In der Stunde der Krise blickt die FDP auf Philipp Rösler. Der Gesundheitsminister könnte als Parteivorsitzender auf Guido Westerwelle folgen.
   

Berlin - Klaus Vater ist Sozialdemokrat durch und durch. Der Mann hat einst für die Parteizeitung "Vorwärts" geschrieben und für Rudolf Dreßler gearbeitet, jenen SPD-Abgeordneten, der in den 80er und 90er Jahren der einflussreichste Sozialpolitiker der SPD gewesen ist. Dann wurde Vater Pressesprecher der SPD-Minister Walter Riester und Ulla Schmidt. Und nun heißt es an einem warmen Frühlingstag im März Abschied nehmen: Vater geht in den Ruhestand. Seinem Chef würde es niemand verübeln, wenn er den Abschied distanziert-korrekt abwickelte.

 

Doch es geschieht genau das Gegenteil. Gesundheitsminister Philipp Rösler lädt zu Sekt und Häppchen, überreicht Geschenke, lässt sich strahlend mit Vater und dessen Ehefrau fotografieren und hält eine warmherzige Rede. Rösler verschweigt nicht, dass politische Welten zwischen ihm, dem FDP-Politiker, und Klaus Vater, dem gestandenen Sozialdemokraten, liegen.

Er verschweigt nicht, dass der mit seiner aufbrausenden Art manchem Mitarbeiter und Journalisten durchaus das Leben schwer machen konnte. Doch weil Röslers Worte ehrlich sind, sind sie so stilvoll und passend. Vater bedankt sich hörbar gerührt und erlaubt sich, "als der viel Ältere", wie er sagt, ein persönliches Wort an den Minister zu richten: "Bleiben Sie, wie Sie sind."

Rösler würde der Partei ein neues Gesicht geben

Ob Vaters Wunsch in Erfüllung gehen wird, weiß niemand - auch Rösler nicht. Es zeichnet sich nur ab, dass sich ändert, was Rösler ist: Nach Meinung vieler Parteifreunde soll Rösler neben seinem Amt im Kabinett den Posten des FDP-Vorsitzenden antreten. Der 38 Jahre alte Arzt würde dann eine Partei anführen, die völlig verzagt ist, seitdem sie einen politisch wohl einmaligen Niedergang erlebte - einen Niedergang vom größten Wahlerfolg im September 2009 seit ihrer Gründung zum Kampf ums Überleben im März 2011.

Rösler zählt schon seit einiger Zeit zu den Liberalen, die die von Guido Westerwelle betriebene Ausrichtung auf wenige Themen (Steuer, Wirtschaft) und einen einzigen Partner (die CDU/CSU) als zu eng betrachteten. Wie fahrlässig daneben die von Westerwelle erlaubte Beliebigkeit in schwierigen Politikfeldern war - die FDP lief zum Beispiel vor der letzten Wahl gegen den Gesundheitsfonds Sturm und versprach den Ärzten das Blaue vom Himmel -, hat Rösler als Gesundheitsminister bitter erfahren. Ihm schlug die Enttäuschung über unerfüllte Versprechen entgegen.

Ein Wechsel von Westerwelle zu Rösler wäre aber kein grundlegender Neuaufbruch. Was die Liberalen ausmachen soll, womit sie sich in der Koalition profilieren wollen, all das liegt heute im Dunkeln. Klar ist nur, dass Rösler der Partei ein gänzlich anderes Gesicht geben würde: sympathisch, in sich ruhend, ohne jede rhetorische oder persönliche Schärfe. Weder wird er sich wie weiland Westerwelle schrill zur "Freiheitsstatue Deutschlands" ausrufen noch Gewerkschaftsmitarbeiter als "Landplage" beschimpfen.

Rösler, eine große Chance für die FDP

Wenn er sich treu bleibt, wird er seinen neuen Job höchstens sieben Jahre ausüben. Mit Mitte 40, so hat er es immer wieder gesagt, wolle er aus der Politik ausscheiden. Politik verändere Menschen, mache sie misstrauisch und hart. Natürlich sind diese Bekundungen, mit denen er Distanz zum Politikbetrieb vermitteln will, auch kokett.

