Um die FDP steht es schlecht. Die Wähler wenden sich ab, die Partei wird mit Häme übergossen. Doch das Lachen könnte manchem noch im Hals stecken bleiben.

Stuttgart - Mit dem vom Wahlschicksal gebeutelten, etwas abgezehrt wirkenden FDP-Vorsitzenden Christian Lindner könnte man Mitleid bekommen, wenn dergleichen in der Politik angebracht wäre. Dass die Liberalen vor einer Woche nun auch aus dem sächsischen Landtag flogen – damit war nicht zu rechnen, denn die christlich-liberale Koalition hatte dort ordentliche Arbeit geleistet. Gibt es denn, so ist zu fragen, in deutschen Landen nicht wenigstens fünf Prozent Wähler, die der FDP über die Hürde helfen, damit es, wenn schon nicht zu einer Regierungsbeteiligung, wenigstens zu ein paar Sitzen im Landtag reicht?

 

Schon das allein wäre nicht wenig für eine kleine Partei. Von den Oppositionsbänken aus kann sie sich immer wieder erneuern. In den sechzig Jahren Baden-Württemberg saßen die Südwest-Liberalen dreißig Jahre in der Opposition. Das ist keine Schande, das gehört zur parlamentarischen Demokratie. Aber binnen kurzem von den Wählern aus dem Bundstag und dann aus dem Landtag mit der letzten Regierungsbeteiligung geworfen zu werden, das ist bitter, das klingt nach Katastrophe. Gewiss, immer noch ist die FDP in acht Landesparlamenten vertreten, doch jeweils nur mit einer Handvoll Abgeordneter. Nur in Nordrhein-Westfalen zählt sie 22 Abgeordnete, aber das ist auch die liberale Trutzburg Christian Lindners.

Das soziale Lebensgefühl dominiert

Von dort aus will er in den nächsten Monaten seine darniederliegende Partei runderneuern. Das ist eine Herkules-Aufgabe, und immer mehr Beobachter fragen, ob der nicht eben robust wirkende Lindner das packt. In den Medien dringt er jedenfalls nur selten durch. Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat es unlängst drastisch formuliert: „Kein Schwein hört zu.“ Da liegt die Frage nahe, ob das Wahlvolk die FDP überhaupt noch will. Erstaunlicherweise besagt die jüngste Umfrage, 38 Prozent der Wähler meinten, die Partei werde auch künftighin gebraucht. Dass sich dann an der Wahlurne nicht einmal fünf Prozent bereitfinden, die Partei in die Parlamente zu wählen, sagt viel über den Wert solcher Befragungen aus.

Andererseits: Wenn FDP-Wähler, die der Partei bei der letzten Bundestagswahl ihre Stimme verweigert und zu ihrem Absturz beigetragen haben, jetzt auf die Arbeit der Großen Koalition in Berlin blicken, müsste sie ihr politisches Gewissen plagen. Diese Regierung erweckt den Eindruck, als sei die SPD der große Koalitionspartner und nicht die Union. Es wird sozialdemokratisch regiert, man vermisst allenthalben das liberale Element. Das aber hat die FDP auf Bundesebene – ihrem wichtigsten Feld – auf grandiose Weise selbst verspielt.

Die Westerwelle-FDP verriet ihre Prinzipien

Die Westerwelle-FDP erreichte 2009 mit fast fünfzehn Prozent ihr bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Man hatte dem Wähler eine große Steuerreform versprochen und weniger Bürokratie in Staat und Wirtschaft. Geschehen ist nichts. Nirgendwo ein liberaler Funke. Die Partei verriet ihre Prinzipien. Der schleichenden Entwicklung der Währungsunion zur Schuldengemeinschaft sah sie tatenlos zu, nahm die Rechtsbrüche auf der Brüsseler Ebene in Kauf und vor allem: sie akzeptierte die Energiewende, die allen marktwirtschaftlichen Prinzipien Hohn spricht. Dieses planwirtschaftliche Modell kostet die Steuerzahler viele Milliarden. Von diesen Fehlern wird sich die Partei nur schwer erholen, wenn überhaupt.

