserviert sei. "Daraufhin ist meine Schwester ausgerastet", erinnert sich Zens. Sie brüllte los, sie schimpfte. Der Armreif wäre das einzige, was sie an ihren Vater erinnern würde, der ihn der Mutter zum 40. Geburtstag geschenkt hätte. "Die Mutter hat mich sowieso nie geliebt", tobte die Schwester weiter. "Es war völlig abstrus", erinnert sich Zens an die für ihn unfassbare Szene, "es war der schlimmste Tag meines Lebens".

Was an diesem Tag in der Familie von Raymond Zens geschah, kann Arist von Schlippe ganz gut erklären. Er ist Familientherapeut und Professor für Führung und Dynamik von Familienunternehmen an der Universität Witten-Herdecke. Erbstreitigkeiten sind seine Spezialität. Deshalb weiß er auch, dass sich derartige Auseinandersetzungen nicht gestaffelt nach der Höhe der Erbschaft entzünden. Sie werden dadurch ausgelöst, dass Geld oder Sachgegenstände "oft symbolisch für nicht oder zu wenig erhaltene Wertschätzung stehen".

In Familien, so erläutert von Schlippe, machen viele so eine Art innere Buchführung. Die basiert darauf, dass jeder im Geiste notiert, was er an Loyalität, was er an Einsatz erbracht hat. Das Problem ist, dass diese Abrechnung privat erfolgt. "Es gibt keine Kontoauszüge, die man gegeneinander legen und sagen kann, ach, lieber Bruder, bei dir sieht das so aus, bei mir aber ganz anders."

Bei jeder 6. Erbschaft kommt es zum Streit

Am Tag der Testamentseröffnung fallen die stillen Buchhalter oft aus allen Wolken. Plötzlich stellen sie fest, dass ihre Rechnung nicht mit der ihrer Eltern übereinstimmt. "Das ist der Moment, wo die Verteilung für die Betroffenen der Beweis dafür ist, sie oder er hat mich noch nie geliebt", sagt Arist von Schlippe. Dabei muss es sich keineswegs um große Summen handeln, wie man sie aus den Schlagzeilen kennt.

Gut, im Bahlsen-Keks-Imperium hing der Haussegen auch schief, als es um das Vermächtnis der Eltern ging. Bei den Wagners in Bayreuth beharkte man sich öffentlich. Und zum adligen Bismarck-Clan musste gar die Polizei wegen eines in Handgreiflichkeiten ausgearteten Familienstreits anrücken. Anlass für den Unfrieden war jedesmal die Frage, wer bekommt wie viel vom Erbe.

Nicht anders geht es zu, wenn das zu vererbende Vermögen überschaubar ist. Eine Problematik, die sich immer häufiger stellt. Im vergangenen Jahr wurden, laut einer vom Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Postbank durchgeführten Studie über 220 Milliarden Euro in Deutschland vererbt, meist von Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten. Bei jeder sechsten dieser Erbschaften kam es zum Streit. Anlass hierfür: Hinterbliebene fühlten sich benachteiligt.

Wenn der Mensch der Gier anheimfällt

Dass dies nicht zwangsläufig so sein muss, zeigt das Beispiel der Kölner Filmemacherin Christel Fomm. Für sie ist das Thema Erbschaft mit positiven Erinnerungen verbunden. Als nach dem Tod des Vaters vor zwölf Jahren auch die Mutter starb, blieben sie und ihre beiden Schwestern entspannt. Es sei kein einziges böses Wort gefallen, erzählt Fomm. "Wir haben sogar darauf geachtet, dass niemand übervorteilt wird." Jede habe ihr Geld genommen und damit gemacht, was sie wollte.

Ein eher seltener Glücksfall. Oft eskalieren Familienzwiste, wenn das Erbe verteilt werden soll. "Die Inder sagen, das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, ist, wenn er der Gier anheimfällt", sagt der Therapeut Arist von Schlippe. Eine Gier, die Christel Fomm und ihre Geschwister nicht kennen. Auch wenn es um einen beträchtlichen Betrag ging. Denn die Eltern hatten bescheiden gelebt. Der Vater war Fabrikant, aber stets darauf bedacht, sein Vermögen zusammenzuhalten. Er hat noch nicht einmal das Studium seiner Tochter finanzieren wollen.

Damals hätten sie sich heftig gestritten, erzählt Fomm, die sich in jener Zeit bei den Kommunisten engagierte und am liebsten das Fabrikantentum abgeschafft hätte. Der Krach gipfelte in der Enterbung der Tochter. "Das war richtig offiziell beim Notar", sagt Fomm. Ein Schritt, den der Vater später wieder rückgängig gemacht hat. Geizig sei er dennoch geblieben, sagt die Filmemacherin und fühlte sich von ihrem Vater nicht immer gut behandelt.

Der Bruder - ein Betrüger

Sie sieht das Erbe als "Schmerzensgeld", als Entschädigung für das Abwesendsein des Vaters. "Dafür, dass ich sehr um seine Anerkennung kämpfen musste." Manchmal sagt sie auch, "dieses Erbe ist ein großes Geschenk", dann freut sie sich darüber, sich die neueste Kamera, das flotteste Automodell gönnen zu können.

Arist von Schlippe würde Christel Fomms Umgang mit dem Erbe sicherlich gutheißen. Er weiß um die Symbolik, für die Geld und Sachgegenstände stehen. Eine Erfahrung, die bei der Beratung zweier Brüder bestätigt wurde. Die Männer stritten sich um das elterliche Erbe. Nicht um das Unternehmen, das an sie gemeinsam fiel und einen Wert von rund 100 Millionen Euro hatte.

Vielmehr darum, dass einer der Brüder, der extrovertierte, der wortgewaltigere, nun auch noch den Dienstwagen bekommen sollte. Der war längst abgeschrieben und spielte angesichts des Gesamterbes finanziell kaum eine Rolle. Er führte aber dazu, dass der ohne Auto aggressiv wurde. Er sei bestohlen worden, der Bruder ein Betrüger. Von Schlippe wurde als Mediator hinzugezogen. "Die wären bis vors höchste Gericht gegangen, nur wegen des abgeschriebenen Autos, wie lächerlich."

Familiäre Abgründe

Versöhnen konnte von Schlippe die Brüder nicht. Aber lange Gespräche wurden geführt, bei denen es darum ging, wie sie sich schon als Kinder unterschiedlich behandelt gefühlt hatten. "Die haben sich schließlich geeinigt", erinnert sich von Schlippe. Doch das herzliche Verhältnis war nicht mehr vorhanden.

Auch Raymond Zens wird mit den Abgründen leben müssen, die sich in seiner Familie aufgetan haben - ausgelöst durch einen goldenen Armreif. Er selbst hat sich auch ein Erbstück gesichert, eines, das schon jemand anders eingepackt hatte. "Es war immer klar, dass ich das eigentlich haben wollte", sagt er und ist erleichtert, dass er sie zu Hause aufstellen kann - die Holzschnitzerei aus Oberammergau, die ihn so sehr an seine Mutter erinnert.