Er weiß, wie wenig die Bürger verbissene, von Ehrgeiz getriebene Repräsentanten mögen. Dass Rösler innerparteiliche Konflikte durchaus mit Härte auszufechten weiß, steht jedenfalls fest. Dabei war es ihm nicht abträglich, dass der freundlich-humorvolle Herr Rösler auch kühl, ja schneidend sein kann und seine Ziele ungemein zäh verfolgt. Die schwarz-gelbe Gesundheitsreform, die zwischenzeitlich bösen Streit zwischen CSU und FDP heraufbeschworen hatte (man erinnere sich an "Wildsau" und "Gurkentruppe"), billigte der Bundestag am Ende mit nahezu einmütiger Geschlossenheit der Abgeordneten von Union und Liberalen. 

Nur die fehlende Zeit für seine Familie schmerzt Rösler

Eine große Chance für die FDP wäre Rösler also zweifellos - und sei es zunächst nur, weil er dem Klischee des geschniegelten Kaschmirpulli-Karriere-Neoliberalen so wenig entspricht und somit keine Aversionen auslöst. Oder anders gefragt: von welchem anderen FDP-Politiker würde sich ein Urgenosse wie Klaus Vater wünschen, dass er so bleibt, wie er ist?

 Manche fühlen sich an Norbert Blüm erinnert

Mit Freundlichkeit und Humor kann das Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken Menschen für sich einnehmen. Wenn er Kliniken, Sozialstationen, Altenheime Ärzte, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen besucht, was er in letzter Zeit oft getan hat, hört er aufmerksam zu und lässt sich auf die Begegnung tatsächlich ein. Das kommt, keine Frage, gut an. Und weil er es zudem in Rekordzeit verstand, auch die kleinsten Details des komplizierten Gesundheitswesens zu durchdringen, bestreitet niemand seine fachliche Kompetenz.

Für einen Parteichef wären das wahrlich nicht die schlechtesten Voraussetzungen, zumal sich Rösler auch als pragmatisch erwiesen hat. Die Pharmaindustrie zum Beispiel, die früher als klassischer Verbündeter der FDP galt, konnte es kaum fassen, dass ausgerechnet ein FDP-Minister ihr Privileg bei der Preisbildung neuer und bisher sehr teurer Medikamente beschnitt. Was den Krankenkassen fraglos nützt, führte dazu, dass sich der Verband forschender Arzneimittelhersteller von seiner Cheflobbyistin trennte.

Was die Zukunft der Pflegeversicherung anbelangt, hat Rösler inzwischen so viele Verbesserungen angesprochen, dass sich ein erfahrener CDU-Sozialpolitiker wie der Abgeordnete Willi Zylajew schon an die guten alten Zeiten eines Norbert Blüm erinnert fühlt. Wie er all die Verbesserungen bezahlen will? Dazu schweigt Rösler. Doch viele Liberale fürchten, dass der Minister ganz pragmatisch den Pflegebeitrag anheben würde, weshalb sie - gemäß der klassischen arbeitgeberfreundlichen FDP-Lehre - schon ein Beitragsplus vor der nächsten Wahl als unmöglich ausgeben.

Ein solches Duo hätte die FDP lange nicht gehabt

Rösler wäre ein eher sozialliberaler Vorsitzender und würde mit einem Gutteil seiner Partei - den Wirtschaftsliberalen und denen, die die FDP als Klientelpartei (Hoteliers und so weiter) verstehen - einige Mühe haben. Die Intelligenz und die Beharrlichkeit, die es braucht, um die FDP zu ändern und wieder stärker zu machen, die hätte er fraglos. Auch wird ihm helfen, dass Christian Lindner Generalsekretär bleiben soll.

Lindner hat sich an den Texten großer Liberaler wie Karl-Hermann Flach oder Ralf Dahrendorf geschult und sucht mit einer beachtlichen Leidenschaft zu ergründen, was Liberalismus heute heißt und was daraus für die FDP folgt. Ein agil-sympathischer Chef und ein tiefgründiger "General": Ein solches Führungsduo hätte die FDP lange nicht gehabt.

Nur die Zeit, die ihn sein neues Amt kosten würde, wird Rösler schmerzen. Seine Frau Wiebke und die kleinen Zwillingstöchter Grietje und Gesche, mit denen er, wie er häufig erzählt, jetzt schon zu wenig Zeit verbringe, würde er noch seltener sehen.