Was schätzen ein Karnevalist, eine Gardetänzerin, ein Hästräger und ein Guggenmusiker an Fasching?

Böblingen: Leonie Schüler (lem)

Stuttgarter Norden - Narri, Narro, Helau oder oh je: Die einen legen weite Wege zurück, um in der Faschingszeit an möglichst vielen Umzügen, Empfängen oder Ordensabenden teilzunehmen, die Fasnetsmuffel nehmen fluchtartig Reißaus. Wer sich aber in einem Karnevalsverein oder in einer Narrenzunft engagiert, für den zählt in der Zeit vor Aschermittwoch nur das eine. Ob Gardetänzerin, Karnevalist, Hästräger oder Guggenmusiker – für sie alle ist die fünfte Jahreszeit ein Ausnahmezustand.

 

Andreas Goihl ist der Präsident des Karnevalsclubs Stuttgarter Rössle. Als gebürtigem Mainzer liegt ihm der rheinische Karneval quasi im Blut. Trotzdem hat er sich erst vor zwölf Jahren aktiv dem närrischen Treiben zugewandt. „Ich bin über meine Tochter dazugekommen, die Gardetanz machen wollte“, erzählt er. Der schwäbisch-alemannischen Fasnet könne er weniger abgewinnen, wenngleich er es für wichtig halte, dass beide Traditionen gepflegt werden. „Karneval ist eine militärische Persiflage, bei der schwäbisch-alemannischen Fasnet geht es mehr um Wintervertreibung“, erklärt er die Unterschiede. Ihm selber liege die fröhliche Leichtigkeit der Rheinländer mehr. Das Klischee, bei Karneval müsse jeder auf Kommando lustig sein, kann er nicht gelten lassen. „Das ist Quatsch. Es geht um Geselligkeit. Vom 11. 11. bis Aschermittwoch trifft man fast jedes Wochenende Freunde aus der großen Faschingsfamilie“, sagt der Clubpräsident. Auch das Vorurteil, Karneval nur als Vorwand zum maßlosen Betrinken herzunehmen, kann Goihl nicht gelten lassen. „So wenig Alkohol wie an Karneval trinke ich das ganze Jahr nicht“, sagt er. Schließlich sei man permanent mit dem Auto unterwegs, um von Veranstaltung zu Veranstaltung zu kommen.

Brauchtum mit historischem Hintergrund

Volker Blanke wiederum lässt auf die schwäbisch-alemannische Fasnet nichts kommen. Ohne Fellkostüm und gehörnter Hasenmaske geht der Vorsitzende der Narrenzunft Weilemer Hörnleshasa auf keine Faschingsveranstaltung. Am Kostüm gefällt ihm, dass es nicht Furcht einflößend ist: „Wir werden immer als liebe Häsle gesehen. Die Kinder sind begeistert von unseren Masken, ältere Frauen nehmen uns in den Arm“, erzählt Blanke. Das Häs wurde nicht willkürlich gewählt, sondern stützt sich auf die Legende vom Weilimdorfer Bauern Gerlach, der in den Feldern einen gehörnten Hasen gesichtet haben will. „Ohne einen historischen Hintergrund kann man als Narrenzunft gar kein Mitglied im Landesverband Württembergischer Karnevalsvereine werden“, sagt Blanke. Obwohl in der Satzung festgeschrieben steht, dass die Narrenzunft die Brauchtumspflege zum Ziel hat, legt Volker Blanke Wert darauf, dass auch bei den Hörnleshasa der Spaß im Vordergrund steht. „Wir sind ja kein Heimatverein, sondern feiern Fasching.“

Stefan Furtner ist über die Musik zur Fasnet gekommen. Der Präsident der First Guggen Band Stuttgart ist ein Späteinsteiger: Zum 40. Geburtstag hat er ein Saxofon geschenkt bekommen und die Mitgliedschaft bei der Feuerbacher Guggenband gleich dazu. Seither spielt er bei rund 70 bis 80 Auftritten pro Kampagne mit. „Davor hatte ich eigentlich nichts mit Fasching zu tun“, gibt er unumwunden zu. Und auch heute noch sei es in erster Linie die Musik, die ihm an der fünften Jahreszeit gefällt. „Ich bin ein Musiknarr, kein Faschingsnarr“, sagt er von sich. Hat er die Wahl, zieht er Karneval den Brauchtumsveranstaltungen vor. Hexentänze oder ähnliches finde er zwar durchaus interessant, das gleite ihm aber zu sehr ins Mystische, Böse und Dunkle ab. „Karneval sollte was Lustiges haben und nicht unbedingt was Erschreckendes“, sagt Stefan Furtner. Die gute Stimmung schreibt er nicht zuletzt Musikgruppen wie der First Guggen Band zu. „Guggenmusik ist fetzig und reißt einen mit. Man spürt, wenn die Leute mitgehen und der Funke überspringt.“

Und hoch das Bein!

Ebenso mitreißend ist für viele der Gardetanz. Melanie Krebs ist Majorin bei der Tanzgarde der Stuttgarter Rössle. „Ich bin so etwas wie die Klassensprecherin der Gruppe“, beschreibt sie ihre Aufgabe. Sie leitet ihr achtköpfiges Team an, wenn die Trainerin nicht dabei sein kann, oder vermittelt bei Unstimmigkeiten zwischen den Mädchen. Melanie Krebs tanzt seit fünf Jahren mit. „Mir gefällt, dass man dabei alle Probleme um sich herum vergessen kann“, sagt die 17-Jährige. Zweimal pro Woche wird trainiert, und zwar das ganze Jahr über. Wenn die Kampagne vorüber ist, wird von April bis November ein neuer Tanz einstudiert. Alle zwei Jahre wird abwechselnd ein neuer Showtanz oder ein neuer Marschtanz geprobt. Melanie Krebs erklärt die Unterschiede: „Beim Showtanz erzählt man zu einem bestimmten Thema eine Geschichte. Wir machen zum Beispiel etwas zur Musikrevolution. Beim Marschtanz ziehen wir die Kostüme an, die man auf Umzügen sieht, also mit Perücke, Dreispitz-Hut und Röckchen.“ Ein Tanzmariechen, also eine Solotänzerin mit akrobatischen Einlagen, gibt es bei den Rössle derzeit nicht. Ausschließen möchte Melanie Krebs nicht, dass sie eines Tages als Tanzmariechen auftritt. „Aber da müsste ich noch viel mehr üben“, sagt sie.