Nun könnte man diese Sorgen einer Kleinpartei als nebensächlich abtun, stünde die Existenzkrise der Liberalen nicht in einem größeren Zusammenhang. Offenbar können viele Wähler, zumal die jüngeren, mit dem Parteiliberalismus nicht mehr viel anfangen. Sie wissen nicht, oder haben es vergessen, dass das gute Leben, das sie genießen, liberalen Denkern und Politikern zu verdanken ist. Das waren die Vertreter der neoliberalen Freiburger Schule, und es war der Wirtschaftsminister Ludwig Erhard der ihre Ideen umsetzte. Nun können Parteien keine Dankbarkeit erwarten und ebenso wenig ständig auf das „Wirtschaftswunder“ verweisen, aber so viel Erinnerung sollte schon sein, dass sich im aktuellen Strom eines gängigen Sozialdemokratismus derjenige nicht verdächtig macht, der noch Vertrauen in die Leistungsbereitschaft des Einzelnen hat, der den wuchernden Steuerstaat und betreuenden, aber zugleich bevormundenden Sozialstaat zurückgeschnitten sehen möchte.

Falscher Jubel

Geradezu erschreckend war die Häme, mit der im Bundestagswahlkampf 2013 die FDP in den Kabarettsendungen wie etwa der ZDF-„Heute-Show“ übergossen wurde. Diskriminierendes über die Liberalen zu sagen, löste immer großen Jubel aus. Sowohl die „Comedians“ als auch die meist jungen Zuhörer haben sich offenbar nie bewusst gemacht, dass sie von Voraussetzungen leben, die sie dem Liberalismus zu verdanken haben. Dass die FDP in diesem Wahlkampf und zuvor schon keine überzeugenden Führungsfiguren aufzuweisen hatte, ließ eine Lücke entstehen, in die jetzt die „Alternative für Deutschland“ gestoßen ist. Ihr Sprung auf Anhieb in den sächsischen Landtag sollte der FDP zu denken geben. Die AfD ist nicht liberal, sondern rechtspopulistisch, und sie wird diesen Trend noch verstärken, weil er Erfolge verspricht.

Früher deckte der nationalliberale Flügel der FDP diesen Bereich ab. Das wäre ihr nun verwehrt, sofern sie dahin zielte. Aber das will sie gar nicht. Wenn bei dem Strategen Lindner schon etwas herauszuhören ist, dann klingt es eher sozialliberal, ein bisschen Friedrich Naumann von einst und etwas „Freiburger Thesen“ von 1971. Aber ein liberales Feuerwerk lässt sich damit nicht entzünden. Das soziale Lebensgefühl ist irgendwie Allgemeingut. Wenn Lindner und seine Leute politisch überleben und wieder eine Rolle spielen wollen, müssen sie einen anderen Weg einschlagen.

Es bedarf einer Stimme gegen den Vater Staat

Eigentlich ist die Sache ganz einfach: Liberalismus meint im Grunde nur dies: so viel Freiheit wie möglich, so viel Staat (und Vorschriften) wie nötig. Das ist der Kerngedanke der Freiburger Schule. Der Staat, das sind wir, die Gesamtheit der Individuen. Die staatlichen Institutionen setzen den Rahmen, innerhalb dessen die Einzelnen sich entfalten können. Die Liberalen wollen den betreuenden, den „Vater“ Staat nicht. Was sie erreichen, besser: bewahren wollen, sind Rechtssicherheit, Privateigentum, Meinungsfreiheit, Marktwirtschaft.

Vieles davon haben die Liberalen schon im 19. Jahrhundert errungen, der Zeit ihres größten Einflusses. Aber mit dem Liberalisierungsprozess ist es so eine Sache. Er verschafft Zustimmung, aber auf Dauer kann die Partei vom Erfolg nicht profitieren. Die liberalen Werte diffundieren im politischen Feld mal nach links, mal nach rechts. Die Wähler laufen dann der Partei davon. Immer wieder hat man ihr nachgesagt, sie habe sich „totgesiegt“. Selbst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Bürgerlich-Liberalen ihre beste Zeit erlebten, gingen die Wähleranteile von 46,6 Prozent im Jahre 1871 auf 26 Prozent 1912 zurück.

Es ist nur so: Die liberalen Errungenschaften sind nicht ein für allemal gesichert. Man denke nur an Weimar und die NS-Zeit. Die Bundesrepublik entstand dann auf liberalem Gedankengut, das uns selbstverständlich, vielleicht zu selbstverständlich geworden ist. Da sollte sich Christian Lindner Zuspruch bei dem großen Liberalen Friedrich Naumann holen, der 1906 geschrieben hatte: „Die Idee des Liberalismus muss erst wieder neu erarbeitet werden. Sie hat im Lauf der Zeit so viel an Klarheit, Schärfe und Magnetismus verloren, dass sie erst wieder wie ein neues Tageslicht vor der Bevölkerung aufsteigen muss.“