Erst fangen sie ganz langsam an, aber dann ... Fat Freddy's Drop haben am Samstagabend in der Liederhalle den größten Jam des Jahres gespielt - vor knapp 2000 enthemmten Fans.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Man muss all die Pop-Pessimisten korrigieren: Um das stilistische Empfinden steht es hierzulande sehr gut. Nur so lässt sich erklären, dass der mehr als zweistündige Auftritt der neuseeländischen Band Fat Freddy's Drop in der Liederhalle lauter bejubelt wird als alle anderen Konzerte in Stuttgart in diesem Jahr. Und: Eigentlich ist das kein Konzert, sondern ein riesiger Jam: eine kollektive, freie Improvisation um einige vage formulierte musikalische Ideen herum - eine Akkordfolge hier, eine Textzeile da. Und solche Jams finden für gewöhnlich in Musikcafés, Jazzkneipen, Kulturzentren statt, vor wenigen Connaisseurs. Nicht in der Liederhalle, vor 1800 Zuschauern im besten Konzertalter.

 

Wer sich auf den Abend vorbereitet, also etwa das neue Album "Bays" (beste Chartplatzierung: 35) durchgehört hat, könnte allerdings enttäuscht sein. Auf "Bays" finden sich, hervorragend gespielt und produziert übrigens, echte Songs - also mit überschaubar langem Intro, Strophe, Refrain, ... Der Stuttgarter Auftritt ist wie das Album nah dran am Reggae mit ausführlichen Ausflügen in Blues, Disco, Funk, Electro und der Soulstimme von Dallas Tamaira - nur eben ein endloser Jam, der Songfetzen gefühlt in die Ewigkeit perpetuiert.

Dub nennt man diesen Ansatz. Fat Freddy's Drop tragen ihre Jams musikalisch perfekt vor, ach was, im Hochglanzsound. Streckenweise hört sich das eher nach Hifi-Studio an als nach Livekonzert - was, wenn man gerne etwas kritisieren möchte, manchmal vorrangig wie ästhetischer Selbstzweck wirkt. Zumal die Bühne in kühlem Blau ausgeleuchtet ist, die Herren Hemd und Sonnenbrille tragen. Dem Publikum ist's wurscht, es feiert und tanzt vom ersten Takt an, und Fat Freddy's Drop dehnen ihre Songs immer und immer weiter. So dauern die Stücke am Samstagabend gerne mal zehn Minuten - was zu der nicht ganz gewöhnlichen Ansage an die Fotografen führt, die ersten 15 Minuten des Konzerts fotografieren zu dürfen statt wie sonst üblich die ersten drei Songs.

Erst fangen sie ganz langsam an, aber dann ...

Wer sich nur durch unsere in der besagten Anfangsviertelstunde entstandene Bilderstrecke zum Stuttgarter Konzert von Fat Freddy's Drop klickt, kriegt gar nicht mit, dass der Auftritt in der zweiten Hälfte dreht. Nach einer Stunde (oder fünf "Songs") voller smoother Bässe aus dem Synthesizer und behänder Tanzeinlagen des Posaunisten werden die Beats - vom DJ, auf ein Schlagzeug wird verzichtet - elektronischer; es geht jetzt nicht mehr bloß auf die zwei und die vier, sondern die Bassdrum pumpt immer häufiger durch.

Das Publikum hat das nicht mal eingefordert. Aber die Fans reagieren auf die anfangs subtile Steigerung von Tempo, Lautstärke, Intensität. Als der Song "Fish in the Sea" hintenraus zur Rocknummer wird und der zu Konzertbeginn befrackte Posaunist in Unterhemd und Silberumhang gekleidet über die Bühne hüpft, ist die Liederhalle endgültig enthemmt. Davor haben manche mit angezogenen Armen getanzt; jetzt schüttelt sich das Publikum nach Lust und Laune, es gibt Stagediving, die Übernummer "Shiverman" und nach dem letzten Song den lautesten Jubel des Stuttgarter Konzertjahrs.

Spätestens in diesem Moment ist der langatmige Start des Abends vergessen, wird klar, dass es sich hier um Jammern auf hohem Niveau handelt - und um Jammen auf allerhöchstem Niveau. Denn mal so gedacht: Was ist langweiliger als dass Bands ihre Songs live genau so vortragen wie auf Platte?

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