Sieben Wochen mit Arbeitslosengeld II auskommen: Das ist das Ziel einer diakonischen Fastengruppe in Bad Cannstatt. Interessierte treffen sich am 11. Februar in der Kapelle der Lutherkirche. Es geht darum, aus Solidarität zu fasten und Armut kennenzulernen.

Bad Cannstatt - Fasten nach Fasching ist fast ein bisschen Mode. Als Lifestyle-Purismus auf Zeit. Vielleicht auch als eine Übung für gesünderes Leben. „Sieben Wochen ohne“. Ohne Schokolade, Fleisch, Alkohol oder Nikotin beispielsweise.

 

„Fasten aus Solidarität“ ist hingegen das Motto eines Fastenangebotes unterm Dach der Kreisdiakoniestelle in der Wilhelmstraße. Dafür soll sich eine Gruppe finden, die versucht, in der kirchlichen Fastenzeit von Aschermittwoch bis Ostern mit dem auszukommen, was Hartz-IV-Empfängern zur Verfügung steht. Das erste Treffen für „7 Wochen mit Hartz IV“ ist am Donnerstag, 11. Februar, um 19.30 Uhr in der Kapelle der Lutherkirche, wo sich die Gruppe dann auch jeweils donnerstags zum Erfahrungsaustausch trifft. Eine Anmeldung für das Treffen zum Auftakt ist nicht notwendig.

Lebensrealität der Armen ins Bewusstsein rücken

Was es mit dieser diakonischen Fastengruppe auf sich hat, das haben die beiden Initiatoren in einem Pressegespräch erläutert: Das sind der Sozialdiakon Peter Hülle, Leiter der Kreisdiakoniestelle Bad Cannstatt, und Pfarrer Christian Kögler. „Wir wollen dafür sensibilisieren, was es heißt, unter Hartz-IV-Bedingungen zu leben und dabei die Lebensrealität vieler Menschen in unserer Stadt ins Bewusstsein rücken“, erklärt Hülle. Aktuell sind das rund 7000 Menschen. Zur Orientierung nannte Hülle die 404 Euro, auf die Alleinstehende Anspruch haben. „In der Regel bleiben 200 Euro im Monat für den Lebensunterhalt. Das macht 50 Euro die Woche“, erläutert Hülle.

Um sich dieser Situation anzunähern, werden die Teilnehmer am ersten Abend einen „Hauptantrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes“ ausfüllen. „Das macht jeder für sich. Das sind sechs Seiten, in denen die Vermögensverhältnisse abgefragt werden. Das ist im Ernstfall ein schwieriger Schritt, weil man hier sich und seine Situation entblößen muss.“ Für die Fastengruppe betont Hülle aber: „Das ist als eine Art Selbstüberprüfung gedacht. Jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer kann selbst entscheiden, was er offenlegen will, erst recht, was er eventuell in der Gruppe besprechen möchte. Es geht rein um die Selbsterfahrung.“

Eine neue Waschmaschine ist Luxus

Danach gehe es darum, „im Alltag herauszufinden, wie ich mit einem solchen Betrag zurechtkomme, was ich mir leisten kann als Einzelner oder als Familie, ob ich mich damit überhaupt durchschlagen oder eventuell etwas zurücklegen kann“. In der Praxis stehe es den Teilnehmern offen, ob sie das „streng oder weniger streng handhaben“. Also ob sie ihr Auto nutzen wollen. Oder ob man „für den Fall, dass in der Zeit die Waschmaschine kaputt geht, solange in den Waschsalon geht oder sich gleich eine neue anschafft, was für einen Menschen mit Hartz IV-Bezug ein ungeheurer Luxus ist“.

Im Kern gehe es „um eine Horizonterweiterung“, sagt Christian Kögler. Der Pfarrer betont aber auch „das diakonische Profil der Gruppe, die Verbindung des sozial-karitativen mit dem seelsorgerlichen Aspekt“. Wie Kögler sagt: „Der Kern unserer Kirchengemeinden gehört zum Mittelstand unserer Gesellschaft. Daraus resultiert eine Art unbeabsichtigte Milieuschranke. Jedenfalls gibt es im Gemeindeleben sehr selten gemeinschaftliche Momente mit Menschen, die ganz am Rande stehen. So ist die diakonische Fastengruppe auch ein Signal, ein Zeichen, dass wir auch für diese Menschen dasein und sie ins gemeindliche Leben einbeziehen wollen.“

Armut kennenlernen

Wer mag, kann im Rahmen der Fastengruppe auch sogenannte „Straßen-Exerzitien“ unternehmen. Dabei begibt man sich in den öffentlichen Raum, um Beobachtungen in Sachen Armut zu machen, eventuell auch Kontakt zu Menschen aufzunehmen, denen es offensichtlich nicht gut geht. Diese Beobachtungen werden dann beim wöchentlichen Treffen der Gruppe besprochen, die laut Hülle „als Kristallisationspunkt dient, um Erfahrungen auszutauschen oder eventuell auch Ideen zu entwickeln“.

Aber kann man Menschen Armut „ansehen“? Denn um Armut und um nichts Anderes geht es in Sachen Hartz IV. Eine Frage, auf die Dekan Eckart Schultz-Berg, Pfarrer an der Stadtkirche, ein Sowohl-als-auch findet: „Man kann viel kaschieren. Und es gibt Menschen, die mit aller Kraft versuchen, auch in ihrem äußeren Erscheinungsbild ihre Würde zu verteidigen. Das aber ist sehr schwer. Oft sieht man die Armut auch an Kleinigkeiten, an den Schuhen nicht zuletzt. Bei Männern auch oft an der Frisur.“

Ein drängendes, gesellschaftliches Thema

Margit Rudorfer, die die Menschen im Evangelischen Zentrum empfängt, schöpft aus reicher Erfahrung: „Menschen in Armut sind nicht selbstbewusst. Es gibt welche, die ihren Stolz verteidigen. Aber fast allen sieht man an, dass Armut weit über das Materielle hinaus belastet. Armut drückt.“ Ein Gedanke, den Peter Hülle aufgreift: „Arbeitslosengeld 2, das ist Armut. Insofern ist unsere Fastengruppe eine Konfrontation mit einem drängenden, gesellschaftlichen Thema. Vielleicht ist das auch die Begegnung mit Menschen in Armut. Mit Menschen, die am Rande des Existenzminimums leben. Als Kirche haben wir auch die Aufgabe, diesen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. So, dass sie sich als ebenbürtig erleben können.“

Dekan Eckart Schultz-Berg ist überzeugt: „Diese Initiative ist keine Fantasienummer wie sieben Wochen Schokoladeverzicht. Das hat Realitätsgehalt. Wer diese Erfahrung sucht, der wird sie nach Ostern nicht beiseite schieben. Da wird etwas bleiben.“